Oberschledorn/Salvador. . Tamiles Mütze stammt aus einer Millionenstadt in Brasilien. Wie sie die Liebe nach Oberschlehdorn brachte und wie sie dort Silvester feiert.

Sie stammt aus einer Metropole, in der fast drei Millionen Menschen leben. Sie zog nach Deutschland in eine Stadt mit 630.000 Einwohnern. Sie lebt jetzt in einem Dorf mit 850 Bürgern. Und sie ist eine von ihnen geworden.

Mittlerweile liebt und schätzt sie das Dorfleben

„Weihnachten wird nirgendwo so schön und harmonisch gefeiert wie hier in Deutschland. Aber zu Silvester würde ich immer wieder gerne in meine alte Heimatstadt reisen.“

So sieht es am Neujahrsmorgen am Strand von Salvador aus. Aber nur Mut: Für jeden findet sich ein Plätzchen.
So sieht es am Neujahrsmorgen am Strand von Salvador aus. Aber nur Mut: Für jeden findet sich ein Plätzchen. © Mütze

Tamiles Mütze stammt aus Salvador in Brasilien. Sie hat einige Semester Öl- und Gas-Ingenieurswesen studiert und war als Au-Pair in Deutschland. Auf dem Cannstatter Wasen, dem riesigen Volksfest am Neckar, hat sie ihren späteren Mann kennengelernt. „Ich musste sie Schritt für Schritt darauf vorbereiten, dass Oberschledorn nicht ganz so groß wie Salvador und noch ein wenig kleiner als Stuttgart ist. Aber mittlerweile liebt und schätzt sie das Dorfleben“, lacht Ehemann Christian Mütze und stupst die fünf Monat alte Tochter Lorena an, die entspannt auf dem Sofa neben ihren Eltern liegt.

500.000 Menschen am Strand an Silvester

„Silvester wird bei uns in Brasilien ganz groß gefeiert. Da sitzt niemand zu Hause in seinen vier Wänden. Alle gehen raus an den Strand. Und jeder trägt Weiß: die Männer Hemden oder Shirts und die Frauen Kleider. Ich weiß gar nicht, ob das ein Zeichen des Friedens sein soll, aber jeder hat etwas Weißes an“, erzählt die 31-Jährige. Kurz vor Jahreswechsel sind die Schaufenster in ihrer alten Heimat voll mit weißer Kleidung und die Preise dafür steigen saisonal.

An Weihnachten ist übrigens die Farbe Rot angesagt. Und auch da wird jedes Jahr ein neues Teil gekauft. Es muss brandneu sein. „In dem Punkt hatten wir beiden schon Diskussionen. Normalerweise gilt in Brasilien ,Der Gringo (eine Person, die nicht romanischer Herkunft ist, Anm. der Red.) hat immer Recht‘, aber in dem Punkt greift das offenbar nicht“, schmunzelt Christian Mütze. Seiner Frau zuliebe macht er ein Zugeständnis: Auch er wird an Silvester etwas Weißes tragen - und Töchterchen Lorena einen weißen Schlafanzug.

Hohe Kriminalitätsrate in Salvador

Jahreswechsel in Brasilien: In Salvador selbst wird ein riesiger Strandabschnitt zur Feier-Meile mit Festival-Charakter und locker einer halben Million Menschen. „Man zahlt 300 Euro und mehr für die Eintrittskarte. Dafür gibt es dann Musik, Snacks an mehreren Imbiss-Ständen und ein gigantisches Feuerwerk um Mitternacht. 300 Euro – das entspricht etwa einem Mindestarbeitslohn“, sagt Tamiles Mütze.

Tamiles Mütze in Salvador Pelorinho.
Tamiles Mütze in Salvador Pelorinho. © privat

Für den Jahresabschluss putzt sich jeder besonders heraus. „Da geht kein Mann hin, der nicht vorher frisch beim Friseur war“, erzählt der 32-jährige Oberschledorner, der als Wirtschaftsingenieur international gearbeitet hat und jetzt wieder im elterlichen Betrieb ist. „Und die Frauen sind selbstverständlich top gestylt“, ergänzt seine Frau.

