Schameder. Kaum etwas hält die Segelflieger vom FSV Schameder davon ab, in die Luft zu steigen. Was ihre Motivation ist und wie Wittgenstein von oben aussieht.

„Über den Wolken muss die Freiheit doch grenzenlos sein.“ Dieser Liedtext von Reinhard Mey aus dem Jahr 1974 dürfte vielen bekannt sein. Torben Hesse vom Flugsportverein Schameder kann dem nur zustimmen. Der 20-Jährige fliegt seit sieben Jahren und weiß, was es bedeutet, über den Wolken zu schweben. „Es ist einfach ein tolles Gefühl“, sagt er.

Die Diamond Super Dimona des FSV Schameder bringt den Autor und Pilot Torben Hesse in die Lüfte.
Die Diamond Super Dimona des FSV Schameder bringt den Autor und Pilot Torben Hesse in die Lüfte. © WP | Felix Leyendecker

Mit 13 beginnt er mit dem Segelflugschein und absolviert mit 16 die Prüfung. Es folgen der Motorsegler und ein Abstecher zum Kunstfliegen. Im kommenden Jahr möchte er seinen Fluglehrer-Lehrgang machen, seit zwei Jahren ist er Jugendleiter beim Flugsportverein Schameder. Seine Freizeit besteht folgerichtig aus: der Fliegerei.

Graue Tristesse unter der Wittgensteiner Wolkendecke.
Graue Tristesse unter der Wittgensteiner Wolkendecke. © WP | Felix Leyendecker

Der Autor kennt die Faszination Fliegen und möchte eine andere Perspektive kennenlernen. Fliegen mit Motor kann jeder, Fliegen ohne Motor muss gelernt sein. Samstags ab 14 Uhr und sonntags ab 10 Uhr finden sich die Flugsportenthusiasten auf dem Flugplatz in Schameder zusammen und auch an diesem Sonntag sind einige der 40 aktiven Flieger vor Ort. Doch das Wetter macht wenig Hoffnung. Die Wolken hängen tief, es gibt einzelne Schauer und eine große Regenzelle kündigt sich für die Mittagszeit an. Um kurz nach zehn fällt die Entscheidung: Wir nehmen den Motorsegler.

Viel analoge Technik in der Diamond Super Dimona.
Viel analoge Technik in der Diamond Super Dimona. © WP | Felix Leyendecker

Die Diamond Super Dimona ist so leicht, dass sie sich problemlos per Hand bewegen lässt. Natürlich nicht in der Luft, aber auf dem Boden. Bevor es jedoch in den wolkenverhangenen Himmel Wittgensteins geht, muss noch das Öl überprüft und nachgetankt werden. Beim Tanken gilt die Devise: Nur so viel, wie wir brauchen. Der Sprit an diesem Tag reicht für eine gute Stunde. Das muss auch bei dem Wetter reichen. Denn unser Flug ist gleichzeitig ein Check für die Flieger am Boden: Können sie bei diesem Wetter fliegen oder können sie es nicht?

Und plötzlich wird es hell über den Wolken Wittgensteins.
Und plötzlich wird es hell über den Wolken Wittgensteins. © WP | Felix Leyendecker

Während der Motorsegler die Graspiste in Schameder herunter rumpelt, erklärt Hesse die Basics des Flugzeugs. Das Spornradfahrwerk hinten sorgt dafür, dass der Start ein wenig komplizierter ist als bei anderen Schulflugzeugen wie einer Cessna 172. Doch der Routinier beherrscht den Start par excellence und schon befinden wir uns in der Luft. Spürbar wackelig aufgrund des Winds, doch in der Luft. Ein erstes Hochgefühl.

Zuckerwatte-Wolken und blauer Himmel über Wittgenstein.
Zuckerwatte-Wolken und blauer Himmel über Wittgenstein. © WP | Felix Leyendecker

Hesse überprüft kurz die Lage und sieht dann eine Möglichkeit. Eine, die auch den Autor zum Schmunzeln bringt. „Da vorne ist eine Lücke, dann steigen wir über die Wolken.“ Gesagt, getan und schon nach kurzer Zeit schweben wir über den Wolken und haben immer Blickkontakt zur Erdoberfläche, denn das ist beim Motorsegler elementar. Als sich dann die Lücke langsam zu schließen beginnt, nutzt Hesse den Moment und manövriert durch das Loch wieder unter die Wolkendecke. Statt gleißender Sonnenschein nur noch Wälder und graue Tristesse am Himmel.

