Brilon. . Deutlich weniger Singvögel als üblich werden an den Futterstellen registriert. Warum ist das so? Eine Spurensuche im Hochsauerland.
- Auch der Verkauf von Vogelfutter ist seit vier oder fünf Wochen völlig eingebrochen
- Witterung hat bei Großvögeln wie Rotmilan und Mäusebussard für ein schlechtes Brutjahr gesorgt
- Biomasse an Fluginsekten ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich zurückgegangen
Über Weihnachten haben viele Menschen nicht nur Schnee vermisst. Auch Wintervögel lassen sich nicht blicken. „Ich selber bemerke das auch“, sagt Johannes Schröder aus Marsberg, Vorstandsmitglied vom Verein für Natur- und Vogelschutz (VNV) im HSK. Auch der Heimtierhandel registriert das Phänomen: „Der Verkauf von Vogelfutter ist seit vier, fünf Wochen völlig eingebrochen“, sagt Birgit Kürmann vom gleichnamigen Heimtierbedarfs-Fachgeschäft in Brilon.
Vogelgrippe ist nicht Schuld – sie ist vorwiegend für Wasser- und Hühnervögel gefährlich
Bis zu 80 Millionen Euro geben die Deutschen jährlich für Meisenknödel & Co. aus. Immer mehr Fütterer stellen jedoch fest, dass ihnen die Gäste ausbleiben. Dass es etwa im Spätsommer etwas ruhiger wird in den Gärten, hängt unter anderem mit der Mauser zusammen. Die Vögel müssen ihr Gefieder rundum erneuern und sind während dieser Zeit häufig nur eingeschränkt flugfähig. Um keine Räuber auf sich aufmerksam zu machen, leben die Vögel daher versteckt und halten den Schnabel. Die Mauser ist bei den allermeisten Singvogelarten aber Mitte September vorbei.
Natürlich sind im Winter ohnehin weniger Vögel da, als in Frühjahr und Sommer. Ab August geht’s nämlich ab in den Süden: Frühstartern wie Mauersegler, Grasmücke, Nachtigall und Storch folgen zur Hauptzugzeit Anfang Oktober rund 50 Millionen weitere Vögel. Doch auch dieses jährlich wiederkehrende Ereignis ist keine Erklärung.
Massensterben bei Grünfinken wird seit 2009 beobachtet
„Die Vogelgrippe“, hört und liest man öfter von besorgten Vogelfreunden. Der Landesband für Vogelschutz gibt jedoch Entwarnung. Schließlich sei die Vogelgrippe vorwiegend für Wasser- und Hühnervögel gefährlich. „Wahrscheinlich liegt es an der Witterung“, meint Johannes Schröder. Diese habe bei Großvögeln wie Rotmilan und Mäusebussard für ein schlechtes Brutjahr gesorgt. Auch für Kleinsäuger wie Mäuse sei es ein schlechtes Jahr gewesen. Somit fehlte den Großvögeln die Futterbasis.
Die nasskalte Witterung im Frühjahr sieht auch der Naturschutzbund Deutschland (NABU) als Grund dafür, dass viele Bruten nicht ausgeflogen sind. Doch auch die derzeit milde Witterung könnte für ein (noch) Ausbleiben der Futtergäste sorgen. Darüber hinaus seien viele „Wintergäste“ aus dem Norden, z.B. Seidenschwanz und Birkenzeisig, vielerorts noch nicht da.
Besonders Amseln machten Vogelliebhabern Sorgen. Doch das im Spätsommer ausgebrochene Usutu-Virus soll ihre Bestände „allenfalls lokal“ gefährdet haben, so der NABU. Bereits seit Anfang Mai 2009 beobachtet man bundesweit ein Massensterben bei Grünfinken. Ursächlich hierfür ist der einzellige Parasit Trichomonas gallinae, der auch an von Menschen gestellten Futter- und Wasserstellen immer wieder viele Tiere aufgrund der hohen Keimdichte dahinrafft.
Blick auf die Windschutzscheibe zeigt: Es gibt immer weniger Insekten
Sollte man auf eine ganzjährige Fütterung also lieber verzichten? Prof. Peter Berthold, emeritierter Professor für Ornithologie und Deutschlands wohl bekanntester Vogelforscher widerspricht vehement, sieht Ganzjahresfütterung sogar als „moralische Pflicht“. Schließlich trage der Mensch durch Pestizide oder Monokulturen die Hauptverantwortung für den Rückgang der Populationen. So sei der Bestand an Singvögeln in den letzten Jahrzehnten um rund 450 Millionen Individuen geschrumpft.
Die häufige Empfehlung, erst bei geschlossener Schneedecke oder ab -5 Grad Celsius zu füttern, ist laut Prof. Berthold „mit die unsinnigste Empfehlung überhaupt“. Es sei wichtig, dass Vögel die Futterstellen kennen, bevor die Nahrung knapp wird. Meisengroße Vögel verlieren in eine Winternacht bis zu zwei Gramm Körpergewicht, nur um ihre Körpertemperatur aufrecht zu erhalten – das sind 10 Prozent der Gesamtkörpermasse. Ein rasches Auftanken der Reserven ist lebenswichtig. Doch auch im Sommer und während der Brutperiode plädiert Prof. Berthold für eine Zufütterung. Die meisten Singvogelarten sind zumindest als Jungvogel von Insekten abhängig. Die Biomasse an Fluginsekten ist in den vergangenen Jahrzehnten allerdings um rund 80 Prozent zurückgegangen. Wem das zu abstrakt ist, der muss nur mal einen Blick auf seine Windschutzscheibe werfen. War die während der warmen Monate noch vor wenigen Jahrzehnten schon nach einer kurzen Autofahrt übersät mit „angeklatschten“ Insekten, bleibt sie heutzutage fast sauber.
Grund zur Panik sieht Johannes Schröder vom VNV aber derzeit nicht
Altvögel müssen also große Anstrengungen unternehmen, um ihre Brut satt zu kriegen. Um sich dann zwischendurch zu stärken, sind Futterplätze willkommen. Tatsächlich werde in der Brutperiode oft sogar mehr Futter an Silos und Häuschen verbraucht als im Winter.
Angst, dass die Vogeleltern aus „Bequemlichkeit“ ihren Jungtieren dann für sie (noch) ungeeignetes Futter aus dem Häuschen bringen, braucht man nicht haben. Dies konnte keine Studie belegen und auch Beobachtungen sprechen dagegen. So ein Spatz hat schließlich keine Meise und weiß genau was sein Nachwuchs braucht.
Grund zur Panik sieht Johannes Schröder derzeit nicht. Es gebe eben immer wieder Schwankungen in Populationen. So würden beispielsweise die Bestände von Schleiereule und Eisvogel in besonders harten Wintern völlig einbrechen. „Ihnen fehlt dann schlichtweg die Futterbasis“, so Schröder. Eulen haben mit Ausnahme der Schneeeule dazu die anatomische Besonderheit, dass sie keine Fettreserven ansetzen können. Wenn die dann nicht genug Kleinsäuger finden, heißt’s für die Eule ganz schnell „aus die Maus.“
Schröder möchte weder bagatellisieren noch dramatisieren. Wir sollten die aktuellen Entwicklungen aber in jedem Fall „im Auge behalten.“
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