Brilon. . Das ABB-Werk Brilon hat seinen neuartigen Transformator für Schienenfahrzeuge präsentiert. Auch auf der AidaNova ist Know How aus Brilon verbaut.

Der brandneue Kreuzfahrt-Megaliner AidaNova hat gleich 16 von ihnen an Bord, bei der Bahn reichen pro Zug bis zu vier. Was sich auf hoher See längst bewährt hat, wird nun erstmals auch auf der Schiene eingesetzt: Elektro-Know-how aus Brilon, Resibloc-Trockentransformatoren von der ABB. Bei der internationalen Fachmesse für Verkehrstechnik InnoTrans in Berlin stellte das Briloner Werk auf dem ABB-Messestand im September als ein Highlight das – Daumen hoch für das Wortspiel – „bahnbrechende“ Modul vor.

Seit gut 50 Jahren stellt die ABB – zunächst im Bremecketal und seit 2010 in dem neuen Werk an der Keffelker Straße – Gießharztransformatoren her. Ihre Besonderheit: Resiblocs kommen ohne das üblicherweise zur Isolation oder Kühlung verwendete Öl aus und reduzieren so die Brandgefahr deutlich. Aus diesem Grund werden sie im Untertagebau, in Schiffen, Wolkenkratzern wie dem Burj Khalifa in Dubai und auf Öl- und Gasbohrinseln eingesetzt.

„Rekord-Wirkungsgrad“

Der neue Resibloc Rail ist speziell auf den Einsatzalltag im Schienenverkehr abgestimmt. „Da gibt es ja ganz extreme mechanische Anforderungen“, sagt Werkleiter Sven Schreiber (41). Epoxid-Isolierung und Glasfaserverstärkung geben den Transformatoren für die Triebwagen eine optimale Festigkeit und eliminieren das Risiko von Ölverschmutzungen und Lecks.

Die Transformatoren sind in aller Regel 2,5 m lang, bei der Breite gibt das Triebwagenmodell das Maß vor. Das Gewicht liegt – je nach Spezifikation – bei drei bis vier Tonnen. Installiert werden die Transformatoren – da kann der Kunde frei wählen – auf dem Dach des Triebwagens, unter dem Zug oder aber auch an Bord im Maschinenraum. Und was dem Forschung- und Entwicklungsteam in der Keffelke außerdem gelungen ist: „Wir konnten die Energie-Effizienz weiter steigern“, sagt Sven Schreiber. Der Resibloc Rail besitzt einen laut Werksangaben „Rekord-Wirkungsgrad“ von 97 Prozent. Damit, so Schreiber, lassen sich die Energiekosten um bis zu zehn Prozent senken. Prototypen wurden im Alpenraum getestet.

Strom regulieren

Transformatoren dienen zum Regeln von Spannungen. Das geschieht über zwei Kerne, die häufig aus Weicheisen bestehen, manchmal kommen auch aus hauchdünnen Lamellen bestehende sogenannte amorphe Kerne zum Einsatz.

Diese Kerne werden mit Aluminium- oder Kupferdraht umwickelt und werden daher als Spulen bezeichnet.

Je größer der Unterschied der Wicklungen zwischen beiden ist, desto höher bzw. niedriger wird die Ausgangsspannung.

Bei der Messevorstellung in Berlin habe die Branche „sehr positiv reagiert“, sagt Sven Schreiber. Dort präsentierte sich die Kompetenz aus Brilon auf dem rund 460 qm großen, eindrucksvollen, doppelstöckigen zentralen ABB-Stand.

Rund 1000 Transformatoren verlassen jährlich das Werk in der Keffelke. Die kleinen Exemplare wiegen etwa eine Tonne, die größten sind wahre Monstren und bringen 80 Tonnen auf die Waage. Die kleine, auf 250 kVA ausgelegte Version zu wickeln dauert zwei bis drei Tage, bei den großen, denen mit einer Leistung von 60.000 kVA, sind bis zu drei Wochen drin. Übrigens: Der Strombedarf der AidaNova entspricht der Kapazität von 35 Windrädern. Mit dem Jahresverbrauch an Glasfasermaterial ließe sich zwölfmal die Erde umrunden oder die Strecke bis zum Mond und fast wieder zurück abmessen.

