Marsberg. . Ein Patient der LWL-Klinik für forensische Psychiatrie klagt in einem Brandbrief u.a. über fehlende Therapie. Klinikleitung geht in Offensive.
Im LWL-Therapiezentrum für forensische Psychiatrie Marsberg hat ein Patient eine Meuterei angezettelt. In einem „Brandbrief“ beklagt er sich über „eine große Unzufriedenheit unter den Patienten“ und schließt die Mitarbeiter mit ein. Das Therapiezentrum sei eine „Verwahrstation, in der die Patienten bis zu ihrem Therapieende gehalten werden“. Er beklagte fehlende Therapien mit fehlenden Lockerungen und dass „Patienten bei kleinsten Verhaltensrückfällen erledigt“ würden. Er macht dafür in erster Linie die Ärztliche Direktorin Dr. Mareike Schüler-Springorum verantwortlich und wirft ihr rechtswidrige Handlungen vor.
65 Patienten haben den Brief unterschrieben
Den zweieinhalb DIN-A-4-Seiten langen Brief haben 65 Patienten unterschrieben. Er endet handschriftlich mit: „Wir haben die Zustände an sämtliche Ministerien, an den Petitionsausschuss an den Direktor des LWL, den Maßregelvollzugsbeauftragten, insgesamt an neun Adressen geschickt.“ Auch die WP erhielt eine Kopie.
„Wir nehmen die Anliegen der Patienten sehr ernst und es befasst sich demnächst die unabhängige Beschwerdekommission damit“, sagt Thorsten Fechtner, Pressereferent des LWL in einem Gespräch mit der WP, an dem auch die Direktorin und der kommissarischen Pflegedirektor Hubertus Gerlach im Therapiezentrum teilnahmen. Den Patienten liege inzwischen auch eine Antwort des Landesbeauftragten vor. Wieso der Patient auch die Mitarbeiter in seinen „Brandbrief“ einbezieht, „dazu können wir uns nicht äußern, weil wir sonst nur mutmaßen könnten“, so der Pressereferent. „Wir können allerdings auf die Situation hinweisen, warum es eventuell zu einer solchen Petition kommen konnte.“ Die Ursache sei auch dem Landesbeauftragen für den Maßregelvollzug NRW, Uwe Dönisch-Seidel, bekannt.
Veränderte Aufnahmesituation seit Gesetzesnovelle
Direktorin Dr. Schüler-Springorum macht dafür eine veränderte Aufnahmesituation der Patienten verantwortlich, mit einer einhergehenden Überbelegung. So gebe es seit der Novellierung des § 64 StGB für suchtkranke Straftäter in 2007 derzeit fast 50 Prozent mehr Aufnahmen im Maßregelvollzug, so auch im Therapiezentrum am Bilstein. Im gesicherten Innenbereich sei jeder Winkel für neue Patienten ausgebaut worden. Krisen- und Besucherräume seien zu Patientenzimmern umfunktioniert worden. Aus Ein- sind Zweibettzimmer geworden. Folge: Es fehlen Therapieräume. „Uns ist bewusst, dass das ein Teil der Patienten nicht schön findet“, so die Direktorin. „Auch wir sind damit nicht glücklich.“
Veränderte Patientenstruktur
Hinzu komme, dass sich durch die Rechtsprechung der Gerichte die Klientel verändert habe. So seien früher mehr Patienten sehr motiviert gewesen, sich suchttherapeutisch behandeln zu lassen. Bei ihnen habe die Sucht im Vordergrund gestanden, die sie zu Straftätern hatte werden lassen. Seit der Veränderung der rechtlichen Rahmenbedingungen landeten immer mehr Straftäter zu schnell im Maßregelvollzug, bei deren Vergehen die Sucht nur eine Nebenrolle gespielt habe. Die Aussicht auf Erfolg der Therapie sinke damit. Mit der Maßregelvollzugsabteilung in Münster steht die Direktorin diesbezüglich in ständigem Austausch.
Hubertus Gerlach betont: „Die Patientenstruktur hat sich seit der Novellierung in 2007 komplett geändert.“ So seien in 2007 nur 18 Prozent der Patienten als voll schuldfähig eingestuft worden. 2017 waren es schon 56 Prozent und 2018 immerhin in Marsberg über 70 Prozent.“ Unter dem veränderten Klientel seien z.B. auch Mitglieder organisierter Banden, verdeutlicht die Direktorin. Deshalb habe sich die Klinik in den vergangenen Jahren intensiv mit modernen Prognose-Parametern beschäftigt und sich fortbilden lassen. „Und ja, wir gucken heute genauer hin, wann wir die Patienten lockern“, so die Direktorin weiter.
Wesentlich weniger Entweichungen bei Freigängen
„Damit sind die Entweichungen beispielsweise bei begleiteten Freigängen rapide zurückgegangen“, fügt Pressereferent Fechtner hinzu. Fast gegen null gingen die Zahlen. „Und ja“, räumt die Direktorin weiter ein, „es sind diese Patienten beispielsweise aus dem Rotlichtmilieu oder der organisierte Kriminalität auch eher dazu in der Lage, dominanter und manipulativer auf andere Patienten oder auch Mitarbeiter einzuwirken.“
Einen Grund, warum suchtkranke Straftäter den Maßregelvollzug einer Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt vorziehen, sieht die Direktorin in der Verkürzung der Haftzeit. Wenn alles gut läuft, kann Patienten im Maßregelvollzug die Hälfte der Haftstrafe erlassen werden. Im Strafvollzug geht dies erst nach zwei Dritteln. So versuchen gerade auch Patienten mit langen Haftstrafen vermehrt, in den Maßregelvollzug zu kommen.
Der Patient, der sich beklagt hat, ist inzwischen verlegt worden. Damit hatte er, wie er in seinem „Brandbrief“ handschriftlich angefügt hat, gerechnet.
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