Westheim/Paderborn. Rainer Woitschek aus Westheim leitete das Team, das die Bombe in Paderborn entschärfte. Rund 140 Sprengkörper hat er bereits entschärft.

Bomben, Fliegergranaten, Munition. Immer wieder gibt es explosive Funde, sorgen Bomben-Blindgänger für Angst und Schrecken. So wie jüngst über Ostern in Paderborn. Dann kommen Entschärfer zum Einsatz. Rainer Woitschek (57) aus Westheim bei Marsberg ist einer von ihnen.

Er leitete als Truppführer das dreiköpfige Entschärfer-Team des Kampfmittelbeseitigungsdienstes Westfalen-Lippe der Bezirksregierung bei dem Großeinsatz in Paderborn – erfolgreich.

Dabei war der Großeinsatz nicht ohne und verdiente seinen Namen. Zum einen, weil die Fliegerbombe ein gewaltiger „Blockbuster“ war, zum anderen, weil die Entschärfung am Ostersonntag die Evakuierung von 26 000 Menschen nach sich. Sie gilt deshalb als die größte Evakuierungsaktion in der 150 000-Einwohner-Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg. Für Rainer Woitschek ein ganz normales Arbeitsszenario.

„Alle 36 Stunden ein Bombenfund in NRW“

1 Wie viele Blindgänger haben Sie schon entschärft?
Rainer Woitschek: Im Dezember 2016 bin ich in Dortmund für meine 100. Bombenentschärfung ausgezeichnet worden. Danach sind noch etwa 30 bis 40 Bomben hinzugekommen. Die Statistik zeigt: Alle 36 Stunden wird in NRW eine Bombe gefunden.

2 Noch viel Arbeit für Sie und Ihre Kollegen. Gehört die Lebensgefahr irgendwann zur Routine?
Die Gefahr für das eigene Leben und das der anderen darf nie zur Routine werden. Und Routine gibt es in diesem Beruf nicht. Jeder Bombenfund ist anders und einzigartig. Ich gehe an jede Entschärfung mit der gleichen Konzentration heran, als würde ich es das erste Mal machen. Wobei das Entschärfen von Bombenblindgängern und das Beseitigen von sonstigen Kampfmitteln nur etwa fünf Prozent unseres Arbeitsvolumens ausmacht. Die Organisation drumherum macht den eigentlichen Anteil aus.

3 Gab es in Hinsicht auf einen Bombenfund auch schon einmal falschen Alarm?
Das kommt vor. Ist aber überhaupt kein Problem, weil wir lieber sicherheitshalber für undefinierbare Teile rausfahren und kontrollieren. Dreimal haben Bürger zapfenähnliche Gegenstände gefunden und dachten, es seien Handgranaten. Beim näheren Betrachten waren es aber nur Gegengewichte von Kuckucksuhren.

Zwei Wochen später sitzt der 57-Jährige entspannt auf der Sonnenterrasse seines Einfamilienhäuschens auf dem Hoppenberg in Westheim und genießt den Blick über Westheim weit ins Diemeltal hinein. Es ist Wochenende und einer dieser herrlichen Frühsommertage. Wochentags kann er ihn nicht genießen. Dann ist er in Dortmund. Dort ist seine Dienststelle, gleich nebenan seine Zweitwohnung.

Gärtner fand die Riesenbombe

Auf dem Terrassentisch daheim in Westheim hat Rainer Woitschek 50 Zünder ausgebreitet. Sie stammen aus britischen und amerikanischen Bomben, die im Zweiten Weltkrieg über Deutschland abgeworfen wurden.

Ein kleines Ding mit großer Wirkung. Auf seinem Terrassentisch präsentiert Rainer Woitscheck eine kleine Auswahl. Sie alle wurden aus Blindgängern ausgebaut und aufgearbeitet.
Ein kleines Ding mit großer Wirkung. Auf seinem Terrassentisch präsentiert Rainer Woitscheck eine kleine Auswahl. Sie alle wurden aus Blindgängern ausgebaut und aufgearbeitet. © Annette Dülme

Es sei nur ein kleiner Teil der Mustersammlung. Er hat sie extra zu Vorführungszwecken zum WP-Interview mitgebracht. „Die Zünder sind das Herzstück einer Bombe“, erklärt der Experte in Sachen Kampfmittel. Die Bombe in Paderborn hatte drei. Es war eine Großladungsbombe Typ HC 4000. Mit zwei Metern Länge und einem Durchmesser von 80 Zentimetern. Brutto brachte sie 1,8 Tonnen auf die Waage und fasste 1,5 Tonnen reinen Sprengstoff.

