Brilon. Altes Handwerk hat in Brilon eine neue Facette bekommen: Geigenbauerin Binia Baumgardt hat bei der music world eine Werkstatt eingerichtet.
Für Binia Baumgardt hängt der Himmel voller Geigen. Sie hat einen der schönsten Arbeitsplätze in ganz Brilon. In dem knusperhaus-ähnlichen Holzbau fällt das Tageslicht von drei Seiten auf ihre Werkbank. Die erinnert fast ein wenig an einen OP-Tisch; nicht steril, aber dafür gemütlich. Über ihr baumeln Streichinstrumente an einer Wäscheleine. Die Violine links oben bekommt einen neuen Steg, bei der Bratsche muss ein Riss im Boden repariert werden und das Cello auf dem Tisch wird neu lackiert. Die 30-Jährige ist Geigenbauerin in der „music world Brilon“. „Wir haben diese Instrumente schon immer verkauft. Aber jetzt sind wir überglücklich, auch den Komplettservice rund um Streichinstrumente anbieten zu können“, sagt Firmenchef Meinolf Kahrig.
Arbeiten wie ein Chirurg
Der Vergleich der Geigenbauerin mit gleich mehreren Fachärzten ist gar nicht so weit hergeholt. Bestimmt liegt das Instrument in der stabilen „Saiten“lage, wenn Binia Baumgardt zum Beispiel den Stimmstock in den Korpus aus Fichte und Ahorn einführt. Dazu geht sie behutsam durch eines der beiden f-Löcher - das sind die Schalllöcher des Instruments. So wie ein Chirurg, der bei einem minimal-invasiven Eingriff in ein Kniegelenk guckt.
Muss ein Loch in der Decke der Bratsche geschlossen werden, wird vorher ein genauer Abdruck hergestellt. Das macht die Fachfrau mit einer weichen Kunststoffmasse, die auch der Zahnarzt für den Gebiss-Abdruck braucht.
Nur: Die „Violinen-Knete“ wird eigens aus Großbritannien eingeflogen. Sehr speziell ist auch der Haut - und Knochenleim, mit dem Fisch oder Hase ungeahnt zu Klebe- und Klangqualität beitragen.
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Geht es um die Wirbel – das sind die drehbaren Holzstifte, auf denen die Saiten aufgerollt werden – sind nahezu orthopädische Fertigkeiten gefragt. Osteoporose kennen diese Wirbel aber nicht. Bei der Geige heißt das, sie können durch Veränderungen der Luftfeuchtigkeit entweder zu stramm oder zu locker im Wirbelloch sitzen und müssen daher regelmäßig gerichtet werden.
Ach ja, und den pflegerischen Bereich sollten wir nicht vergessen: Haarewaschen ist angesagt, wenn der Rosshaar-Bogen, mit dem die Geige gespielt wird - am hochwertigsten ist das Schweifhaar einer mongolischen Pferderasse - hin und wieder gereinigt werden muss.
Dem Instrument Leben einhauchen
Der Laie denkt, dass die Hauptarbeit des Geigenbauers im Herstellen des Instrumentes besteht. Irrtum. „Bis zur weißen Geige – also ohne Lackierung - braucht man etwa 200 Arbeitsstunden“, verrät die junge Frau, die in Herdecke geboren wurde und in Arnsberg aufgewachsen ist. Schon im Rohstadium ohne „Öl- oder Spiritus-Anstrich“ müsste eine Fiedel mindestens 4000 Euro kosten, die vielleicht nicht jeder spontan ausgeben möchte. Bei 300 bis 400 Euro beginnt der Preis für eine sogenannte Anfänger-Geigengarnitur (Instrument, Koffer, Bogen). Je nach Anspruch und Geldbeutel sind auch 1000 Euro möglich.
Aber selbst die Instrumente von der Stange sind nicht sofort spielbar. „Der Steg sitzt nicht vernünftig, die Wirbel laufen nicht, müssen erst mit Spezialseife eingeschmiert und gängig gemacht werden oder mit dem Stimmstock ist noch eine Feinjustierung nötig“, zählt die 30-Jährige nur einige Arbeitsschritte auf.
Es dauert, bis sie jedem Instrument individuell Leben eingehaucht hat. „Daher braucht man für diesen Beruf auch viel Geduld, darf niemals verzweifeln, muss immer dranbleiben und Routine entwickeln“, sagt Binia Baumgardt.
Und man muss das Instrument selbst beherrschen. Zuletzt war die junge Frau, die seit dem siebten Lebensjahr Geige spielt, stellvertretende Konzertmeisterin in der „Wilden Gungl“, dem ältesten Amateurorchester Münchens, das seinen Namen dem ungarisch-deutschen Walzerkönig Joseph Gung’l verdankt.
Ihre dreieinhalbjährige Ausbildung zur Geigenbau-Gesellin hat die Sauerländerin an einer Fachschule im bayerischen Mittenwald absolviert. Dort gibt es 100 Bewerber pro Jahr für 12 Lehrstellen, die vorher ihre Musik- und Zeichenkünste unter Beweis stellen und ein Werkzeug herstellen müssen.
„Während der Ausbildung baut man sieben Instrumente und wird u.a. auch in Physik, Werkzeugkunde, Musiktheorie, -geschichte und Geigenbauhistorie unterrichtet. Auf drei Auszubildende kommt ein Meister“, erklärt die 30-Jährige. Ein Semester befasst sich allein mit der Kunst des Lackierens, eines mit der Spielfertigmachung eines Instrumentes und eines nur mit Reparaturen. Praktika machte sie in der Schweiz und in Italien. Nach ihrer Gesellenprüfung arbeitete sie in einer großen Meisterwerkstatt in München, bevor es sie jetzt zurück ins Sauerland zog.
Eine Vertrauensfrage
Musiker sind sensible Kunden. Und wer sein Instrument liebt, der muss schon sehr viel Vertrauen zu einem Handwerker haben, bevor der an Schnecke, Hals, Boden, Zargenkranz, Griffbrett, Boden, Decke, dreifach verleimten Spänen oder selbst dem Bogen aus brasilianischem Fernambukholz Hand anlegen darf. „Ich liebe diese Feinarbeit und dass ich mir Zeit für so filigrane Sachen nehmen darf.“
Daher hängt ihr Himmel in Brilon ja auch voller Geigen...