Dessau-Roßlau. Beim Dessau-Roßlauer HV 06 sieht der TuS Ferndorf wie der sichere Verlierer aus, liegt klar zurück. Was dann passiert, ist bemerkenswert.
Auch im fünften Gastspiel in der Anhalt-Arena hat der TuS Ferndorf nicht verloren: Der Handball-Zweitligist musste sich im vorgezogenen Spiel beim Dessau-Roßlauer HV 06 aber mit einem 31:31 (12:14) begnügen und hat vor der nun folgenden Pause - es geht am 17. November mit einem Heimspiel gegen die Eulen Ludwigshafen weiter - trotz vier siegloser Spiele binnen elf Tagen starke 12:8 Punkte auf dem Konto und damit eine gute Basis für den angestrebten Klassenerhalt gelegt.
TuS Ferndorf taucht in ein Wechselbad der Gefühle
Aber was war das für ein Wechselbad der Gefühle, durch die die Mannschaft, der Stab, das knappe Dutzend mitgereister Fans und die Zuschauer des Livestreams gehen mussten? Zehn Minuten vor Schluss lag der Aufsteiger mit 22:28 zurück, war er meilenweit weg von einem Punktgewinn in der Anhalt-Arena. Doch mit einem fulminanten Schlussspurt erkämpfte sich das Team doch noch diesen einen Zähler. Hätte es sich in den letzten 15 Sekunden bei Ballbesitz etwas geschickter angestellt, wäre sogar der Sieg möglich gewesen. „Um ehrlich zu sein, weiß ich auch nicht, wie hier noch einen Punkt holen konnten“, sagte ein ungläubiger Julius Fanger, „denn wir haben das Spiel eigentlich zweimal verloren, schaffen es aber irgendwie, uns zurückzukämpfen.“
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Die Siegerländer mussten kurzfristig ausgerechnet auf den Ex-Dessauer und aus der Region stammenden Rechtsaußen Paul Schikora (erkrankt) verzichten, sodass sich Fabian Hecker als zweiter Rechtsaußen bereithalten musste und auch im Verlauf der ersten Halbzeit schon für Josip Eres auf die Platte beordert wurde. Obwohl frühzeitig und mit einer Zwischenübernachtung in Eisenach in die Bauhaus-Stadt angereist, wirkten die Ferndorfer zu Beginn von der Rolle und unkonzentriert, ganz im Gegensatz zu präsenten Dessauern, bei denen vier Stammspieler und Cheftrainer Uwe Jungandreas (Bandscheiben-Operation) fehlten.
Über 3:1 zogen die Mitteldeutschen bis zur elften Minute auf 7:2 davon, profitierten von einer eklatanten Abschlussschwäche und technischen Fehlern des Aufsteigers, für den bis dahin nur Daniel Hideg und Josip Eres getroffen hatten. Fast acht Minuten blieb der TuS trefferlos, ehe Marvin Mundus zum 3:7 einnetzte. Inzwischen hatte Trainer Ceven Klatt die „grüne Karte“ gelegt, in seiner Ansprache neben den genannten Dingen auch das miserable Rückzugsverhalten moniert. Einen gebrauchten Abend erwischte auch Spielmacher Janko Kevic, den Klatt auch früh erlöste.
Dessau-Roßlauer HV 06 - TuS Ferndorf 31:31 (14:12)
Dessau-Roßlau: Ambrosius, Mohs - Gonschor (4), F. Haake (5), C. Haake (3), Mitrovic (1), Nowak (1), Danneberg (5/3), Mohs, Hertzfeld (2), Pust (4), Bülow (4/3), Leu (2), Misovych.
Ferndorf: Adanir (1.-44.), Wilde (45.-60.) - Eres (1), Viana (4), Fanger (7), Stock, Dahlgren, Michel (5), Hideg (2), Würz, Mundus (6/2), Vignjevic (1), Kevic (1), Hecker (3).
Zuschauer: 1516.
Zeitstrafen: Dessau 3, TuS 4.
Spielfilm: 2:1 (3.), 4:2 (7.), 7:2 (11.), 8:5 (15.), 10:5 (18.), 10:7 (22.), 13:10 (27.), 14:12 (Halbzeit), 14:14 (33.), 15:16 (36.), 17:16 (38.), 20:20 (43.), 26:20 (47.), 28:22 (50.), 29:25 (53.), 30:27 (55.), 31:31 (Ende).
