Hochsauerlandkreis. . Silvester ist für viele Hunde aufgrund der Böller eine Qual. Wir geben Tipps, wie sie am Jahresende für Ihr Tier möglichst angenehm gestalten.
- Für viele Hunde ist Silvester meist eine Qual, denn die Feuerwerkskörper sind Gift für die geräuschempfindlichen Tiere
- Um Silvester für den eigenen Hund stressfrei zu halten, helfen einige vorbeugende Maßnahmen
- Nicht jeder Tipp hilft aber auch bei jedem Hund, es kommt auf die individuellen Bedürfnisse des Tiers an
Plötzlich bricht die Hölle los: Für viele Haustierbesitzer bleibt der „Gute Rutsch“ Jahr für Jahr ein frommer Wunsch. Während mancher Vierbeiner nur mit leichter Unruhe auf das Feuerwerk reagiert, entwickeln andere eine ausgeprägte Geräuschangst mit panikartigen Zuständen, begleitet von Symptomen wie Hecheln, Speicheln, Rastlosigkeit und starkem Zittern.
Nicht wenige müssen sich übergeben oder können Kot und Urin nicht mehr halten. Manche Rassen, wie viele Hütehunde, gelten durch ihre erhöhte Geräuschempfindlichkeit als besonders gefährdet, treffen kann es aber jeden. Was tun?
Die gute Nachricht: Es gibt Abhilfe. Den Ratschlag, man solle seinen Hund nicht „trösten“, da das die Angst verstärke, kann man in die Mottenkiste packen. Es ist unmöglich Angst durch positive Zuwendung zu verstärken. Wichtig ist, dass der Hund die ihm zugedachte Aufmerksamkeit wirklich als positiv erlebt.
Enge Umarmungen etwa mögen die meisten Hunde nicht. Sie sind nur ein zusätzlicher Stressfaktor. Auch Mitleid kann ein Hund nicht gebrauchen. Beistand erwartet der Hund aber auf jeden Fall. Hundebesitzer sollten ihm durch souveränes Verhalten zeigen, dass sie sein Fels in der Brandung sind. „Social Support“ nennt man das in der Verhaltensbiologie.
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Tipps: „Thundershirt“ und „Rescue Tropfen“
Sicherer Ort
Auch einen sicheren Rückzugsort wissen viele Hunde zu schätzen. Oft werden höhlenartige Plätze mit Seiten- oder Deckenkontakt bevorzugt.
Konditionierte Entspannung
Neben weiteren allgemeinen Tipps wie „Fenster schließen, Radio an und Vorhänge zu“ gibt es eine Vielzahl weiterer Möglichkeiten. So arbeiten immer mehr Trainer mit konditionierter Entspannung: Über klassische Konditionierung lernt der Hund einen Zustand der Entspannung mit einem bestimmten Signal – das kann zum Beispiel ein Wort sein oder ein Geruch – zu verknüpfen.
Gut trainiert „kann“ er dann später gar nicht anders, als sich auf das Signal hin zumindest ein wenig zu entspannen. Aus dem Biologieunterricht kennt wohl jeder den berühmten Pavlov’schen Hund mit der Glocke, dem Futter und dem Speichel. Gleiches Prinzip.
Thundershirt
Andere Hundehalter vertrauen auf das Thundershirt. Ein Shirt, das über Wickeltechnik einen großflächigen Druck auf den Körper ausübt und so für die Freisetzung des auch als „Kuschelhormon“ bekannten, beruhigend wirkenden Oxytocin sorgt. Einige Hund ertragen dieses eingeengte Gefühl jedoch gar nicht, reagieren mit verlangsamten Bewegungen oder „frieren“ gar völlig ein.
Zeigt ein Hund Stresssignale wie beispielsweise wiederholtes Gähnen, Blinzeln, das Anwinkeln eines Vorderlaufs oder „Züngeln“, also ein kurzes, schnelles Belecken der eigenen Nase, eignet es sich nicht. Turid Rugaas, international bekannte Kynologin aus Norwegen, steht dem Shirt kritisch gegenüber, da ihrer Erfahrung nach viele Hundehalter einen gehemmten Hund mit einem entspannten verwechseln.
Reagiert ein Hund aber in gewünschter Weise, sollte man das Shirt auch einfach so im Alltag immer wieder mal anziehen, damit es keine Ankündigung für stressige Situationen wird.
Homöopathie und Bachblüten
Von den Naturwissenschaften sehr kritisch betrachtet werden die Homöopathie und Bachblüten. Wirkstoffe im eigentlichen Sinn enthalten diese Mittel schließlich nicht. Dennoch schwören viele Tierbesitzer auf Globuli oder die bekannten „Rescue Tropfen“ nach Dr. Bach.
Ist der Halter nämlich von der Wirkung überzeugt, kann sich das per Stimmungsübertragung positiv auf das Tier auswirken. Placebo-by-Proxy, „Placebowirkung durch die Angehörigen“, nennt sich dieses Phänomen.
Phytotherapie
Sehr oft mit der Homöopathie verwechselt, jedoch eine ganz und gar andere Heilmethode ist die Phytotherapie, also die Behandlung mit pflanzlichen Präparaten.
So gelten bei Nervosität und Unruhe beispielsweise Johanniskraut, Baldrian oder Hopfen als vielversprechend. Auch Nahrungsergänzungsmittel, die pflanzliche Wirkstoffe mit Aminosäuren verbinden, können manchmal helfen.
