Brilon. . Künstler Gunter Demnig verlegt Stolpersteine, um an Opfer des NS-Regimes zu erinnern. Ein Zeitzeuge berichtet von den schrecklichen Ereignissen.
Gunter Demnig kramt einen wuchtigen Schlagbohrer aus seinem Auto und beginnt mit der Arbeit. Hier, vor dem Haus Marktstraße 16 in Brilon, verlegt der Künstler sogenannte Stolpersteine, die an Opfer des nationalsozialistischen Regimes erinnern sollen. Um Demnig herum schart sich ein Dutzend Menschen, das ihm bei der Arbeit zuschaut.
Der Erfinder der Stolpersteine sägt, bohrt und hämmert auf dem meterbreiten Bordstein. Demnig (70) wirkt wie ein Handwerker, ist jedoch ein Künstler. Ein Erinnerungskünstler, der mit viel Ruhe und Routine sein Tagwerk erledigt. Mehr als 60 000 Pflastersteine mit Messingbeschlag hat er in einem Vierteljahrhundert in mehr als 1100 deutschen Städten und Orten sowie in 20 Staaten Europas verlegt. Juden, Sinti und Roma, politisch Verfolgte, Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Euthanasie-Opfer: Demnig würdigt sie alle an ihren damaligen Wohnorten. Entstanden ist ein gigantisches, dezentrales Mahnmal.
Die Gravur
21 Stolpersteine verlegt Demnig an diesem Tag in Brilon, davon drei vor dem großen Haus an der Marktstraße. Der gebürtige Berliner zückt einen Putzlappen aus seiner Hosentasche und nimmt den Feinschliff vor. Jetzt werden die Gravuren sichtbar, die noch viele Jahrzehnte sichtbar sein sollen:
Hier wohnte Siegfried Fränkel. Jg. 1882. Gedemütigt/Entrechtet. Tot 8.6.1933.
Hier wohnte Paul Fränkel. Jg. 1910. Flucht 1940 Mittelamerika.
Hier wohnte Klara Fränkel, geb. Aronstein. Jg. 1884. Flucht 1941 Dominikanische Republik.
Demnig spricht während seines Auftrages in Brilon wenig. Als der grobe und laute Part seiner Arbeit an der Marktstraße 16 erledigt ist, schaut er Klaus Wrede an. „So, Sie können jetzt etwas erzählen“, sagt Demnig und lächelt. Wrede ist Betreuer des Jugendparlaments, das die Stolperstein-Verlegung in Brilon initiiert hat. Der Mitarbeiter der Stadt Brilon holt einen Zettel hervor und erzählt einen traurigen Teil der Geschichte der jüdischen Familie Fränkel. „Siegfried, Clara und Paul Fränkel haben hier einige Jahre gelebt. Siegfried ist im Jahr 1933 im Alter von 51 Jahren gestorben. Sein Sohn Paul ist hier in Brilon zur Schule gegangen und hat danach eine Ausbildung zum Automechaniker in diesem Haus gemacht“, sagt Wrede. In der Reichspogromnacht ist Paul Fränkel dann verhaftet worden. Er sollte ins KZ nach Sachsenhausen gebracht werden. „Er war sechs Tage im Gefängnis. Seine Mutter Klara Fränkel hat sich sehr für ihn eingesetzt, so dass er schließlich rauskam und nach Chile flüchten konnte.“ Klara Fränkel floh ein Jahr später in die Dominikanische Republik. Was aus ihnen geworden ist, „wissen wir nicht“, sagt Klaus Wrede und ergänzt: „Diese Familie gehört zu Brilon. Wir möchten ihnen hier und heute ein Andenken setzen.“
Weitere Stolpersteine geplant
Mittlerweile hat Gunter Demnig 80 Stolpersteine80 Stolpersteine in Brilon verlegt. 40 weitere sollen hinzukommen.
An der Marktstraße 16 und 12, Petrusstraße 2 und Mariengasse 1 wurden am Dienstag die 21 Stolpersteine verlegt. Hier wohnten die Familien Fränkel, Löwenstein, Klinger, Eichengrün, Goldschmidt, Loeb, Marburger, Goldbach und MansbergFränkel, Löwenstein, Klinger, Eichengrün, Goldschmidt, Loeb, Marburger, Goldbach und Mansberg.
Ein Zeitzeuge berichtet
Den Worten von Klaus Wrede lauscht auch Heinz Schreckenberg. Der 87-Jährige kannte die Familie Fränkel. „Ich war ihr Nachbar. Ich kann mich noch gut an damals erinnern“, sagt Schreckenberg vor dem Haus an der Marktstraße, in dem sich mittlerweile ein Friseurladen befindet. Er erinnert sich auch an die schrecklichen Ereignisse der Reichspogromnacht. „Die Feuerwehr wollte damals die Brände löschen. Aber die Nazis haben die Wasserschläuche durchgeschnitten“, sagt Schreckenberg und schüttelt den Kopf.
Während der Zeitzeuge berichtet, ist Gunter Demnig schon weiter gezogen. Der Künstler hat es eilig. 18 weitere Pflastersteine an drei Stellen muss er an diesem Tag noch verlegen. Opfergedenken im Dreiviertelstundentakt.
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