Aber die Gardinenpredigt schien gewirkt, die Mannschaft zumindest aus ihrer Tiefschlafphase geholt zu haben, denn danach lief es besser, wenn auch nicht wie geschnitten Brot. Die Abschlussquote blieb mäßig und schaffte es die DRHV-Abwehr, eine der TuS-Stärken in dieser Saison zumindest über einen langen Zeitraum zu unterbinden: das Kreisläuferspiel. Dies klappte erst beim 8:11 durch Mattis Michel, dem in der zweiten Überzahl für Ferndorf auch das 11:13 gelang. Die Gäste waren also rechtzeitig vor dem Seitenwechsel wieder dran am Gegner, das machte Hoffnung für die zweite Halbzeit.
„Wir machen die stark, weil wir die Bälle wegschmeißen.“
Die wurde genährt durch den schnellen 14:14-Gleichstand nach Toren von Mattis Michel und Gabriel Viana per Gegenstoß und die erste TuS-Führung nach 36 Minuten durch Janko Kevic, der am Mittwoch vergleichsweise wenige Spielanteile bekam. Es entwickelte sich eine Partie auf Augenhöhe - allerdings nur bis zum 20:20 durch den inzwischen wieder auf seiner Stammposition im rechten Rückraum agierenden Fabian Hecker. Was danach passierte, bedarf einer Aufarbeitung: In exakt einer Minute und 59 Sekunden kassierte Ferndorf vier Treffer in Serie, darunter nach Ballverlusten drei Kontertore.
In der „Auszeit“ wütete Ceven Klatt: „Wir machen die stark, weil wir die Bälle wegschmeißen.“ Und der Angriff hatte sich auch nicht an seine taktischen Anweisungen gehalten. Es kam noch schlimmer: Die plötzlich wieder selbstbewussten Gastgeber setzten sich mit einem 6:0-Lauf sogar auf 26:20 und etwas später auf 28:22 ab. Der TuS Ferndorf lag am Boden, stand aber wieder auf - und das in beeindruckender Manier.
Ein Puzzleteil war die Umstellung auf eine offensivere Abwehr, wurde Spielmacher Vincent Bülow durch Marvin Mundus neutralisiert. Immer nervöser und kopfloser agierte nun der DRHV-Angriff, schnappte sich die Ferndorfer Abwehr die Bälle und gelangen nun auch dem nach 45 Minuten eingewechselten Torhüter Jonas Wilde wichtige Paraden. Trotzdem schienen die Mitteldeutschen beim 30:25 noch auf einem sicheren Weg zu zwei Punkten zu sein, aber nach Mundus‘ Siebenmeter und Heckers Rückraumtreffer stand es aus TuS-Sicht nur noch 27:30, witterten die Kreuztaler spätestens jetzt, knapp fünf Minuten vor Schluss, wieder Morgenluft.
TuS Ferndorf: Am Ende überwiegt die Freude
Julius Fanger, beste TuS-Offensivkraft an diesem Abend, aus dem Rückraum und Gabriel Viana vom linken Flügel machten aus dem 27:31 ein 30:31, schlug sich in diesen letzten Spielminuten das Glück auf die TuS-Seite, als Yannick Danneberg nur die Latte traf. Mit letzter Kraft setzte sich auf der Gegenseite Mattis Michel am Kreis durch, glich mit dem Rücken zum Tor zum 31:31 aus. Wahnsinn! Als der nervöse Danneberg beim letzten Dessauer Angriff unter Zeitspieldruck neben den Kasten warf, eröffnete sich für Ferndorf sogar die Siegchance, doch dieses Husarenstück gelang nicht.
Am Ende überwog aber die Freude über einen nicht mehr für möglich gehaltenen Punktgewinn in einem Spiel, das eigentlich schon verloren war. „Die Dessauer haben sich über dieses Unentschieden jedenfalls nicht gefreut“, sagte Klatt. Der TuS-Trainer lobte zum einen die „Moral und kämpferische Qualität“ der Mannschaft, ohne dabei zu vergessen, „dass wir zwei sehr schlechte Phasen in diesem Spiel hatten.“