Brilon. . Wegen gravierender Feuchtigkeitsschäden muss der Kirchturm der Briloner Stadtkirche abgerissen werden. Was kommt danach?

Überall erodiert der Glaube, in Brilon auch die Kirchen. Nach der katholischen Propsteikirche ist nun auch die evangelische Stadtkirche ein schwerer Sanierungsfall. Der Kirchturm ist so marode, dass er abgerissen werden muss. „Im Grunde“, sagt Pfarrer Rainer Müller, „ist der ganze Turm eine feuchte Trockenmauer.“

Der Schaden kam mehr oder weniger zufällig ans Tageslicht. Als nämlich bei der Vorbereitung der Neugestaltung des Kirchen-Innenraumes im Herbst Fachleute im Eingangsbereich die feuchten Fugen im Putz näher in Augenschein nahmen. Ein paarmal mit der Kelle gekratzt - und schon offenbarte sich das ganze Dilemma. „Da bröselte alles“, sagt Pfarrer Müller. Eine Laboruntersuchung offenbarte dann die ganze Dramatik.

Die feuchten Fugen sind deutlich sichtbar
Die feuchten Fugen sind deutlich sichtbar © Jürgen Hendrichs

Der Turm besteht aus bossierten Grauwacke-Quadern - wahrscheinlich, sagt Pfarrer Müller, wollte man damit in den frühen 20er-Jahren den Schinkel-Entwurf nachempfinden. Und dem bei Bau verwendeten Mörtel waren Bimsstein und Schlacke beigemischt. Beides zusammen bildet eine unheilvolle Symbiose.

Über die bossierte Oberfläche der unter Druck ohnehin zu Rissbildung neigenden Grauwacke drang Feuchtigkeit ins Mauerwerk. Für die war der Bims-Mörtel geradezu dankbar. Denn das poröse Material nimmt Feuchtigkeit besonders gut auf und kann sie prima speichern. Ist Nässe einmal im Bims-Mauerwerk drin, so steht es im Bau--Ratgeber, sei sie „nur schwer wieder loszuwerden“. Im jüngsten Pfarrbrief formuliert es Pfarrer Müller mit Galgenhumor: „Nicht jeder feuchte Fleck im Turm eignet sich zum Wunder für einen neuen Wallfahrtsort.“

Beim Trocknen würde Turm platzen

Während im Eingangsbereich der Kirche die nassen Fugen nur schwach durch den Wandanstrich schimmern, sind sie im Turm deutlich sichtbar. Und nicht nur das. Üppige Ausblühungen und Versalzungen in den Fensternischen und großflächige Flecken auf den hölzernen Böden und im Gebälk des Geläuts - der Fachmann nennt das Ettringit - zeigen das ganze Ausmaß der chemischen Reaktionen an.

Der Turm der Ev. Stadtkirche von Brilon ist marode. Hier Pfarrer Rainer Müller vor den Ausblühungen in einer Fensternichs
Der Turm der Ev. Stadtkirche von Brilon ist marode. Hier Pfarrer Rainer Müller vor den Ausblühungen in einer Fensternichs © Jürgen Hendrichs

„Das Ganze ist nach Angaben von Mineralogen ein nicht umkehrbarer Prozess“, gibt Pfarrer Müller die Einschätzung von Experten wieder. Das feuchte Mauerwerk einfach professionell zu trocknen, geht wegen der voluminösen Ettringit-Austreibungen nicht: „Der Turm würde platzen“, sagt Dr. Bettina Heine-Hippler, für den Hochsauerlandkreis zuständige Denkmalpflegerin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL). Sie hat den Schaden inspiziert und mit dem Presbyterium „alle Varianten einer Sanierung“ durchgesprochen. Ihr Fazit: „Leider gibt es gute Gründe“, die gegen den Erhalt des unter Denkmalschutz stehenden Turmes sprächen. Ein ähnliches Schicksal sei auch schon einer Kirche im Raum Schmallenberg widerfahren, sagt die Expertin.

Chance, etwas Neues zu entwickeln

Als Siegfried Paschkewitz, Presbyter der Ev. Kirchengemeinde, von den Schäden und den anstehenden Konsequenzen erfuhr, sei er „erschüttert“ gewesen: „Der Turm gehört doch zur Kirche. Das ist ein vertrauter Anblick.“ Auch für Bürgermeister Dr. Bartsch ist der anstehende Abriss ein städtebaulicher Verlust. Bilden die drei Kirchtürme - neben dem der Stadtkirche sind die von Nikolai- und die Propsteikirche - mit dem Rathaus eine Achse. Allerdings biete sich jetzt auch die Möglichkeit, „etwas Neues zu entwickeln“.

Kosten noch nicht absehbar

Genau das schwebt auch Pfarrer Müller vor. Über einen Architektenwettbewerb sollen Ideen ausgearbeitet werden. Dabei herauskommen muss kein neuer Turm. Der - zwangsläufig - neue Kircheneingang müsse „ins theologische Konzept passen“. Bei der Neugestaltung des Kirchen-Innenraums werde großer Wert der Transparenz und Einbindung der Gemeinde.

Entwurf von Karl Friedrich Schinkel

Die Ev. Stadtkirche wurde 1855/56 nach einem Entwurf von Karl Friedrich Schinkel errichtet.

Das Langhaus besteht aus behauenem Bruch- und Sandstein; es hatte ursprünglich einen Giebelturm.

Das LWL-Denkmalamt will auch hier nach möglichen Feuchtigkeitsschäden suchen.

Bisher kalkulierte die Ev. Kirchengemeinde die Neugestaltung des Innenraumes - inklusive neuer Heizung und eines neuen Lichtkonzeptes - auf rund 250 000 Euro. Jetzt kommen rund 65 000 Euro allein für den Abriss des Turmes hinzu und die - so Pfarrer Müller - „noch völlig offene“ Summe für dessen Ersatz. In den erforderlichen Anbau sollen auf jeden Fall die bisher fehlenden sanitären Einrichtungen untergebracht werden. Und die vier Glocken brauchen ebenso einen neuen Platz wie die alte mechanische Korfhage-Turmuhr. Deren letzte Stunde hat noch lange nicht geschlagen.

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