Brilon. . „Für diese Angeklagte kann man Sympathie entwickeln“ – Ursula Stolze vom Arbeitskreis Alte Schriften hat historische Dokumente transkribiert.

Drei Monate hat es gedauert, doch Spaß hat es auch gemacht: Ursula Stolze hat beim Arbeitskreis Alte Schriften historische Dokumente zu den späten Briloner Hexenprozessen übersetzt. Dafür hat sie sie aus der historischen in die heutige Schrift transkribiert. „Als ehemalige Apothekerin war Ursula Stolze besonders gut in der Lage, lateinische Fachbegriffe zu übertragen“, erzählt Helga Roeder, ebenfalls Mitglied im Arbeitskreis. Dabei handelt es sich um zwei Prozesse von 1684 und 1723, bei denen Frauen in Brilon der Hexerei bezichtigt worden waren. „Es war unheimlich fesselnd zu lesen“, sagt Ursula Stolze. Die 84-Jährige fügt hinzu, „so eine Geschichte zu erschließen ist überaus spannend.“

Erster Prozess: 1684

Es hört sich an wie aus einem historischen Roman entnommen: Eine Frau heiratet und wird später von ihrer neuen Stieftochter der Hexerei bezichtigt. Aufgrund einer zweiten Anschuldigung beginnt am 13. August 1684 der Prozess von Anna Muschel – so steht es in den Gerichtsakten. Sie soll ein Pferd getötet und eine Mäuseplage verursacht haben. Muschel fordert bei ihrer Anhörung am 16. August, dass ihr die Kläger vorgeführt werden. Anne Merecken, selbst der Hexerei beschuldigt, hatte sie bei einer Folterung belastet.

Weitere Mitstreiter gesucht

Zum Arbeitskreis Alte Schriften des Briloner Heimatbundes gehören zwölf Mitglieder. Neue Mitglieder sind willkommen.

Der Kreis trifft sich jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat und transkribiert gemeinsam Texte, die in historischer Schrift geschrieben wurden. Dazu zählen alte Briefe, Urkunden, Bücher, Gerichtsakten, Tagebücher und Feldpostbriefe, oft in Sütterlinschrift verfasst.

Sütterlin ist eine 1911 entwickelte Schrift für das Erlernen von Schreibschrift in der Schule.

Merecken wird Muschel am Stadttor des Niederen Quartals vorgeführt, doch das hat keine Auswirkungen auf den Prozess. Anschließend wird Anna Muschel ins Siechenhaus gebracht, das an der Kreuzung Altenbürener und Rixener Straße stand. Dort wird sie gefoltert und gesteht daraufhin verschiedene Taten, unter anderem, sich zusammen mit anderen Brilonern mit dem Teufel getroffen zu haben. Sie nennt zahlreiche Namen von Bürgern, die danach ebenfalls zu Opfern der Hexenprozesse werden. Sie wird schließlich zwischen September und Oktober hingerichtet – vermutlich auf dem Scheiterhaufen.

„Das Bild dieser Frau hat sich mir nicht so erschlossen – aber für die zweite Angeklagte von 1732 kann man richtig Sympathie entwickeln“, erzählt Ursula Stolze.

Zweiter Prozess: 1732

Beim zweiten Prozess wird eine Heilerin beim Briloner Bürgermeister angezeigt. Veronika Weigmann kann jedoch nachweisen, welche Kräuter sie für Arzneien verwendet hatte, die Krankheiten heilen konnten. „Sie hat sich gut verteidigt“, sagt Stolze. Schließlich schreibt die Angeklagte einen Brief an den Kölner Kurfürsten, in dem sie schildert, wie sie behandelt wird und dass ihr Sachen bei der Festnahme entwendet wurden. „Dieser Brief ist so schön und wunderbar geschrieben“, sagt Stolze mit sichtlicher Begeisterung. Die Briloner sind gezwungen, den Brief abzuschicken und fragen den Fürsten, was sie mit der Frau machen sollen. Daraufhin weist der Kurfürst an, sie auf Hexenmale zu untersuchen, wie beispielsweise ein Brandzeichen oder ein besonderes Muttermal. Da sie kein Zeichen trägt, wird sie „nur“ für eine Stunde an den Pranger gestellt und anschließend aus dem Land gejagt – aber überlebt.

„Sie war schlau, das sieht man an den Antworten, die sie gegeben hat – aber sie hatte eine sehr unleserliche Handschrift“, sagt die 84-Jährige schmunzelnd.

Die Lehre

„Damit haben wir eine Kriminalgeschichte aus früherer Zeit rekonstruiert“, erläutert Carsten Schlömer, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Museum Hövener. Gerade in Bezug auf die Hexenprozesse in Nordrhein-Westfalen sei dies ein noch fehlendes Mosaik-Teil in der Geschichtsschreibung gewesen, so Schlömer. Stadtchronist Winfried Dickel sagt: „Wichtig ist, dass man daraus lernt – denn es werden heute noch Menschen denunziert.“

Jetzt sollen die frisch gewonnenen Erkenntnisse auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden: „Wir wollen einen Geschichtsthemenabend veranstalten“, erklärt Carsten Schlömer. Das soll innerhalb des nächsten Monats passieren, ein konkreter Termin steht noch nicht fest.

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