Hallenberg. Die Zuschauer waren begeistert. Die Freilichtbühne feierte am Sonntag Welturaufführung. Sie spielt das Musical „Maria Magdalena“. Wir haben es gesehen: Chapeau!

Premierenpublikum von Maria Magdalena
Premierenpublikum von Maria Magdalena © WP | WP

Wer bekommt schon so ein perfektes Geburtstagsgeschenk? Zum 70-Jährigen hat sich die Freilichtbühne eine Welturaufführung gegönnt. 810 Premieren-Zuschauer waren gestern tief beeindruckt vom Musical „Maria Magdalena“. Beifall im Stehen gab es für die überragende Leistung der rund 50-köpfigen Spielschar. Tosenden Applaus ernteten aber auch Birgit Simmler, aus deren Feder die Geschichte stammt und die auch Regie führt sowie der Komponist und Songschreiber Paul Graham Brown. 16 Mal wird das Stück aufgeführt werden – dann hoffentlich ohne Regengüsse so wie gestern. Schon jetzt liegen über 9000 Vorbestellungen vor.

Worum geht es?

Lästerung heißt Steinigung. Wer das vermeintlich Falsche predigt, wird an den Balken genagelt. So ist die Lage im römisch besetzten Jerusalem. Die eigentliche Geschichte beginnt mit der Grablegung Christi. Simon Petrus und Johannes erleben nach dem Tode Jesu ihr persönliches Trauma von Golgatha. Sie sind mutlos und ziehen sich verzweifelt zurück. Eine Frau ist es, die unerschütterlich an die Kraft der Lehre Christi glaubt. Maria von Magdala ist dessen treue Anhängerin – zu Lebzeiten und über seinen Tod hinaus. Sie war Zeugin seiner Auferstehung und sie gibt den Aposteln Mut, um Jesu Lehre doch noch zu verkünden. Dass dabei Stephanus den Märtyrertod findet, der Christenverfolger Saulus zum missionarischen Paulus mutiert und Maria in dem bekehrten Römer Lucius auch privat neuen Halt findet – das sind die Handlungsfäden in dem äußerst unterhaltsamen Musical.

Wie wurde inszeniert?

Ein großes Fragezeichen malt die Regisseurin und Autorin den Zuschauern gleich zu Beginn des Stücks auf die Stirn: Warum tuckert da ein rabenschwarzer Oldtimer in die Geschichte, die doch eigentlich Anno Null christlicher Zeitrechnung spielen müsste? Warum beginn das Musical in der Neuzeit? Es dürften die 1950-er Jahre sein, als in Oberägypten alte Papyrusrollen ausgegraben werden. Sie enthalten Texte, die zwar nicht in der Bibel stehen, sie berichten aber von Maria Magdalena und erzählen das, was dann – Achtung Zeitsprung - unmittelbar auf der Bühne folgt.

Ganz bewusst stehen dort diesmal wenig Bauten. Das schafft viel Luft und Freiräume, unterstreicht die seelische Leere, die die Menschen nach dem Tode Christi mitunter übermannt hat. Der Platz wird aber auch für große Massenszenen benötigt, für Volksaufstände, heimliche Versammlungen, Steinigungen oder ein Flammeninferno. Ja, es flackert richtig, als der intrigante Saulus Feuer legen lässt. Gepaart mit Kostümen, die die Hallenberger diesmal zu einem Großteil aus dem Passions-Fundus schöpfen können, ergibt das eine perfekte Szenerie, wie man sie aus den großen Hollywood-Filmen im 16:9-Format (das die 90 Meter breite Bühne ohnehin schon bietet) kennt.

Wie ist die Musik?

Wer heute in ein Musical geht, kennt oft schon vorher die Lieder. Bei „Maria Magdalena“ ist die Noten-Tinte aber noch frisch. Kein Zuschauer hat vorher Melodien wie „In unserm Haus“ oder „Angst“ gehört. Und doch hat Komponist Paul Graham Brown die Songs so geschrieben und arrangiert, dass sie sehr gefällig, eingängig und fast vertraut wirken. Das „Fliege Maria“ hat solche Ohrwurmqualitäten, dass es manche Zuschauer auf dem Rückweg zum Parkplatz unterm Regenschirm schon vor sich hin summten.

