Wimbledon. . Nach seinem besten Grand-Slam-Ergebnis seiner Karriere ist Jan-Lennard Struff hochzufrieden. Eine Chance hat der Suttroper noch.

Gerade hatte Roger Federer wieder einen dieser aberwitzig verwinkelten Vorhandcrossbälle aus dem Handgelenk geschüttelt, als eine Dame auf dem Centre-Court mit ihrer Verzückung nicht mehr an sich halten konnte.

„Tennis sieht so einfach aus“, sagte sie und erntete dafür zustimmendes Kopfnicken. Es stimmt ja: Tennis sieht nicht nur einfach aus, es ist auch einfach – wenn man Roger Federer ist.

Auch in seinem Drittrundenmatch bei den All England Championships in Wimbledon gab der 36 Jahre alte Titelverteidiger am Freitagabend keinen Satz ab und beendete mit dem 6:3, 7:5, 6:2 nach 94 Spielminuten die Hoffnung von Jan-Lennard Struff, die größte Sensation seiner Karriere zu schaffen.

„Es war eine geile Erfahrung, auf dem Centre-Court zu spielen. Ich wollte gewinnen, habe alles versucht, aber Roger hat zu gut gespielt. Er gibt einem kaum Chancen. Dennoch finde ich, dass ich gut gespielt habe“, sagte der 28 Jahre alte Warsteiner nach dem ersten Drittrundenmatch seiner Karriere bei einem Grand-Slam-Turnier.

Struff sucht seine Chance

Für den Weltranglisten-64. war es im dritten Duell mit dem Schweizer Ranglistenzweiten die dritte Niederlage ohne Satzgewinn. Im Januar hatte er bei den Australian Open auf Hartplatz in Runde zwei in drei Sätzen verloren, 2016 auf Rasen bei seinem Heimturnier in Halle im Auftaktmatch in zwei Durchgängen.

Auf seinen Aufschlag konnte sich Struff verlassen.
Auf seinen Aufschlag konnte sich Struff verlassen. © Ben Curtis

Dennoch durfte der Daviscupspieler erhobenen Hauptes seine Tasche schultern. Dass sich bei feinstem Sommerwetter und 29 Grad im Schatten ein sehr ansehnliches Match entwickelte, lag nicht nur am geschmeidigen, sehr präzise und fokussiert agierenden Schweizer, sondern auch an Struff.

Der Außenseiter suchte mutig seine Chancen, blieb nicht nur stur an der Grundlinie, sondern attackierte, wenn es Gelegenheit gab, auch am Netz und bekam einmal sogar Szenenapplaus, als ihm im dritten Spiel des zweiten Durchgangs nach einem langen Ballwechsel ein sehenswerter Stopp gelang.

Nur fünf Punkte geholt

In den entscheidenden Phasen reichte seine Klasse jedoch erwartungsgemäß nicht aus, um den Maestro, der in diesem Jahr nach seinem neunten Wimbledon-Titel greift, ernsthaft in Bedrängnis zu bringen. Vor allem bei eigenem Aufschlag ist Federer kaum unter Druck zu setzen, obwohl seine Quote beim ersten Aufschlag nur bei 54 Prozent lag. Struff war allerdings auch nur zwei Prozentpunkte besser. Lediglich je fünf Punkte gewann Struff pro Satz, wenn der Grand-Slam-Rekordsieger (20 Titel) servierte.

Der Sauerländer versuchte alles, um gegenzuhalten, wirkte aber in vielen Situationen wie einer, der mit heraushängender Zunge in den Bahnhof rennt, um seinen Zug noch zu erreichen, und dann doch nur noch die Rücklichter sieht.

Roger Federer musst sich phasenweise strecken.
Roger Federer musst sich phasenweise strecken. © Nicholls

Und so kam, was alle vorhergesehen hatten. Im ersten Durchgang reichte Federer ein Breakball, um auf 4:2 zu erhöhen und sich dadurch den entscheidenden Vorteil zu verschaffen. Im zweiten Satz kam das Break bei 5:5 zum ungünstigsten Moment. „Das war extrem bitter, den Tiebreak hätte ich gern gespielt“, sagte Struff.

Im dritten Satz konnte es sich der Dominator sogar leisten, neun Breakbälle zu vergeben – es reichte dennoch dazu, Struff zum 2:1 und 5:2 den Aufschlag abzunehmen. „Struff schlägt sehr hart, aber ich habe einen Weg gefunden, meinen Rhythmus zu behalten“, sagte Federer.

Struff hochzufrieden

Jan-Lennard Struff wird aus der besten Grand-Slam-Woche seiner Karriere dennoch einiges mitnehmen. Mit seinen beiden Fünfsatzsiegen gegen den Argentinier Leonardo Mayer und den Kroaten Ivo Karlovic war er erst der dritte Spieler seit Beginn der Open Era (Zulassung von Profis 1968), der in Wimbledon in zwei aufeinander folgenden Runden einen 0:2-Satzrückstand noch umbiegen konnte. „Es war definitiv das beste Grand-Slam-Turnier meiner Karriere. Und es ist ja noch nicht vorbei“, sagte er.

Das stimmt: Im Doppelwettbewerb ist er an diesem Sonnabend an der Seite des in Neuseeland geborenen Japaners Ben McLachlan gegen die beiden Inder Sriram Balaji und Vishnu Vardhan gefordert (siehe Zweittext links).

Federer spielt sein Achtelfinale nach dem traditionell spielfreien Sonntag am Montag gegen den Franzosen Adrian Mannarino (30/Nr. 26) – und wird versuchen, wieder so viel Leichtigkeit zu versprühen.