Hamburg/Gevelinghausen. . Autor Karl Olsberg alias Karl-Ludwig von Wendt im WP-Interview zu seinem Buch „Boy in a white room“. Tenor: Hinterfragt die virtuelle Welt!
Bekannt ist er im Sauerland eher als Sohn des „Rennbarons“, als Karl Olsberg hat sich der Wahl-Hamburger Karl-Ludwig von Wendt indes längst einen Namen in der Autorenwelt gemacht. Mit seinem neuesten Werk, „Boy in a White Room“, will er vor allem jüngere Leser ansprechen und zum Nachdenken bringen.
Der Thriller spielt in einer virtuellen Welt, die sich so sehr mit dem Realen vermischt, dass sich beides zum Schluss nur noch schwer auseinander halten lässt. Es geht um die Frage: Was kann ich als Individuum in einer vernetzten Welt eigentlich noch selbst bestimmen? Der Autor hat sich sehr mit dem Thema auseinandergesetzt, im WP-Interview schildert er Chancen und Risiken, gerade auch für die jüngere Generation, die vernetzt aufwächst.
Wenn es, wie in Ihrem Buch thematisiert, Computer sogar schaffen, unsere Gefühle zu steuern, wie sollen wir dann - einmal vernetzt - später noch selbst entscheiden können?
Karl-Ludwig von Wendt: Maschinen beeinflussen uns schon heute. Was ich als Nächstes lese, bestimmt zum Beispiel zu einem gewissen Teil der Amazon-Empfehlungsalgorithmus. Welche Meinungen ich wahrnehme und welche nicht, darauf haben Google, Facebook und Twitter entscheidenden Einfluss. Maschinen manipulieren uns bereits jetzt mehr, als den meisten bewusst ist. Wir können uns das aber bewusst machen, es bewusst hinterfragen und bewusst auswählen – wir müssen es nur tun!
Aber, mal naiv gefragt: Ist es wirklich schlimm, wenn unser Bewusstsein nur noch fremdbestimmt gesteuert wird? Wir merken es ja dann gar nicht mehr, oder?
Ob das „schlimm“ ist, hängt davon ab, wer uns manipuliert und welche Ziele er verfolgt. Ich kann mir ein Zukunftsszenario vorstellen, in dem eine quasi allmächtige, gütige „Gottmaschine“ dafür sorgt, dass wir ein Paradies auf Erden haben. Aber ich fürchte, wahrscheinlicher ist, dass ein Egomane wie Trump oder Putin eine solche Maschine benutzt, um uns zu kontrollieren. Am liebsten wäre es mir, wenn diese Technik genutzt wird, um die Demokratie – also unsere Selbstbestimmtheit – zu stärken und nicht zu schwächen. Aber dazu müssen wir erst einmal lernen, uns den Manipulationen zu widersetzen. Auch deshalb habe ich „Boy in a White Room“ geschrieben.
Flucht aus einer Welt, die immer lebensunwerter wird? Gibt es das nicht schon jetzt?
Es klingt vielleicht paradox angesichts dessen, was ich zuvor gesagt habe, aber ich bin nicht so pessimistisch, was die Zukunft betrifft, eher neugierig. Die Welt ist nämlich tatsächlich in den letzten zweitausend (oder auch zweihundert) Jahren eher besser als schlechter geworden, jedenfalls für uns Menschen. Es gab immer Rückschritte und wir haben einiges zerstört und verloren, aber ich möchte nicht wieder zurück ins neunzehnte Jahrhundert mit einem Vierzehn-Stunden-Arbeitstag und einer durchschnittlichen Lebenserwartung von 40-50 Jahren. Andererseits haben wir heute die Möglichkeit, durch Gier oder Dummheit die Menschheit auszurotten, die hatten die Menschen vor hundert Jahren noch nicht. Ich hoffe, dass wir das verhindern können, aber es bedarf dazu aktiven Handelns – abwarten und zugucken, das reicht nicht. Im Übrigen kann niemand wirklich aus seiner Welt fliehen – auch das ist Thema des Buchs.
Ist es das, das selbst aktiv werden, was uns von der Maschine unterscheidet?
Es gibt einige weit verbreitete Irrtümer über Maschinen. Dazu gehört, dass sie keine Gefühle und keinen eigenen Willen haben können. Das ist Blödsinn. Ein selbstfahrendes Auto hat zum Beispiel sehr wohl einen Willen im Sinne des Ziels, das es erreichen möchte, und kann entscheiden, auf welchem Weg es dorthin fährt oder wie schnell. Es ist durchaus denkbar, dass solche Maschinen in Zukunft auch „Angst“ und „Schmerzen“ empfinden können, wenn sie zum Beispiel in eine gefährliche Situation geraten oder einen Unfall bauen.
