Warstein. .
Seine atemberaubenden Bildaufnahmen, die er während seiner Wettkämpfe aus ebenso atemberaubender luftiger Höhe von mehreren tausend Metern einfängt, sind ein Markenzeichen von Jörg Bajewski. Der Drachenflieger aus Warstein und Mitglied der Nationalmannschaft des Deutschen Hängegleiter Verbandes sendet unserer Sportredaktion seit eh und je interessante Berichte und spektakuläres Fotomaterial von seinen, in aller Welt durchgeführten, Wettbewerben zu.
Die WESTFALENPOST hat sich nun mit dem 46-jährigen Drachenflieger getroffen, um mehr von seiner Sportart zu erfahren. Jörg Bajewski hat uns Einblicke in den Aufbau seiner Flugmaschine gewährt und uns dabei nicht nur die Funktionsfähigkeit des Drachens erklärt, sondern gleichzeitig von seinem ersten Flug an einem der tragischsten Tage der Weltgeschichte erzählt und berichtet, warum er immer noch auf der Jagd nach seinem ersten Deutschen Meistertitel ist.
Mit der auf seinem Autodachgepäckträger befestigten rund fünf Meter langen „Wurst“, wie Jörg Bajewski seinen in einer großen Stoffhülle zusammengefalteten Drachen beschreibt, ist er in seiner langen Laufbahn als Drachenflieger schon in etliche Länder gereist, um seiner sportlichen Leidenschaft nachzugehen. Diesmal baute der gebürtige Warsteiner nicht für einen bevorstehenden Wettkampf sein Fluggerät auf, sondern eigens für unsere Reportage.
Routinierter Aufbau
Mutterseelen allein stehen wir auf einer der Ballonstartwiesen am Warsteiner Montgolfiade-Gelände. Nur ein leiser Wind pfeift uns ins Gesicht, während der erfahrene Drachenpilot mit dem Aufbau des weitestgehend aus Kunststoff und Carbon bestehenden „Ikarus“ beginnt. Zahlreiche Flügelrohre legt sich Jörg Bajewski auf dem Grasboden zurecht, während er bereits den trapezförmigen Rahmen (Fachbegriff: „A-Frame“) samt Alu-Steuerbügel aufgestellt und die beiden Flügel entfaltet hat. „Ich werde jetzt die aus Aluminium und Carbon bestehenden Segellatten in die Tragflächen reinschieben. Das ist wichtig, damit dem Drachen die Aerodynamik gegeben wird“, erklärt Bajewski, der mit viel Feingefühl am Werk ist und gleich entgegnet: „Kompliziert ist das für mich nicht mehr. Das habe ich schon x-Mal gemacht.“
Neugierig schaue ich dem Experten über die Schulter und stelle Fragen, warum er ausgerechnet Drachenflieger werden wollte und ob er sich noch daran erinnern kann, wann er zum ersten Mal in die Lüfte stieg. Bajewski lacht kurz und erklärt mit ernster Miene: „Den Tag, als ich das erste Mal flog, werde ich ganz bestimmt nicht vergessen. Genauer gesagt, war es der 26. April 1986. Ausgerechnet an dem Tag als es in der Ukraine zur Atomkatastrophe von Tschernobyl kam, besuchte ich den ersten Kursus im sauerländischen Düdinghausen. Ich war damals 19 Jahre alt und absolvierte dort meine ersten Flugstunden um den L-Schein zu erwerben.“
Begeisterung begann mit acht Jahren
Und weiter: „Aber in Kontakt mit Drachen kam ich bereits als Achtjähriger. Ich war mit meinen Eltern im Fort Fun Freizeitpark unterwegs, als ich auf einmal hoch oben über unseren Köpfen eine Schar von Drachenfliegern sah. Ich war sofort davon fasziniert. Das Interesse an diesem Sport ist seither geblieben.“
Die Aufbauarbeiten laufen derweil noch auf Hochtouren. Jörg Bajewski hat während dessen noch sämtliche andere Kleinteile in den Drachen eingebaut, fixiert und fängt gerade an auf beiden Flügelseiten jeweils zwei sog. „Swivels“ einzustellen. „Das ist super wichtig. Sie bewirken den Moment des Auftriebs und verhindern den gefürchteten Flattersturz. Mit dieser Problematik hatten die Drachenflieger vor etwa 35 Jahren noch zu kämpfen. Aber dank dem technischen Fortschritt hat sich das geändert“, betont er.
Ausgleich zum stressigen Beruf
Das Gefühl von grenzenloser Freiheit ist es, was Bajewski an diesem Sport so fesselt. „Jeder Aufstieg ist für mich eine Faszination. In der Luft bin ich mein eigener Herr“, erzählt mir Jörg Bajewski, für den die Drachenfliegerei als Ausgleich zu seinem stressigen Beruf im Job-Center fungiert. Der Leistungsanspruch ist für den Warsteiner aber auch in seiner liebsten Freizeitbeschäftigung fest verankert. Denn in Wettkämpfen, sagt Bajewski, will er sich natürlich perfekt präsentieren und Erfolge einfahren.