152 Mitarbeiter – Tendenz steigend

Im Zuge der konzernweiten Umstrukturierung hat ABB vor zwei Jahren einen Teil der Wicklung von Brilon ins Werk nach Lodz in Polen verlegt. In Brilon sind aktuell 152 Mitarbeiter beschäftigt, acht mehr als im vergangenen Jahr, und die derzeit zu besetzenden sechs offenen Stellen zeigen, dass es „wieder in die richtige Richtung geht“, wie Sven Schreiber sagt. Der Werkleiter selbst ist seit Juli 2017 zurück in Brilon. Von 2002 bis zum Auszug aus dem Bremecketal war er bei der ABB, ehe er nach Kassel in die Solarbranche wechselte.

19 junge Menschen absolvieren derzeit im Werk Brilon in Verbindung mit der Dualen Hochschule Mannheim ihr duales Studium im gewerblichen und im kaufmännischen Bereich ihre Ausbildung. Zu der gehört auch ein Aufenthalt im ABB-Trainingszentrum in Heidelberg.

Blick über das Briloner Industriegebiet. Vorne rechts die ABB, lins daneben Centrotec und Bond Laminates. links am Rand Puris und Impuls, darüber Oventrop und rechts vom Nehdener Weg Egger.
Blick über das Briloner Industriegebiet. Vorne rechts die ABB, lins daneben Centrotec und Bond Laminates. links am Rand Puris und Impuls, darüber Oventrop und rechts vom Nehdener Weg Egger. ©

Über Umsatzzahlen schweigt sich der Werksleiter mit Verweis auf die börsennotierte Muttergesellschaft auf. Dass ABB mit dem Schienenfahrzeughersteller Stadler aus der Schweiz einen 100-Millionen-Euro-Auftrag abgeschlossen hat, von dem „Brilon auch profitiert“, lässt der Werksleiter aber natürlich gerne raus. Und dass ABB „in der Energiekette weltweit führend“ sei, auch. Ein „spannendes Feld“ sei dabei der Sektor erneuerbare Energien.

Gemeinsam mit Netzbetreibern hat ABB in Brilon einen Längsspannungsregler entwickelt. Dessen Einsatz kann erforderlich werden, falls die Spannung im Verteilnetz durch die dezentrale wetterabhängige Einspeisung stark schwankt. Das könnte ohne Spannungsregelung zu Schäden an den angeschlossenen elektrischen Endgeräten führen. Und auch die zunehmende Elektromobilität mit ihrem steigenden Bedarf an optimierten Ladezyklen, etwa für E-Autos, ist für Spannungssteuerungen ein Markt mit Zukunft.

Sven Schreiber, Leiter des ABB-Werks Brilon
Sven Schreiber, Leiter des ABB-Werks Brilon © Jürgen Hendrichs

Engen Kontakt hält das Briloner Werk auch zur Fachhochschule Südwestfalen in Meschede. Dort lässt es alle neuen Projekte auf ihre mechanischen Eigenschaften hin abklopfen. Die Transformatoren-Gehäuse lässt das Briloner Werk in Madfeld bei den Voss-Blechprofis herstellen.

Die wirtschaftliche Stärke der Region sei erstaunlich, sagt Sven Schreiber, dies könne man noch offensiver herausstellen. Gleichzeitig einher gehe damit eine bemerkenswert gute Lebensqualität. Als „sehr gut“ bezeichnet der 41-Jährige das Zusammenspiel der Entscheider in Wirtschaft und Politik. Ebenfalls gute Erfahrungen habe das Unternehmen mit Flüchtlingen gemacht, die zunächst Praktika in dem Werk absolvierten; danach sei es auch zu Einstellungen gekommen.

100-Jahr-Jubiläum steht bevor

Der ABB-Standort in Brilon blickt auf eine fast 100-jährige Geschichte zurück. 1921 wurde das Unternehmen als Grubenlampenwerk Dominit im Bremecketal gegründet. Wenige Jahre später begann die Transformatoren-Fertigung. 1972 wurde das Werk vom ABB-Vorläuferunternehmen ASEA übernommen und entwickelte die Resibloc-Technologie. 2010 folgte der Umzug an die Keffelker Straße gegenüber der Fa. Egger.

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