Obwohl die Handlung vor 2000 Jahren spielt, haben sich Autorin und Komponist textlich und musikalisch für eine moderne Sprache entschieden. Manche Songs klingen poppig, manche haben fußwippwürdige Swing- und Rock-Elemente bekommen, bewahren sich aber durch die Instrumentierung durchaus einen orientalischen Zungenschlag. Gesungen wird live, die Musik kommt vom Band und abverlangt den Jungs in der Technik punktgenauen Einsatzgehorsam.

Wie gut sind die Schauspieler?

Die Freilichtbühne in Hallenberg wird in diesem Jahr 70 Jahre alt und gönnt sich eine Welturaufführung. Regisseurin Birgit Simmler hat eigens für das Theater ein Musical geschrieben:
Die Freilichtbühne in Hallenberg wird in diesem Jahr 70 Jahre alt und gönnt sich eine Welturaufführung. Regisseurin Birgit Simmler hat eigens für das Theater ein Musical geschrieben: "Maria Magdalena". Die Geschichte setzt ein nach dem Tod Jesu Christi und erzählt die Anfänge des Christentums. Die Musik dazu hat der Engländer Paul Graham Brown komponiert. Es sind sehr moderne, eingängige Songs mit Pop- und Rockelementen. © WP | WP

Wer die Akteure bei den Proben noch vor acht Wochen beobachtet und sie jetzt bei der Premiere gesehen hat, der kann von einem Quantensprung reden. Da wurde nochmal richtig Gas gegeben. Musical-Profi Markus Pol hat den Solisten eine gehörige Portion Selbstbewusstsein als Einlagen in römische und jüdische Sandalen gepackt. Alle haben verstanden, dass Musical nicht Oper ist. Dass die Lieder Stimmungen tragen, die Handlung vorantreiben und anders interpretiert werden müssen. Mal ist das nur ein melodisches Sprechen, mal ein Singen. Mehr als zweistimmig sind die Arrangements nicht, trotzdem oder gerade deshalb gehen sie ins Ohr und unter die Haut. Für die Einstudierung des Chorgesangs war Silvia Salzbauer verantwortlich. Hut ab!

Gesungen wird mitunter so kraftvoll und gut, dass fast wieder Leben ins Tote Meer kommen könnte. Die stärkste Bühnenpräsenz hat Manuela Winter als Maria Magdalena. Sie steht gesanglich und darstellerisch unglaublich fest im Wüstensand von Jerusalem. Daniel Glade als Saulus verleiht dem anfänglichen Christenverfolger überzeugend eine hintertriebene Machtgier mit Wums in der Stimme. Dank Thomas Knecht als Petrus durchlebt der Zuschauer sehr intensiv die emotionale Zerrissenheit zwischen dessen Todesangst und der Begeisterung für seinen Meister. Stefan Pippel - Spielleiter für diese Saison - gibt dem Lucius genau die richtige Tiefe um zu verstehen, warum er als Römer zum Christentum wechselt. Als Gottesmutter darf Annegret Runge d e m Ohrwurm des Stücks mit Leichtigkeit Flügel verleihen: „Fliege Maria“! Und dazu gib es viele, kleine Rollen, die nie das Gefühl vermitteln, klein zu sein. Denn alle stecken voll konzentriert in Mimik und Gestik im Geschehen.

Warum ein biblisches Stück?

Dass die Hallenberger nach acht Passionen nun auch einmal die Geschichte nach dem Tode Jesu fortsetzen, ist eigentlich nur folgerichtig. Dass sie es in Musical-Form tun, ist zeitgemäß. Wie sie es umgesetzt haben, ist beispielhaft. Vielleicht wird die Geschichte ja auch zur Dauereinrichtung – alles zehn Jahre einmal. Das Zeug dazu hat sie.