Reinhard Mey hat absolut recht: Über den Wolken ist die Freiheit tatsächlich grenzenlos.
Reinhard Mey hat absolut recht: Über den Wolken ist die Freiheit tatsächlich grenzenlos. © WP | Felix Leyendecker

Ein kurzer Abstecher nach Bad Berleburg ist da aber noch zeitlich drin. Wir überfliegen den Stöppel, fliegen die Poststraße entlang und wenden über dem Schloss, bevor es wieder nach Schameder geht. Beim Rückflug sind die Kuppen des Rothaargebirges in der Ferne nicht mehr zu erkennen, es zieht sich immer mehr zu. Diese Erkenntnis ist wichtig, nicht nur für Hesse selbst, sondern auch für die wartenden Piloten am Boden.

Eine ungewohnte Blickperspektive auf Bad Berleburg und den Stöppel.
Eine ungewohnte Blickperspektive auf Bad Berleburg und den Stöppel. © WP | Felix Leyendecker

Der Motorsegler setzt mit einem leichten Ruck auf der Graspiste in Schameder auf und schon ist der Ausflug in die Lüfte Wittgensteins vorbei. Aber auch auf dem Boden gibt es einiges zu besprechen.

Warum er sich fürs Fliegen entschieden hat? Darauf hat Hesse eine klare Antwort. „Meine Eltern haben beide einen Flugschein. Ich bin schon früh mitgeflogen, aber du brauchst auch eine gewisse Affinität. Mich beeindruckt es, wie das Fliegen funktioniert“, sagt er und beginnt zu schwärmen. „Das ist für mich Freiheit. Ich kann drei Stunden lang auf Kurs 180 Grad fliegen. Ich störe dabei keinen und stoße mit niemandem zusammen. Als Pilot habe ich sehr viel Ermessensspielraum. Ich muss auf andere achten, aber ansonsten kann ich frei entscheiden“, sagt Hesse.

Aus der Zuschauerperspektive sieht der Kunstrasenplatz des VfL Bad Berleburgs anders aus als aus der Luft - wen wundert es.
Aus der Zuschauerperspektive sieht der Kunstrasenplatz des VfL Bad Berleburgs anders aus als aus der Luft - wen wundert es. © WP | Felix Leyendecker

Gleichzeitig habe man in der Fliegerei „wenig Idioten“ dabei, ergänzt der 20-Jährige. „Es gibt den Spruch: Es gibt mutige Piloten und es gibt alte Piloten. Es gibt aber keine mutige, alte Piloten“, erzählt er. Die Fliegerei sei mit rund 20.000 aktiven Piloten in Deutschland eine eher kleinere Zunft. „Wir sind eine coole Gesellschaft. Man kennt auf den Flugplätzen eigentlich immer jemanden. Man muss auch etwas bekloppt dafür sein, um diesen Sport auszuüben“, sagt Hesse und lacht.

Bundeswehr-Technik und Eigenleistung: Die Seilwinde des Flugsportvereins Schameder hat einiges an Power.
Bundeswehr-Technik und Eigenleistung: Die Seilwinde des Flugsportvereins Schameder hat einiges an Power. © WP | Felix Leyendecker

Für die Mitstreiter fällt das Fliegen jedoch erstmal flach. Die Segelflugzeuge sind recht anfällig für Nässe und die Schlechtwetterfront kommt immer näher. Doch die Flugsportgemeinschaft nimmt es gelassen. Man sitzt zusammen, plaudert und plant die nächsten Vorhaben. „Es ist eine große Familie, die von Generation zu Generation gepflegt wird“, erzählt Hesse lächelnd. In diesem Sinne: Allzeit glückliche Landung.