Brandbombenangriff der Amerikaner tagsüber vorbereitet

Das Prinzip hinter der Bombe: dünner Metallmantel, viel Platz für Sprengstoff. „Mit Bomben dieser Art haben die Engländer nachts mit ihren Flächenangriffen über Deutschland den Brandbombenangriff der Amerikaner tagsüber vorbereitet.“ Mangels guter Zielgeräte hätten die Engländer die Bomben jedoch nicht exakt abwerfen können. So hätten sie Dortmund bombardieren wollen, aber Wuppertal getroffen. Der Blindgänger in Paderborn sei wahrscheinlich ein Notabwurf gewesen, sagt Woitschek. Vermutlich sei der Flieger selbst angegriffen worden und habe seine explosive Ladung loswerden müssen. Denn während des Krieges sei die Fundstelle in Nähe der Universität wilder Acker auf gesteinartigem Untergrund gewesen.

Bombenfunde dieser Art eine Seltenheit

Die Bombe schlug waagerecht auf und drang nur 80 Zentimeter tief in die Erde ein. Das ist der dritte Blindgänger dieser „außerordentlichen“ Art, die Woitschek in seiner rund 40-jährigen Laufbahn entschärft hat. 2013 und 2014 in Dortmund hat er Blindgänger gleichen Kalibers unschädlich gemacht. Die waren 2,50 Meter tief im Boden. Selten würden Blindgänger dieser Bombe aufgefunden, so der Kampfmittelexperte, weil selten alle drei Zünder versagt hätten. Wenn sie in einer Stadt explodierten, war im Umkreis von 200 Metern alles platt. Bis 1400 Metern waren Dächer abgedeckt, Fenster, Türen geborsten, Mauern eingestürzt. Sie hinterließ einen Krater von 25 Metern Durchmesser und sechs Metern Tiefe.

Bier mit Bürgermeister zum Dank

In Paderborn hat diese Riesenbombe keinen Schaden angerichtet. Bei Arbeiten im Garten hinter dem Haus war der Gärtner auf sie gestoßen. Der Hausbesitzer hatte zunächst vermutet, es sei ein alter Tank und den Fund beim Ordnungsamt gemeldet. Fast die gesamte Sprengstoffmenge war noch in der Bombe, hatten erste Untersuchungen ergeben. Woitschek weiß, dass dieser Bombentyp mechanische Aufschlagzünder hat.

Mit einem 150-Tonnen-Autokran wurde die 1,8 Tonnen schwere Bombe in Paderborn aus dem Garten hinter dem haus über das Haus geschwenkt und auf den Lkw verladen.
Mit einem 150-Tonnen-Autokran wurde die 1,8 Tonnen schwere Bombe in Paderborn aus dem Garten hinter dem haus über das Haus geschwenkt und auf den Lkw verladen. © privat

Gefährlicher seien chemische Zünder, bei denen Säure in einem Glasröhrchen eine Kettenreaktion auslösen. „Die sind unberechenbarer.“ Bei solchen Bomben würde der Zündmechanismus während des Abwurfs ausgelöst. Die Bombe schlug auf und explodierte je nach Zünder einige Stunden oder sogar erst Tage später. So sollten Menschen getötet werden, die nach einem Bombenalarm wieder ins Freie gekommen waren.

Mehr als sieben Jahrzehnte bedrohte der Blindgänger Paderborn. Nach dem Entschärfen trank Bürgermeister Michael Dreier mit den Entschärfern ein Bier. Das Paderborner Stadtoberhaupt hatte extra ein „Westheimer“ für den Mann aus Westheim besorgt. Um 21 Uhr war Woitschek wieder zu Hause. Den anderen Morgen um 4.30 Uhr machte er sich auf den Weg zu seiner Dienststelle in Dortmund.

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