Brilon/Madrid. . Junge WP-Mitarbeiterin Marie Menke berichtet über ihr Freiwilliges Jahr im Rahmen des EVS-Programms. Die Eindrücke sind überwältigend.
Am 1. Oktober 2015 saß ich im Flugzeug und machte mir noch gar keine Gedanken über den Mai 2016. Damals hatte ich gerade das Abi in der Tasche und mein Freiwilliges Jahr begann – an der Universidad Autónoma de Madrid.
Wenn ich zurückblicke, habe ich das Gefühl, dass alles so schnell gegangen ist, und doch kommt es mir vor, als lebte ich schon mein Leben lang in Spanien. Dass ich vor einem Jahr noch kein Wort Spanisch sprach, dass ich kaum Freunde hatte, die aus anderen Ländern als Deutschland kamen, und dass ich noch nie alleine gewohnt hatte, das erscheint mir heute beinahe unglaublich, so viel hat sich in diesem Jahr verändert.
Riesiges Kulturprogramm
Was zuerst einmal ein kleiner Kulturschock war, das ist jetzt zum Alltag geworden: Den ganzen Tag lang nur Spanisch sprechen, täglich viel Zeit in der Metro verbringen, mit den Kollegen im Büro Tortilla (spanisches Spiegelei mit Kartoffeln) oder morgens um 6 Uhr nach dem Feiern Churros mit Schokolade frühstücken, jungen Menschen mit Behinderung Englisch oder den Umgang mit Excel beibringen, im Altersheim spanische Lieder singen, jedem Fremden direkt einmal zwei Küsschen auf die Wangen drücken und nicht zuletzt die Möglichkeit, an den Wochenenden nach nur vier oder fünf Stunden im Bus schon am Strand der Costa Brava zu liegen oder eben das riesige Kulturprogramm von Madrid zu genießen.
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Die Vormittage verbringe ich in zwei Klassen, in denen die Uni gemeinsam mit der Fundación Prodis, einer Stiftung aus Madrid, jungen Menschen mit Behinderung den Weg zu einem Uniabschluss ermöglicht. Hier merke ich vor allem, wie viel mehr Verantwortung meine französische Projektpartnerin und ich übernehmen können, desto mehr Spanisch wir auch sprechen: Den Englisch- und den Excelunterricht organisieren wir mittlerweile selbst und die Schüler habe ich unendlich liebgewonnen.
Je mehr ich sie verstehe und je mehr Zeit wir miteinander verbringen, desto mehr sehe ich aber auch ihre individuellen Schwierigkeiten und doch ist die Arbeit mit ihnen immer wieder wie ein Eintauchen in eine eigene, kleine Welt.
Zahlreiche Ziele
Die Zeit hier versuche ich aber auch fleißig zum Reisen zu nutzen: Ob mit Besuch aus Deutschland nach Sevilla zu fahren, mich mit Freunden von unseren Seminartagen in Alicante zu treffen oder mit meiner Projektpartnerin nach Lissabon zu fliegen – von Madrid aus sind zahlreiche Ziele einfach super zu erreichen. Bis zu acht Stunden im Bus zu verbringen klang für mich vor einem Jahr noch ein wenig nach Tortur, inzwischen ist es immer öfter Wochenendalltag geworden. Dafür merke ich aber auch, wie viel ich vom Reisen mitnehme, und wie viel es mir bedeutet, so viel von Spanien und Portugal zu sehen.
Haben wir am Anfang noch unsere Arbeitszeit im Büro dazu nutzen müssen, Papierkram zu erledigen, so können wir hier inzwischen eigene Projekte aufziehen. In den letzten Wochen haben wir ein Info-Video über den European Voluntary Service gedreht – eine super Erfahrung, gerade weil wir das Equipment der Uni, sprich professionelle Aufnahmekammer und das kleine Fernsehstudio nutzen dürfen. Nicht zuletzt wird aber auch der Youthpass für uns immer wichtiger: Dies ist ein Zertifikat, das jeder EVS-Freiwilliger am Ende seines Freiwilligendienstes gemeinsam mit seinem Tutor anfertigen muss, um festzuhalten, was er während seines EVS gelernt hat.
Keine gemeinsame Sprache
Wenn ich daran zurückdenke, dass wir in unserer Wohngeschichte in den ersten Wochen keine einzige Sprache gemeinsam hatten, dass wir am Anfang die Geschichten unserer Schüler und die Bastelanleitungen im Altersheim nicht verstanden, dass es schwierig war, sich überhaupt auszudrücken, wenn man neue Bekanntschaften machte, dann weiß ich, dass dieses Jahr auf jeden Fall nicht immer einfach war – dafür war es aber auch voller neuer Begegnungen und zahlreicher einzigartiger Möglichkeiten, die ich nicht mehr missen möchte!
Nach zwölf Jahren Schule fand ich die Möglichkeit super, einmal etwas abseits von Schulbank und Unihörsaal zu lernen. Hinter dem European Voluntary Service steht das Konzept des informellen Lernens und das wird hier groß geschrieben.
Zu meinen Lernzielen in diesem Jahr gehörte nicht nur die spanische Sprache sowie das Arbeiten mit Menschen mit Behinderung, vielmehr teilen sich unsere Lernziele auch in Kategorien wie „Interkulturelle Kommunikation“, „Sozialkompetenzen“, „Entrepreneurship“ und mehr auf – und das mal ganz ohne Bücher, sondern im Alltag. Schon allein, weil ich hier so viel Neues lernen durfte, habe ich meine Entscheidung, nach Spanien zu gehen, keinen einzigen Tag lang bereut und kann das nur jedem empfehlen!