Oberschledorn/Korbach. Architekt Christoph Hesse aus Korbach hat 20 internationale Baumeister motiviert, Visionen vom ländlichen Wohnen zu entwickeln.
Wie stellen sich 20 internationale Architekten das Leben bzw. Wohnen mit und in der Natur vor? Mögliche Antworten auf diese Frage will eine Ausstellung in Kassel geben. Sie heißt „experimenta urbana“ und geht auf den documenta-Gründer Prof. Arnold Bode zurück. Damit die Baumeister aus aller Herren Länder auch eine Diskussionsgrundlage haben, steht in diesem Jahr ein interessantes Projekt im Zentrum der „experimenta“. Es heißt „Ways of Life“, also „Lebensweisen“. Initiiert und entwickelt hat es der 40-jährige Architekt Christoph Hesse, der aus Referinghausen stammt, in Oberschledorn lebt und seit 2008 in Korbach ein Architekturbüro betreibt.
„Könnten Sie auch gleich 20 Häuser bauen?“ Als der Bürgermeister von Waldeck diese Frage stellt, müssen Architekt Christoph Hesse und ein Investor erstmal schlucken. Aber nur ganz kurz. Auf der Halbinsel Scheid am Edersee will die Gemeinde auf einer 30 000 Quadratmeter großen Fläche eine kleine Siedlung entstehen lassen. Kein Feriendorf, sondern ein Wohngebiet. Vielleicht etwas, das dem Land-Flucht-Trend Rechnung trägt, das unterschiedliche Nutzer mit unterschiedlichen Sehnsüchten gleichermaßen anspricht. „Eigentlich waren wir von zwei, drei Objekten ausgegangen. Aber natürlich können wir auch zwanzig planen. Aber irgendwie hat es mich gereizt, dass auch noch andere Kollegen einen Blick auf das Plangebiet werfen und sich Gedanken machen. Innovative Gedanken über das Spannungsfeld urbane und regionale Entwicklung. Denn oft haben wir Architekten eine zu städtische Brille auf und vernachlässigen gerade solche ländlichen Projekte“, sagt der 40-Jährige.
Die Balance finden
Für Christoph Hesse ist ein Haus mehr als nur ein Gebäude, eine Fläche mehr als nur ein Bauplatz. Er ist fest davon überzeugt, dass jedes Fleckchen eine eigene Ausstrahlung hat, die der Planer aufnehmen und verstehen muss, um daraus einen Ort des Ankommens zu machen. Die Balance zwischen wirtschaftlichem Interesse künstlerisch-architektonischem Anspruch und nachhaltigem-sozialen Ansatz ist ihm wichtig. „Der Bauherr muss aber bei allem das Gefühl haben, ein Stückweit Autor des Projektes zu sein. Bei diesem schönen Gelände ist es mir wichtig, einfach auch mal darüber zu reflektieren, was architektonisch machbar und für den Ort vertretbar ist. Denn Leben auf dem Land hat Zukunft.“ Neue Kommunikations-Technologien schaffen inzwischen den Spagat zwischen Wohnen im Grünen und dem globalen beruflichen Mitmischen. Auch der 40-Jährige selbst hat nicht das Gefühl, auf dem Land ins Hintertreffen zu geraten. Ganz bewusst hat er sich für eine Rückkehr entschieden.
Auszeichnung
In Essen sind „Christoph Hesse Architekten“ am vergangenen Wochenende mit einem Top-100-Innovationspreis“ ausgezeichnet worden. Die Ehrung wird den 100 innovativsten Firmen Deutschlands zuteil. Wissenschaftsjournalist Ranga Yogheshwar überreichte Hesse und seiner Frau die Auszeichnung.
Aktuell ist ein Projekt aus dem Korbacher Architektenbüro für den DAM-Preis Deutscher Architekten nominiert. Es handelt sich um ein zylindrisch-geformtes Haus in Titmaringhausen. Das Objekt ist in der sogenannten Shortliste zum Preis für Architektur aufgeführt, das heißt die Zahl der verbliebenen Teilnehmer wird immer enger. Nicht mehr in der Shortliste ist z.B. die Elbphilharmonie in Hamburg.
Studium in Zürich und Harvard
Hesse hat Architektur in Zürich studiert, in Frankfurt, Berlin und London gearbeitet, danach einen Städtebau-Master an der Harvard-Universität in Boston draufgesattelt und ist daher international gut vernetzt. Sein erster Ansprechpartner war Studienkollege Neeraj Bhatia in San Francisco. „Ich habe ihn einfach gefragt, ob er sich vorstellen kann, für diesen speziellen Ort einen speziellen Entwurf zu machen,“ sagt Christoph Hesse. Es folgen weitere, zum Teil namhafte Kollegen aus China, Russland, Belgien, Mexiko, Polen oder Norwegen, denen er alle planerischen Freiheiten lässt. Und schnell wird klar, es werden sich genügend Teilnehmer finden. Jeder von ihnen bekommt ein Grundstück in der Größe von 500 bis 800 Quadratmetern zugewiesen und hat geplant.
Zurzeit hat Christoph Hesse neben seiner planerischen Tätigkeit auch noch einen Lehrauftrag in Kassel, wo er Architekturstudenten unterrichtet. Deren Schwerpunkt-Thema des vergangenen Semesters ist – wen wundert es - „Ways of Life“. Und somit sind die Studenten „Architekt Nummer 20“ in der Liste der teilnehmenden Baumeister. Zwei Professoren aus Kassel bekamen Wind von dem ambitionierten Vorhaben und beschlossen, die Idee zur zentralen Ausstellung der „experimenta urbana“ zu machen.
20 Köpfe, 20 Ideen
Die Ideen aus 20 verschiedenen Köpfen könnten nicht unterschiedlicher sein. Das Fachwerkhäuschen mit Mühle reflektiert über Beschränkung, Selbstversorgung und gewachsene Bautradition. Ein elliptischer Glaskörper schraubt sich spiralförmig in die Luft, ein unscheinbarer Turmbau stapelt sein Raumangebot übereinander und Projektinitiator Christoph Hesse hat ein Z-förmiges Haus komplett aus Beton entworfen, bei dem ein unterirdisches und ein aufgeständertes Geschoss miteinander harmonieren. Es gibt ein Ein-Raum-Haus und ein Baumhaus auf hydraulischer Stelze. Kurz: Es gibt nichts, was es nicht gibt.“
„Letztlich war es meine Intention, Inspirationen zu generieren. Vielleicht sind manche Ideen schwierig umzusetzen oder finden niemanden, der haargenau so bauen möchte. Ganz bestimmt regen sie aber zum Nachdenken an und sind vielleicht Gedankenstützen oder Impulsgeber für ähnliche Projekte“, sagt Hesse. Nicht zuletzt sei das Projekt aber vielleicht auch eine Inspirations-Quelle für Entscheidungsträger, für Kommunen, die Bebauungspläne aufstellen.
Wo zu sehen?
Die „experimenta urbana“ läuft vom 5. bis 30. Juli im Südflügel des Kulturbahnhofs (Hauptbahnhof) in Kassel und vom 1. August bis zum 17. September im Foyer der Uni Kassel. Wegen der documenta war es schwierig, Räume zu finden. Danach geht die Ausstellung auf Wanderung u.a. nach New York in die Storefront Gallery.
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