Brilon-Wald. .

Der alte Bahnhof ist nach jahrelangem Schandfleck-Dasein zu einem Hingucker an der Ortsdurchfahrt von Brilon-Wald geworden. Wenige Meter weiter wartet ein weiteres Wahrzeichen des Dorfes auf das Ende seines Dornröschen-Schlafes: der „Essigturm“ auf dem früheren Chemviron- bzw. Degussa-Gelände.

Den wird der Eigentümer der Gewerbefläche, Dr. Christian Dresel, Inhaber der Fa. Condensator Dominit , in sein Neubau-Konzept integrieren. Das „Wie“ ist allerdings noch offen. Nachdem vor einem Jahr Architektur-Studenten der Uni Siegen im Rahmen ihres Studiums Nutzungskonzepte für den markanten, unter Denkmalschutz stehenden Industriebau aus Backstein ausgearbeitet haben, holte der Unternehmer erst einmal tief Luft: „Da hören eine halbe Million Euro den Knall nicht“, sagt er.

Wie berichtet, will der Unternehmer seine im Bereich elektrische Energietechnologie tätige und beständig expandierende Firma aus dem engen Bremecketal bei Hoppecke nach Brilon-Wald verlegen. Sein Ziel: ein CO2-neutrales Hightech-Werk.

Inwieweit der Essigturm in das Konzept einbezogen wird, ist derzeit noch offen: „Wir räumen jetzt den Dreck raus und machen alles sauber, wir bringen die Fenster wieder in Ordnung und machen außen herum was. Dann ist ja schon eine ganze Menge passiert.“

Denkbar, so Dr. Dresel, sei sicherlich, in dem rund 100 qm großen Turm kleinere kulturelle Veranstaltungen wie ein Konzert oder eine Lesung stattfinden zu lassen - zumindest sommertags.

Zu riechen ist in dem Gebäude nichts. Mehr als 20 Jahre konnte der Turm auslüften und sich von den Aromen der Holzkohleproduktion befreien. „Für uns war das hier der Ex-Bau“, sagt Hermann-Josef Gottschlich und schaut hoch in den Turm hinauf. Ende der 60-er Jahre fing der Chemie-Ingenieur bei der Degussa an, viele Jahre leitete er den Aktivkohlebereich und in der Endphase Anfang bis Mitte der 90-er Jahre das ganze Werk.

Aufzug innen, Fluchttreppe außen

Das „Ex“ steht für Extraktion und bezeichnet die chemisch-physikalische Trennung von flüssigen oder gasförmigen Stoffgemischen. Auch bei der Holzverkohlung gab es diese Phasen. Stand bei der Werkgründung die Gewinnung von Holzkohle für die Eisen- und Stahlindustrie im Mittelpunkt, so spezialisierte sich das Werk in den 30-er Jahren auf Aktivkohle. Die wurde zum Beispiel in der Rüstungsindustrie für Gasmasken eingesetzt.

In dem Essig- oder Ex-Turm stand die Destillations-Kolonne zur Gewinnung von 96-prozentiger Essigsäure und Ethylester. Sie bestand aus der großvolumigen sogenannten Kupferblase, dem Kessel am Boden. Von dort wand sich das zur Abkühlung benötigte Rohrsystem in dem Turm hoch.

Die einzelnen Arbeitsebenen, Bühnen aus Stahl, sind noch erhalten und gehören zur Statik des Turmes. Es gibt sogar einen engen Aufzug an einer Wand, außen ist die Fluchttreppe noch intakt.

„Ex“ ist auch die Elektro-Installation. Da steht das Kürzel für explosionsgeschützt – „Das ist Technik vom Feinsten. Das hat Museumswert“, schwärmt der Stromexperte Dr. Dresel.