Bad Laasphe.
Schwerfällig läuft Friedrich Winzer, auf einen Krückstock gestüzt, wenige Meter seinem Rollstuhl entgegen. Als er das Gefährt erreicht, klappt er den Stock zusammen, verstaut die Gehhilfe in einem kleinen Täschchen und rollt der sich aufwärmenden Gruppe entgegen. Sofort wirft Mitspieler Kai Kohnen dem 72-Jährigen den Basketball zu. Darauf wendet Winzer seinen Rolli, legt den Ball auf den Schoß, fährt ein Paar Meter und platziert das Spielgerät passgenau im Korb - „Jawoll!“
Zusammen mit einem Duztend anderer Menschen – mit körpericher oder ohne Behinderung – spielt Friedrich Winzer in der Basketballmannschaft der Rollstuhl-Sport-Gemeinschaft (RSG) Schloss Wittgenstein. Wolfgang Henkel gründete das „etwas andere Team“ im Jahr 2009.
An diesem Abend begrüßten die Laaspher Rollis besondere Gäste in der Turnhalle auf Schloss Wittgenstein: Aus Wetzlar war der RSV Lahn-Dill, eine der international erfolgreichsten Rollstuhl-Baketballmannschaften, für ein Freundschaftsspiel in die Wittgensteiner Lahnstadt gereist. Zuvor war von der Stiftung der Sparkasse Wittgenstein schon symbolisch eine Spende überreicht worden, die die Laaspher bereits in drei neue Sportrollstühle investiert hatte - ein guter Tag für den heimischen Rollstuhlsport.
Für das Spiel mischten beide Trainer die Mannschaften, so kämpften Amateure und Profis Seite an Seite um wichtige Punkte.
Wer zum ersten Mal ein solches Match anschaut, dem stockt zu Beginn der Atem: Scheinbar ungebremst rasen die Sportler aufeinander zu, krachen laut und heftig mit den Stühlen gegeneinander. Der Fokus liegt allein auf dem Ball, der mal auf dem Schoß ruhend, mal dribbeln bewegt wird.
Kurzum: „Hier sind Autoscooter, Rugby und Basketball in einem Sport vereint“, erklärt Kai Kohnen später schmunzelnd. Damit die Stühle nicht sofort umkippen, sind die Räder nicht senkrecht, sondern sichtbar abgeflacht an den Sitzflächen montiert. Außerdem sind vorn und hinten je zwei kleine Stütz-Rädchen und Schutzbügel befestigt. Die Sportler werden zudem in den „aufgemotzen“ Rollstühlen angeschnallt.
Zweimal zehn Minuten spielen die gemixten Mannschaften, zur Halbzeit steht es 16:8 und am Ende irgendwas mit 20 – genau weiß es keiner, aber darum geht es an diesem Abend auch nicht: Vielmehr um den Spaß und die Gemeinschaft mit den Idolen aus Wetzlar.
Und diese Gemeinschaft pflegen die Laaspher schon seit drei Jahren. Damals beschlossen die Westfalen und die Hessen einen Kooperationsvertrag (wir berichteten). RSV-Geschäftsführer Andreas Joneck erinnert sich, dass die Initiative von Wolfgang Henkel ausgegangen ist. Er war auf den Profi-Club zugekommen und die Verantwortlichen in Wetzlar fanden: „Das ist eine tolle Geschichte!“
Henkel arbeitet als Lehrer am Gymnasium Schloss Wittgenstein. Seit Jahren ist er zusätzlich außerschulisch als Übungsleiter im Behindertensport aktiv. Vor mehr als zwei Jahrzehnten verband der Bad Laaspher beide „Berufungen“ miteinander – in der Schnittmenge entstand an der Schule die „Rolli-AG“.
Seither lernen Schüler darin den Umgang mit dem Rollstuhl und werden auf die Lebenssituation von gehbehinderten Menschen sensibilisiert. Daraus entwickelte sich vor vier Jahren schließlich die Basketballgruppe als Abteilung im Turn- und Sportverein Schloss Wittgenstein.
Gemeinsam bewegen sind darin sportbegeisterte Schüler und Außenstehende jeden Alters. Im Rahmen der Kooperation besuchen sich die Gruppen gegenseitig: Henkel reist regelmäßig mit Schulklassen und der Mannschaft zu Spielen nach Wetzlar und hospitiert sogar beim Profi-Training.
Der RSV absolvierte nun schon sein zweites Freundschaftsspiel in Bad Laasphe. „Wir kommen gern: Es besteht eine sehr freundliche Atmosphäre, die Spieler kennen sich mittlerweile untereinander und halten sogar Kontakt über Facebook“, berichtet Joneck.
Die Rollis vom Schloss bewundert er: „Die machen das hier ehrenamtlich, aber mit keinem Deut weniger Freude als wir!“ Generell, hält der Geschäftsführer fest, habe der Rollstuhlsport die „Inklusion“ erfunden, bevor es das Wort gegeben habe. Denn kaum ein anderer Sport ermöglicht ein derart unkompliziertes Miteinander von Behinderten und Fußgängern.
„Im Rollstuhl sind wir alle gleich“, betont Friedrich Winzer, den die Spätfolgen eines Unfalls von 1961 im Jahr 2007 in den Rollstuhl zwangen.
Enrique Rauschenberg bestätigt: „Schon nach ein, zwei Stunden vergißt man, wer behindert ist und wer nicht.“ Zudem hebt der Schüler die „besondere Harmonie“ in der Gruppe hervor. Das Spiel gegen die sympathischen Profis hat den Amateuren Spaß gemacht. „Das war große Klasse“, bekräftigt Winzer.
Auch Harald Wagner, der an MS erkrankt ist, nickt begeistert. Ein Lob, das Annabel Breuer gern zurückgibt. Die 20-Jährige ist seit dieser Saison Mitglied beim RSV und gewann mit der Nationalmannschaft im letzten Sommer die Goldmedaille bei den Paralympics in London. „Ich finde es voll cool und interessant, dass die hier sowas aufgebaut haben“, sagt die Schwäbin. Sie ist nach einem Unfall seit ihrem zweiten Lebensjahr auf den Rollstuhl angewiesen und lernte den Sport auf einer Rollstuhlfreizeit in der Kindheit lieben. Über Ravensburg, für das sie in der Oberliga spielte, und Ulm, fand sie den Weg nach Wetzlar. Seit 2009 ist sie Mitglied der Nationalmannschaft.
Bisher spielen die Laaspher nur zum Spaß. Doch Wolfgang Henkel und sein Team planen vielleicht schon für die nächste Saison den Start in der Oberliga Hessen – einfach, weil die Wege ins Ruhrgebiet oder ins Münsterland zu weit sind. Bei den Bemühungen hat ihnen der RSV- und Nationaltrainer Nicolai Zeltinger Unterstützung zugesagt.
Annabel Breuer jedenfalls empfiehlt den Lahnstadt-Rollis mit einem Augenzwinkern: „Dranbleiben. Dass es Spaß macht, muss denen hier keiner mehr sagen.“