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Tipps: Desensibilisierungs-CD und Kauspielzeug
Medikament Sileo
Tierarzt Dr. Günter Becker aus Alme empfiehlt bei Geräuschangst darüber hinaus das Medikament Sileo. Es wird bei Bedarf auf die Maulschleimhaut des Hundes aufgetragen.
Pheromone
Eine weitere Möglichkeit ist das in verschiedenen Darreichungsformen erhältliche D.A.P. - „Dog Appeasing Pheromone“. Solche Pheromone bildet eine Mutterhündin im Bereich der Gesäugeleiste. Sie vermitteln den Saugwelpen ein starkes Gefühl von Geborgenheit.
Dies soll auch bei erwachsenen Hunden oft noch funktionieren. Weiß man allerdings, dass der Hund eine schlechte oder gar traumatische Welpenzeit erlebt hat, ist von der Verwendung abzusehen.
Desensibilisierungs-CD
Darüber hinaus gibt es etliche Desensibilisierungs-CDs, die dem Hund helfen können, sich langsam an ungewohnte Geräusche zu gewöhnen. Da ein Feuerwerk aber nicht nur aus Geräuschen, sondern auch aus Lichtblitzen und Gerüchen besteht, ist eine alleinige Anwendung oft nicht ausreichend.
Einfach Kauen lassen
Auch Kauen wirkt auf Hunde entspannend. Wenn er also das Fressen stressbedingt nicht verweigert, kann man ihm mit Kauartikeln oder befüllbaren Spielzeugen wie einem Kong helfen. Beim Kauen setzen Hunde Endorphine frei und fühlen sich quasi automatisch besser.
Abstand nehmen sollte man von extrem harten Kauartikeln wie Geweihstangen oder Kauwurzeln. Tierärzte warnen immer wieder vor der Gefahr einer Kronenschuppenfraktur am oberen Reißzahn.
Diese auch als „slab fracture“ bezeichnete, sehr schmerzhafte Verletzung bleibt oft lange unentdeckt, da sich die Reißzähne im Vergleich zu den gut sichtbaren Fang- und Schneidezähnen weit hinten im Maul befinden und die Frakturen gerade bei älteren Tieren leider oft von Zahnstein verdeckt werden. Auch Dr. Becker lehnt solche ultraharten Kauartikel als unsinnig und riskant ab. Sie sind also auch für den Silvesterabend ungeeignet.
Futtersuchspiele
Je nachdem wie hoch der Stresspegel ist, kann man auch versuchen, seinen Hund ein wenig abzulenken. Futtersuchspiele, bei denen der Hund hochkonzentriert seine Nase einsetzen muss, eignen sich hierzu besonders. Solche Such- und Konzentrationsaufgaben sind während der Tage mit erhöhter „Böllergefahr“ ohnehin gut zur Beschäftigung geeignet.
Wichtig: den Hund angeleint lassen. Um die Silvesterzeit herum entlaufen in blinder Panik immer wieder Hunde, von denen die Besitzer das niemals erwartet hätten.
Einfach auf und davon
Banaler Tipp zum Schluss: Auf und davon. Hund einpacken und auf die Autobahn. Viele Hundehalter machen das so, um dem Stress zu entfliehen. Welche Methode am besten passt, hängt vom Hund-Mensch-Team ab. Allen Haltern und ihren Hunden einen (hoffentlich) Guten Rutsch.
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Interview mit Tierärztin Marie Hense aus Belecke
Maria Hense aus Belecke (Tierärztin mit verhaltenstherapeutischer Praxis, Dozentin, Fachbuchautorin und Hundetrainerin)
In manchen Fällen leidet der Hund so entsetzlich, dass über eine Medikation nachgedacht werden sollte. Wann sollten sich Hundehalter an einen Tierarzt wenden?
So früh wie möglich. In manchen Regionen knallt es wochenlang immer wieder. Dann ist es am schonendsten, wenn der Hund schon ein paar Wochen vor dem ersten Knall auf ein besonderes Anti-Angst- Medikament eingestellt wird.
Dazu wird ein besonderes Medikament gewählt . Wird nur rund um Mitternacht oder nur ein paar Tage lang geknallt, dann kann ein kurz wirksames Arzneimittel eingesetzt werden. Aber auch dieses sollte man vorher einmal ausprobieren - um ganz sicher zu sein, dass der Hund es gut verträgt.
Immer wieder liest man Warnungen vor bestimmten Medikamenten, die den Hund lediglich körperlich ruhig stellen, ihm aber nicht die Angst nehmen. In diesem Zusammenhang wird oft der Wirkstoff Acepromazin genannt. Was sollten Tierhalter darüber wissen?
Acepromazin, wie beispielsweise in Vetranquil, Sedalin, Calmivet und Prequillan enthalten ist, sollte auf gar keinen Fall eingesetzt werden. Andere Medikamente, wie beispielsweise die Benzodiazepine, sind sicherer. In schwächeren Fällen von Geräuschangst können auch Nahrungsergänzungsmittel wie etwa Alphacaseozepin helfen.
Geräuschangst ist für Hunde ein ernstes Problem. Was möchten Sie als verhaltenstherapeutisch tätige Tierärztin Hundehaltern mit auf den Weg geben?
In vielen Fällen ist es möglich, Geräuschängste durch ein spezielles Training zu reduzieren. Am wichtigsten ist jedoch die Vorbeugung: Gehen Sie in der Silvesterzeit gezielt in ruhigen Umgebungen spazieren und lassen Sie Ihren Hund an Silvester nicht allein! Wenn der schlimmste Fall eintritt, und Ihrem Hund ein Kracher vor die Pfoten fällt - dann nehmen Sie sobald wie möglich mit einer geschulten Fachperson Kontakt auf.
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