Elleringhausen./Brilon . Mitglieder der Selbsthilfegruppe Adipositas im Krankenhaus Maria-Hilf Brilon erzählen. Sarah Wiese hat 65 Kilo abgenommen.
- Mitglieder der Selbsthilfegruppe Adipositas erzählen ihre Geschichte
- 65 Kilo hat Sarah Wiese seit ihrer Schlauchmagen-Operation abgenommen
- „Alles hat sich geändert“, sagt die 37-Jährige, die mal 153,7 Kilo wog
An Sarah Wieses Arm funkelt ein Armband, ihr Handy ist mit Strasssteinen besetzt. „Jetzt geht das wieder: auffallen“, sagt sie, als sie ihr Handy in die Hand nimmt. Im Januar 2016 unterzog sich die 37-Jährige einer Schlauchmagen-Operation.
Ein langer Weg
„Ich war schon immer dick“, sagt sie. Ihr Höchstgewicht: 153,7 Kilo. Heute ist Sarah Wiese eine aufrechte und selbstbewusste Erscheinung, ihr Gesicht hat feine Konturen. Wenn sie lächelt, erreicht das Lachen auch ihre Augen. Das war nicht immer so, sagt Sabrina. „Du hast früher oft so mürrisch geschaut.“ 65 Kilo hat Sarah Wiese seit ihrer Operation abgenommen. „Ich bin viel lebensbejahender, von Grund auf positiv geworden“, betont sie. Bis zu dieser Erkenntnis war es ein langer Weg. Ihre Geschichte, was sie motiviert und bewegt, teilt Sarah Wiese als Leiterin der Adipositas Selbsthilfegruppe des städtischen Krankenhauses Maria-Hilf mit anderen Betroffenen wie Sabrina und Julia.
Wenn früher ein Fest wie Ostern anstand, bedeutete das für Sarah Wiese eine Herausforderung. Vor allem wegen der vielen Leckereien. „Dieses Jahr haben wir zu Ostern bewusst zum Brunchen eingeladen und nicht zu Kaffee und Kuchen“, sagt die Arzthelferin. „Da kann man viele gesunde Kleinigkeiten vorbereiten.“ 100 bis 200 Gramm nimmt sie pro Mahlzeit zu sich. Wenn es mal schwierig wird, weil alle anderen ohne sich zu zügeln weiteressen können, geht sie zum Spiegel. „Dann schaue ich mich an und mir wird klar: Kein Essen der Welt kann das Gefühl ersetzen schlank zu sein.“
Ein Gefühl, das ihr lange Zeit verwehrt blieb. „Mit 19 hatte ich den ersten gutartigen Kopftumor. Das ganze Spiel wiederholte sich drei Mal. Ich bekam Kortison und wurde immer dicker.“ Während andere Heranwachsende Party machten, lag Sarah Wiese im Krankenhaus. „Nach der Geschichte hatte ich noch ein oder zwei Freunde – das war schon hart“, erinnert sie sich. „Ich hab manchmal darüber nachgedacht, es zu beenden.“
Immer der Außenseiter zu sein, im Sport als Letzte gewählt zu werden: Es ist wie eine Kettenreaktion, sagt Julia. „Man ist selber gar nicht mehr so aktiv, wird gemobbt und traut sich irgendwann nicht mehr.“ Adipositas bedeutet krankhaftes Übergewicht – „das sind nicht die zehn Kilo zu viel, sondern 40, 60 und drüber“, erklärt Julia. Ab einem gewissen Zeitpunkt könne man dagegen nicht mehr ankommen.
Wie eine Kettenreaktion
„Ich war beim Endokrinologen, weil ich immer mehr zugenommen und gedacht hab: Das ist doch nicht mehr normal“, erzählt Sarah Wiese. Bis dahin sei eine Adipositas-Operation für sie ein No-Go gewesen: „Ich wollte mich nicht verstümmeln lassen“. Der Arzt habe klar gemacht, dass sie entweder die Operation machen müsse, oder ihre Kinder nicht aufwachsen sehen würde. Auf einen Familienrat im Sommer 2015 folgte das Ja zur Operation.
Julia hat diese Entscheidung auch getroffen. Sie las einen Bericht über Sarah Wiese – „Das war ein Aha-Erlebnis“, sagt die 38-Jährige. „Ich hab dann gleich geschaut, wann das nächste Treffen der Selbsthilfegruppe ist.“ Sie sei nie ein dickes Kind gewesen, habe Ballett getanzt und sei geritten. „Ich weiß nicht, warum ich so dick geworden bin“, erklärt die Architektin. Sie hofft, dass es an einer Hormonstörung liegen könnte, wie sie bei Sarah Wiese diagnostiziert worden ist. Um die Operation von der Krankenkasse bezuschusst zu bekommen, absolviert Julia derzeit ein multimodales Therapiekonzept. Es beinhaltet verschiedene Arztbesuche, z.B. beim Psychiater und beim Chirurg, den Besuch der Selbsthilfegruppe und einen Nachweis über sportliche Betätigung.
Der legendäre Klick im Kopf
„Man operiert nicht den Kopf, sondern den Magen“, sagt Julia. „Es muss auch im Kopf Klick machen“, ergänzt Sarah Wiese. Die richtige Vorbereitung sei wichtig – und lohne sich: „Alles hat sich geändert.“ „Das Gefühl, zum ersten Mal wieder die Beine übereinanderschlagen zu können war schön“, erinnert sich die 37-Jährige. Heute kann sie fliegen, ohne nach einer Gurtverlängerung zu fragen und Schützenfeste besuchen, ohne Angst, die Bierzeltgarnitur könnte zusammenbrechen. Und sie kann tanzen: am liebsten die ganze Nacht.
Was ist eigentlich Adipositas?
Adipositas bedeutet krankhaftes Übergewicht. Ab einem Body-Mass-Index von 35 oder 40 geht Adipositas mit Gesundheitsgefährdungen einher. „Das sind dann nicht nur Übergewichtsfolgen an Gelenken, was jeder so kennt“, sagt Dr. med. Ralf Kirchner, der seit 2010 Chefarzt des Fachbereichs Allgemein- und Viszeralchirurgie am Städtischen Krankenhaus Maria-Hilf Brilon ist. Stoffwechselbezogene Erkrankungen, Gefährdungen des Herzkreislaufsystems und bösartige Erkrankungen nehmen zu.
„Es ist kein Life-Style zu operieren, sondern eine Verbesserung der Gesundheit“, betont Kirchner. Die Genehmigung einer Adipositas-Operation als Kassenleistung unterliegt strengen Kriterien. „Teilweise gibt es so hohe Hürden, dass Hilfesuchende durchs Raster fallen“, erklärt er. Wenn Betroffene die Genehmigung erhalten, das Multimodale Therapiekonzept also erfolglos bleibt, gibt es folgende Operationsmöglichkeiten:
- Magenband: Die Einschnürung des Magens lässt nur eine geringe Nahrungsaufnahme zu.
- Schlauchmagen: Ein Teil des Magens wird entfernt, sodass vom Magensack nur noch ein Schlauch bleibt. Die Operation sorgt für eine verringerte Nahrungsaufnahme und zusätzlich für hormonelle Veränderungen. Die Aufnahme von Vitaminen und Spurenelementen bleibt in Takt.
- Bypass: Die Operationsrisiken sind höher, die Bypass-Operation ermöglicht dafür eine etwas bessere Abnahme. „Sie schränkt die Nahrungsaufnahmemöglichkeit, aber auch die Aufnahmestrecke ein“, erläutert Kirchner, „und damit auch die Aufnahme von Vitaminen und Spurenelementen“.
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