Winterberg. . Durch Musik eine Möglichkeit finden, über Depressionen und Selbsttötungsgedanken zu sprechen – dafür gibt es jetzt in Winterberg eine neue Gruppe

Depressionen und Selbsttötungsgedanken. Tabuthemen. Zusammen mit zwei guten Freunden hat Birgit Winter eine Gruppe ins Leben gerufen, in der Betroffene, Angehörige und Freunde sich diesen Themen auf neue Art nähern, darüber sprechen können: über Musik.

Als Einstieg dient das Lied „One More Light“ der Band Linkin Park. Es handelt von den Gefühlen eines Hinterbliebenen, von dem Stuhl, der plötzlich leer bleibt, von Trauer, Wut und schmerzhafter Erinnerung.

Der Sänger von Linkin Park, Chester Bennington, beging 2017 Suizid. „Das hat mich damals umgehauen, denn ich hatte ihn 2014 bei einem Konzert kennengelernt. Er schien fröhlich und ausgelassen“, erinnert sich Winter. Der Text und die sanfte Melodie können, so hofft das dreiköpfige Team, Seelen berühren und Anknüpfungspunkte für Gespräche über eigene Gefühle ermöglichen.

Wohnfühlatmosphäre zum Reden

Am Mittwoch (28.11.) fand das erste Treffen statt, zu dem rund 15 Personen, vom Jugendlichen bis zum Älteren, gekommen waren. „Was uns besonders gefreut hat war, dass jeder Betroffene von Angehörigen oder Freunden begleitet wurde“, erzählt Winter. „Das ist so wichtig.“ In dem gemütlich vorbereiteten Raum stellte das Team sich vor; jeder Teilnehmer bekam eine Kerze, um sie selbst anzuzünden. Als alle Kerzen brannten, legte man „One More Light“ auf, einer der Männer begleitete auf der Gitarre; Winter trug die deutsche Übersetzung als Sprechgesang vor. „Wen kümmert’s, wenn ein weiteres Licht ausgeht in einem Himmel mit Millionen von Sternen“, heißt es darin. „Nun, uns kümmert’s.“

Nach dem Lied habe zunächst eine angespannte Stimmung geherrscht. Erst nach einer Weile habe eine Angehörige das Wort ergriffen. „Damit war das Eis gebrochen, danach haben auch andere geredet. Am Ende wurde es ein langes, sehr familiäres Treffen, bei dem vielleicht manche zum ersten Mal über das gesprochen haben, was sie bewegt.“

Damit all das in der Gruppe bleibt, hat jeder Teilnehmer zu Beginn eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Denn die Welt in den Sauerland-Städten ist klein. Das könne eine große Hürde sein beim Versuch, über eine psychische Erkrankung zu sprechen – Leiden, die anders als körperliche Krankheiten keiner sehen und mancher nicht verstehen kann. Zwar sei heute auch im allgemeinen Sprachgebrauch aus der Klapse eine Klinik geworden. Aber das Komisch-angeschaut-Werden gebe es noch, ebenso die Unsicherheit im Umgang und Floskeln wie „Die Zeit heilt alle Wunden“, „Wird schon wieder“ oder „Melde dich, wenn du mich brauchst.“ „Das tun Betroffene nicht – dazu fehlt ihnen die Kraft“, sagt Winter.

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Wie ihre beiden Teamkollegen bringt Winter schmerzhafte eigene Erfahrungen mit. Schicksalsschläge, Depressionen, Therapien – sie hat einen harten Weg hinter sich, der noch nicht am Ende ist. Gute Freunde und das Schreiben von Texten und Liedern helfen ihr heute, mit allem umzugehen. Das Wesentliche sei, die eigene Haltung zu bewahren, sagt sie. „Wer mich heute mobbt oder auslacht, kann morgen selbst Betroffener sein. Diese Krankheit kann jeder bekommen.“

Weil die Resonanz auf den Abend wunderbar gewesen sei, sind weitere Treffen geplant. Das Dreierteam spielt auch mit dem Gedanken, das Konzept in andere Orte zu tragen und es Schulen anzubieten.

Über Musik, glauben sie, sind die Seele auch Jugendlicher am besten zu erreichen und Rede-Hemmschwellen abzubauen.

Das Team legt Wert darauf, dass jeder Teilnehmer sich vorher anmeldet. „Wenn es aber dann einer nicht schafft, vorbeizukommen, verstehen wir das. Wir wissen, wie hoch schon die Hürde ist, sich anzumelden.“ Aber es wird regelmäßige Treffen geben und jedes bietet eine neue Chance.

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