Was uns von Maschinen unterscheidet, ist weniger das, was wir können, sondern eher unsere Beschränkungen. Wir sind langsam, träge, launisch, irrational. Es gibt keinen Grund, diese negativen Eigenschaften in Maschinen einzubauen. Also werden Maschinen uns nie ganz gleichen.
Sie treffen viele Menschen, die sich um künstliche Intelligenz kümmern, sind die alle so kritisch wie Sie?
Es gibt gerade unter den KI-Forschern viele, die sich sehr ernsthafte Gedanken machen. Beispielsweise gibt es das von dem MIT-Professor Max Tegmark gegründete und von Elon Musk unterstützte „Future of Life Institute“ oder eine unter anderem von dem KI-Forscher Stuart Russel gestartete Initiative, die sich bei den Vereinten Nationen für einen Bann autonomer Waffen einsetzt. Die meisten haben aber, so wie ich auch, mehr Angst vor den Menschen, die solche Technik missbrauchen oder naiv, dumm und egozentrisch einsetzen, als vor der Technik selbst.
In Computerspielwelten statt in Natur oder Disco unterwegs
Passagen aus dem Buch „Boy in a white room“, gemessen an der Wirklichkeit, zeigen, dass wir schon viel tiefer in der virtuellen Welt drin sind, als wir manchmal vermuten.
Sein vermeintlicher Vater bietet dem Protagonisten in Ihrem Buch an, künftig nur noch in Mittelerde, in einem virtuellen Spiel, zu leben.
„Ich fürchte, sehr viele Menschen würden sich für Mittelerde statt für die Realität entscheiden“, sagt Karl-Ludwig von Wendt aus der heutigen Position. Denn de facto passiere das doch bereits: „Millionen Jugendliche verbringen ihre Freizeit fast ausschließlich in virtuellen Computerspielwelten statt, wie ich früher, in der Natur oder in der Disco. Aber viele würde am Ende vielleicht doch das Wissen stören, dass es eben „nicht echt“ ist, so wie auch Manuel im Buch.
Kein Weinen, kein Schluchzen möglich: Leblose Marionetten, ohne eigenen Willen, ohne echte Empfindungen, ohne Seele“ - so empfindet sich der Protagonist.
„Maschinen werden nie genau wie Menschen funktionieren. Wozu auch?“, fragt von Wendt. Aber intelligente Maschinen werden alles, wirklich alles viel besser können als wir, und zwar schon viel eher, als die meisten Menschen glauben. Was dann mit uns passiert, ist extrem schwer vorherzusagen.
Elektroden im Kopf implantiert, Experimente mit Menschen, künstliche Stimmen - all dies bestimmt die Handlung des Buches.
„Vieles von dem, was im Buch beschrieben wird, gibt es schon. Maschinen können Blinde wieder sehen und Gelähmte ihre Hände bewegen lassen“, sagt von Wendt. Der geniale, schwerstkranke Physiker Stephen Hawking habe zum Beispiel ja so eine Maschine, die für ihn spricht. „Maschinen können inzwischen mit Gedankenkraft gesteuert werden und – in noch beschränktem Umfang – sogar Gedanken lesen. All das entwickelt sich rasant weiter“, betont von Wendt. Man könne diese Technik dazu nutzen, um Menschen zu heilen und Not zu lindern, aber auch, um Andersdenkende zu unterdrücken und ganze Völker auszurotten. „Die Technik ist nicht unser Problem, sondern der Mensch.“
Am Ende des Buches läuft alles auf die Formel hinaus: „Cogito, ergo sum“ - Ich denke, also bin ich.
„René Descartes wollte mit „Cogito, ergo sum“ vor allem eines ausrücken: ,Ich kann nichts sicher wissen, außer, dass es mich gibt’“, sagt von Wendt. Alles andere hänge von Sinneswahrnehmungen ab, und die könnten getäuscht werden. „Genau darum geht es: Die digitalen Medien geben uns ein verzerrtes Bild der Wirklichkeit. Denken Sie an Fake News, an Facebook-Manipulation im US-Wahlkampf oder auch nur an die Filterblase – individuell auf mich als Nutzer abgestimmte, nur scheinbar objektive Suchergebnisse bei Google“, unterstreicht von Wendt. Die heutige Always-on-Welt treibe die Verzerrung auf die Spitze. „Meine Botschaft an die Leser des Buchs ist: Glaubt nichts, bloß weil es euch jemand sagt. Hinterfragt alles, was ihr seht und hört. Benutzt euren Verstand.“ Den werde man in der Welt der Zukunft dringender brauchen als je zuvor.
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