Zurück zum Aufbau des Drachens: Alles fertig. Die zuvor von ihm einkalkulierte Aufbauzeit von 25 Minuten hat er genau eingehalten. Majestätisch posiert der mit einer Spannweite von 10,5 Metern nun fertig errichtete Himmelsstürmer auf der Wiese und ist regelrecht bereit zum Abheben. Der imposante Drachen bleibt aber diesmal auf der Erde. Dennoch will es sich Jörg Bajewski einfach nicht nehmen lassen, mir auch einen „fertigen“ Drachenpiloten zu zeigen. Er sprintet zu seinem Wagen, holt aus seinem Kofferraum einen großen, schweren Sack und packt aus diesem seine Wettkampf-Kleidung aus. Ruck Zuck schlüpft Jörg Bajewski in die entsprechende Montur. Shirt an, Helm auf, Handschuhe überziehen und zu guter letzt steigt er noch in die Schlafsack ähnliche Jacke, mit der er sich mittels eines Karabinerhakens an den Drachen hängt.
Mit 140 km/h in 4000 Metern Höhe
„So, jetzt befestige ich noch Foto- und Filmkamera sowie das Fluginstrument an den Rahmen und dann könnte es auch schon losgehen“, sagt Bajewski und will mir sogleich die Flugeigenschaften des Drachens sowie die Funktion der Geräte erklären. „Das hier ist eine Wettkampfmaschine. Sie reagiert giftig, wenn man Fehler macht. Schon durch leichte Bewegungen gebe ich dem Drachen Steuerimpulse und verändere seine Flugeigenschaft. Ein akkurates Fliegen von meiner Seite ist daher unbedingt notwendig“, führt er vor Augen.
Einer Startgeschwindigkeit von 35 bis 40 km/h steht eine Spitzengeschwindigkeit in luftiger Höhe von bis zu 140 km/h gegenüber. Je nach Thermik schrauben sich die dynamischen Flugobjekte dann noch über 4000 Meter in den Himmel. Vor allem der Landeanflug ist daher ein großer Stressfaktor für die Piloten. „Bei der Landung müssen wir gegen den Wind arbeiten. Da wirken enorme Kräfte“, weiß Bajewski.
Die überwältige Sicht aus der Vogelperspektive sorgt bei dem erfahrenen Profi aber jedes Mal aufs Neue für Gänsehaut. Die Bewältigung seines Alltags mit einem einfachen „Abschalten“ in schwindelerregenden Höhen ist allerdings nicht ohne Weiteres möglich. Mit seinem herausfordernden sportlichen Abenteuer bewegt sich Jörg Bajewski vielmehr in einer Ambivalenz zwischen totaler Entspannung und voller Konzentration. „Man muss die Natur respektieren. Jede unüberlegte Handlung könnte ein unkalkulierbares Risiko bedeuten“, gibt er mir zu verstehen und spricht von einen „Flug der 1000 Entscheidungen“.. Wetterkunde und Windlagenkenntnisse müssen neben den taktischen Spielen in der Luft nämlich ebenso viel von ihm beachtet werden, wie die Informationen, die ihm das Fluginstrument anzeigt. Das mit GPS ausgestattete Gerät, welches an seinem Steuerbügel angebracht ist, zeigt ihm in einem Sekunden-Update an auf welcher Höhe er sich befindet und wie schnell er unterwegs ist. Alle diese Parameter muss Jörg Bajewski bei seine Flügen berücksichtigen, um sich keiner Gefahr auszusetzen und letztlich auch erfolgreich zu sein.
Auf der Wiese hat sich nun Aufbruchstimmung breit gemacht. Die Dunkelheit bricht an und der Drachen muss aufgrund schon ansetzender Feuchtigkeit auf den Tragflächen schnell abgebaut werden.
Als Mitglied der Deutschen Nationalmannschaft hat Jörg Bajewski schon vier Mal an einer Welt- und fünf Mal an einer Europameisterschaft teilnehmen dürfen. Auf meine Frage, was sein größter noch nicht erfüllter Wunsch sei, entgegnet mir Bajewski ganz lapidar: „Deutscher Meister werden. Ich bin bestimmt schon gefühlte hundert Mal Zweiter geworden. Diesen Titel will ich unbedingt haben.“
Im Mai nächsten Jahres möchte er bei seiner 16. DM-Teilnahme erneut angreifen. Unter den zahlreichen atemberaubenden Bildern, die Jörg Bajewski wieder schießen wird, würde ihm eines davon, welches ihn als strahlenden Bundes-Champion zeigt, besonders glücklich machen.