Willingen. . Skispringen in Willingen - das ist eine Kombi aus Sport und Party. Und der einstige Rummel um Hannawald und Co. erlebt ein Revival.
Fast sieht alles so aus und hört es sich an wie damals. Dort vorne, am Zaun. Wie im Jahr 2003, als Sven Hannawald dem deutschen Skispringen Erfolge satt beschert – und dem Weltcup in Willingen einen nie zuvor erlebten Besucheransturm. Knapp 100.000 Fans pilgern an einem Wochenende zur Mühlenkopfschanze im Strycktal, um bei Sprüngen von Hanni und Co. immer wieder dieses lang gezogene „Ziiiiiieh“ zu rufen, um Fähnchen zu schwingen – und um, vor allem die jungen Mädchen dort vorne am Zaun, zu kreischen. Jedes Mal, wenn eines ihrer Idole nur durch eine hüfthohe Metallabsperrung von ihnen getrennt mit geschulterten Ski an ihnen vorbei geht.
Auch im Jahr 2019 kreischen die offensichtlich pubertierenden Mädchen, dort vorne am Zaun. Der Weltcup-Wahnsinn im Sauerland erreicht zwar nicht die Sphären, in die er vor über 15 Jahren vorstieß – aber er scheint auf dem besten Weg dorthin zurück zu sein.
Mit nacktem Oberkörper
„Willingen ist ein Skisprung-Fest“, sagt der nach der Saison scheidende Bundestrainer Werner Schuster im Vorfeld und ergänzt: „Ich bin immer wieder gerne hier.“ Es ist diese sehr spezielle Mischung aus Party und sportlichem Wettkampf, die alle lockt und reizt. Und wenn wie in diesem Jahr frühlingshafte Temperaturen um 14 Grad bei super Sonnenschein herrschen, fällt den Fanmassen der Fußmarsch aus Willingen zur Schanze umso leichter und warten einige der vielen, vielen polnischen Fans auch mit nacktem Oberkörper auf die Springen.
23.500 Tickets, ausverkauft! Das vermeldet der SC Willingen weit im Vorfeld des so genannten Kult-Weltcups für den Samstag. Wer mit dem Pkw aus NRW anreist, bemerkt dies ab Brilon-Wald. Stau. Polizei. Bestimmt, aber freundlich erfolgt der Hinweis, bitte in den Pendelbus umzusteigen. Denn Parkplätze sind im Partyzentrum auf Grund der hohen Temperaturen Mangelware. „Auf die Wiesen kann niemand, zu matschig“, sagt der Polizist – und hebt lächelnd die Schultern.
Lange Schlange beim Einlass
Unzählige Menschen mit Fahnen und Fähnchen verschiedener Nationen nutzen das Angebot. Und sehen auf dem Fußmarsch zur Schanze die freien Parkflächen, auf denen doch der eine oder andere Pkw steht. Mit Matsche an Reifen und Spritzern, die bis hoch zu den Fensterscheiben geflogen sind.
Der Samstag in Zahlen
23.50023.500 Fans haben allein am Samstag das Skispringen an der Mühlenkopfschanze mitgefeiert.
2,962,96 Millionen Zuschauer haben das Springen im ZDF verfolgt, Hinzu kommen 170.000 Zuschauer bei Eurosport.
22502250 Pkw wurden gezählt. Trotz der aufgeweichten Wiesenparkplätze kam es zu keinen größeren Parkplatz-Engpässen.
160160 Wohnmobile zählte die Polizei; hinzu kamen 90 Reisebusse, die in Willingen gezählt wurden.
32503250 Besucher reisten am Samstag mit der Bahn an.
11 Drohne kreiste unerlaubter Weise über der Schanze. Die Polizei ermittelt.
22 Verkehrsunfälle mit geringem Sachschaden gab es.
Der guten Stimmung tut dies keinen Abbruch. An ihr kratzt nur der Stau vor der Einlasskontrolle. Ein wenig. Gut eine halbe Stunde müssen die feierfreudigen Fans warten, ehe Taschen und Rucksäcke ebenso wie Tickets kontrolliert werden. Angekommen an der Mühlenkopfschanze, beginnt die Party: „Von vorne nach hinten, von links nach rechts“, dröhnt es aus den Musikboxen – und selbst die deutschen Skispringer bewegen sich in ihrem Springerlager oberhalb der Tribünen während einer Vorbereitungspause im Rhythmus der Musik.
Kurz vorm Überkochen
Die Fans singen einen Après-Ski-Hit nach dem anderen. Cordula Grün haben sie alle tanzen gesehen. Die Kinder vom Süderhof werden zu jenen vom Mühlenkopf umgedichtet. Diese Masse von Betriebstemperatur bis kurz vor die Grenze zum Überkochen zu bringen, ist eine dankbare Aufgabe für Moderator Jürgen Bangert.
Aber sch... drauf, Willingen ist nur einmal im Jahr. Obwohl: Die letzte Silbe von Willingen passte nicht recht in den Takt und wird deshalb einfach geschluckt. So geht das bei der Skisprung-Party im Sauerland, wo jeder weiß, dass die Mutter von Niki Lauda Mama Lauda heißt.
Die jungen Mädchen, dort vorne am Zaun, wissen das ebenfalls. Und sie genießen jedes Lied, jedes Selfie, jedes Autogramm und jedes langgezogene Ziiiiieeh. Es ist fast wie damals. Nur dass sich auch das eine oder andere ältere Semester, weiblich wie männlich, vorne platziert hat und kreischt. Und Windeln, um den Platz am Zaun nie aufgeben zu müssen, trägt auch niemand mehr.
Hier finden Sie noch mehr Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Altkreis Brilon.