Das Feuerwerk, das dann Punkt 24 Uhr gezündet wird, ist auf Riffen im Wasser aufgebaut. „Ich denke es ist 30 Kilometer lang“, schätzt Christian Mütze. Er hat den Jahreswechsel mit seiner Frau, Eltern und Freunden schon einmal in Brasilien erlebt: in weißem T-Shirt und in Badeshort, versteht sich. „Es ist unsäglich warm. 30 bis 34 Grad - auch nachts noch.“

Meistens geht es bei den Schlägereien um Frauen

Aber so einfach, dass man mal eben die Tasche packen und an den Strand gehen kann, ist es in Salvador nicht. „Die Kriminalitätsrate ist sehr hoch. Man muss generell aufpassen, in welchen Straßen man sich bewegt – ganz besonders abends. Es gibt von der Touristenpolizei bewachte Abschnitte, in denen man sich bedenkenlos und frei bewegen kann. Aber schon die nächste Querstraße muss man meiden, wenn man nicht Gefahr laufen möchte, überfallen zu werden.“

Selbst auf der riesigen Silvestermeile patrouillieren immer wieder Sicherheitskräfte, die hin und wieder den Knüppel ziehen und den Streit unter Besuchern schlichten müssen. Meistens geht es bei den Keilereien unter Männer um Frauen. „Aber es kommt durchaus auch vor, dass sich die Frauen um einen Mann streiten“, sagt Tamiles Mütze. Das sei eben eine Frage des Temperaments. „Bei uns gibt es keinen Schlaganfall, man regt sich nicht auf. Man lässt Dampf ab“, sagt die 31-Jährige.

Bierflasche mit Temperaturfühler

In puncto Temperament und Gemütsruhe gleichermaßen kann der Sauerländer an sich ohnehin noch viel lernen: „Als ich zu Silvester in Brasilien war, hat uns eine gute Freundin meiner Frau mit ihrem Mann und ihren drei Kindern besucht. An dem Tag hatte es in ihrem Ort so heftig geregnet, dass die Möbel in ihrer Wohnung umher schwammen; der Kühlschrank hatte einen Kurzschluss. Chaos. Unsereins hätte gleich auf den Problemlöser-Modus geschaltet und sich Sorgen gemacht, wie es weitergeht. Für uns wäre eine Welt zusammengebrochen, aber für die Familie war es wichtiger, Jahresabschluss zu feiern und Freunde zu treffen. Das Problem würde auch morgen noch da sein und dann wäre es immer noch früh genug, sich darum zu kümmern. Die Freundin und ihre Familie hatten eine Kiste Bier im Gepäck und wir haben gemütlich zusammengesessen“, erinnert sich Christian Mütze.

Feliz ano novo – frohes neues Jahr!

Apropos Bier: das ist in Brasilien nicht ganz so stark wie hier, wird aber prinzipiell nur kalt getrunken. Richtig kalt. „An den Flaschen ist ein Temperatur-Sensor. Wenn der nicht mehr blau und keine Frostschicht mehr am Glas ist, gibt man das Bier zurück.“ Denn nur mit eisgekühltem Bier gilt: „Feliz ano novo – frohes neues Jahr!“
Ein weiterer Brauch ist selbst in dem katholisch geprägten Land weit verbreitet. In der Neujahrsnacht wird der Meeresgöttin Yamania gehuldigt. Dazu werden kleine Schiffchen mit Blumen auf das Meer entlassen, aber auch Parfüm, Champagner oder Geldstücke werden ihr in die Wogen geworfen.

Weiteres Brauchtum:

Christian Mütze ist nachhaltig beeindruckt von der Vielfalt des Landes: „Dort herrscht Natur im puren Überfluss; viermal im Jahr wird geerntet. Tamiles Tante macht zweimal im Jahr Wein. Aus einem Obstkern wächst binnen eines halben Jahres ein Baum, der auch gleich wieder Früchte trägt.“ Aber dafür haben die Brasilianer keine Nordmanntannen wie hier im Sauerland und im Wohnzimmer der Mützes…

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