Neerdar/Goddelsheim. Ein Landwirt aus dem benachbarten Willingen-Neerdar ist überzeugt: Ein Wolf hat eines seiner Kälber gerissen. Experten sind noch zurückhaltend.

Christian Lamm aus Willingen-Neerdar ist sauer. Der Agrartechniker hat eine Biolandwirtschaft, züchtet zusammen mit seiner Frau Judith Charolais-Fleischkühe; 25 Mutterkühe stehen mit zehn Rindern und 18 Kälbern auf einer rund 17 Hektar großen Weide zwischen Neerdar und Usseln. Am Rande der Weide fand Judith Lamm am Montagabend ein totes Kalb – die Überreste davon. Kopf, Rückgrat und Hufe waren noch zu erkennen, der Rest gefressen. „Am Nachmittag hörte ich, dass die Herde sehr unruhig wurde, und wollte sehen, was los ist. Einige Tiere waren ausgebrochen“, sagt die 32-jährige Landwirtin.

DNA-Ergebnis in einigen Wochen

Christian Lamm ist überzeugt davon, dass das vier Wochen alte Kalb von einem Wolf gerissen wurde – weiß aber auch, dass ein DNA-Ergebnis, das Sicherheit geben würde, erst in einigen Wochen vorliegt. Wenn es überhaupt ein Ergebnis gibt. „Das Tier war zum Zeitpunkt der Probeentnahme bereits so weit abgefressen, dass nur mit einer geringen Chance DNA gefunden werden kann“, erklärt Michael Schulenberg.

Proben im Senckenberg-Forschungsinstitut

Schulenberg, Hundeführer, seit 25 Jahren Jäger und von Beruf Biologe, ist im Auftrag des Regierungspräsidiums Kassel als Obere Naturschutzbehörde als einer von vier „ehrenamtlichen sachkundigen Helfern“ in Waldeck-Frankenberg unterwegs, um das hessische Wolfs- und Luchsmonitoring zu unterstützen.

Im offenen Stall angefallen und verletzt

Auch in Goddelsheim ist ein Wolf Thema. Das Pony einer Goddelsheimerin wurde vor genau vier Wochen nachts im offenen Stall angefallen und verletzt.

Aufgeschreckt durch die Schreie des Ponys habe die Besitzerin Licht angemacht und ein Tier über den Zaun flüchten sehen. Die Besitzerin ist „100-prozentig davon überzeugt, dass es sich um einen Wolf gehandelt hat“, sagt sie auf Nachfrage.

Die Verletzungen wurden dokumentiert, allerdings erst nach mehreren Stunden. Die Untersuchungsergebnisse liegen noch nicht vor, erklärte Mischa Brüssel de Laskay, Sprecher des Hessischen Umweltministeriums

Um eine möglichst realistische Schätzung vom Vorkommen zu bekommen, müssen alle Angaben auf nachprüfbaren Daten beruhen. Herrscht der Verdacht, ein Wolf oder Luchs könnte ein Tier angefallen oder gerissen haben, fährt er raus, untersucht den Kadaver und nimmt Proben. Die schickt er ins Senckenberg-Forschungsinstitut in Gelnhausen, das als bundesweites Referenzzentrum für Luchs- und Wolfsgenetik zuständig ist. Eine Untersuchung dauert vier bis sechs Wochen. „Proben müssen aber relativ schnell genommen werden. Denn Tiere wie Dachs, Fuchs und Rabenvögel machen sich schnell über das Tier her und bei dieser Witterung ist dann innerhalb von 24 Stunden alles weggefressen“, erklärt der Experte. Diese „Nachnutzung“ zerstört Spuren, die Hinweise darauf geben könnten, wie das Tier zu Tode gekommen ist.

Wildschweine könnten entsprechend zubeißen

Es gebe am Skelett des Kalbes zwar Bissspuren, die mit großer Kraft ausgeführt wurden und damit auf ein kräftiges Tier hindeuten würden, doch auch Wildschweine könnten entsprechend zubeißen. Auch wildernde Hunde kämen in Frage, davon gebe es viele. Es gebe auch die Möglichkeit, dass ein Tier einfach eines natürlichen Todes sterbe und dann von anderen Tieren gefressen werde.

„Es ist innerhalb von einem Jahr bereits das zweite Kalb, das wir auf ähnliche Weise verlieren“, sagt Christian Lamm. Hinweise darauf, wie das Kalb damals gestorben ist, gibt es aber auch nicht. „Die Kühe und Kälber sind unser ganzes Kapital“, sagt Christian Lamm. „Die Kuh steht jetzt ein Jahr auf der Wiese und bringt nichts ein. Oder ich lasse sie schlachten, verliere dann aber auch noch die Genetik“, ärgert er sich.

Entschädigung nur bei Nachweis

Eine Entschädigung werde gezahlt, wenn nachgewiesen wird, dass ein Wolf oder Luchs ein Tier gerissen hat. Dabei werde erwartet, dass der Halter seine Herde besser schützt, erklärt Mischa Brüssel de Laskay, Sprecher des Hessischen Umweltministeriums. Für ihn sei das nicht praktikabel, sagt Christian Lamm – bei 17 Hektar käme ein Betrag zusammen, der nicht zu leisten sei.

Ministerium: Transparent mit dem Thema Wolf

„Wir gehen bewusst transparent mit dem Thema Wolf um. Würde bestätigt, dass ein Wolf ein Tier angefallen oder gerissen hat oder gebe es eine bestätigte Sichtung eines Wolfes, dann veröffentlichen wir das“, betont Ministeriumssprecher Mischa Brüssel de Laskay. „Natürlich ist es immer denkbar, dass Einzeltiere durch Hessen streifen. Doch auf jede bestätigte Wolfssichtung kommen 50 bis 100 gefühlte Wolfssichtungen.“

Auch Schulenberg mahnt zur Sachlichkeit. Erst sei der Sachverhalt zu prüfen und wenn ein Ergebnis vorliege, eine Entscheidung zu treffen. In Waldeck-Frankenberg wurde erst ein Wolf nachweislich gesichtet, das war im April 2017.

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