Er war Publikumsliebling, bester Torschütze und auch noch „MVP“ der Saison – beim TuS Ferndorf wird man Julius Lindskog Andersson vermissen.
Ferndorf. „Servus“ auf leisen Sohlen statt lautem Beifall, keine Ovationen, keine Bildcollage als Geschenk, keine Party – den Abschied von der großen Bühne „Sporthalle Stählerwiese“ hatte sich Julius Lindskog Andersson nach zwei Jahren beim Handball-Zweitligisten TuS Ferndorf sicherlich ganz anders vorgestellt. Eigentlich wollte sich der Schwede am letzten Spieltag im Mai gegen Eisenach vor heimischer Kulisse von den Fans verabschieden, doch die Corona-Pandemie warf alle Pläne über den Haufen. „Julius wird wie die weiteren Akteure, die unseren Verein verlassen, zu einem späteren Zeitpunkt würdig verabschiedet“, hofft Mirza Sijaric, Geschäftsführer und sportlicher Leiter der Nordsiegerländer, auf eine verspätete Zeremonie. Wann, wie und wo? Alles offen.
Mit Übersicht und Intelligenz
Der 25-jährige Schwede hat mit seiner Spielweise nicht nur beim TuS Ferndorf und den Anhängern Spuren hinterlassen, sondern sich in der ganzen Liga Respekt verschafft. „Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Ich freue mich riesig über die Auszeichnung, zum MVP“, sagte der Skandinavier, der zum besten Spieler der Saison 2019/2020 in der 2. Handball-Bundesliga gewählt worden war. Er erfuhr in seiner Heimat davon, denn kurz nach dem Abbruch der Saison im März reiste Lindskog Andersson nach Schweden, hält sich dort seit Wochen fit, bevor er demnächst seine neue Arbeitsstelle beim Ferndorfer Liga-Rivalen VfL Lübeck-Schwartau antreten wird.
„Für mich war das der richtige Abschluss einer tollen Zeit, die ich beim TuS Ferndorf hatte”, sagt Julius Lindskog Andersson. Und Mirza Sijaric lobt: „Diese Auszeichnung gilt auch dem gesamten TuS-Team. Julius ist ein cooler Typ und ein echtes Vorbild für viele junge Spieler. Er ist ein ruhiger Spieler, der sich selbst nicht so wichtig nimmt und sich immer in den Dienst der Mannschaft gestellt hat.“
Zwei Markenzeichen
Er fiel nicht nur wegen seiner persönlichen Markenzeichen – Stirnband und Vollbart – auf dem Spielfeld auf. Der Nordeuropäer avancierte zum Haupttorschützen beim TuS und ragte als Spielgestalter heraus. Im zentralen Rückraum erkämpfte und erspielte sich Julius Lindskog Andersson die Führungsrolle, die er in seiner ersten Saison im Nordsiegerland keineswegs inne hatte.
Die Eleganz, Leichtigkeit und wachsende Torgefahr entwickelte er – auch dank der Förderung durch Trainer Michael Lerscht – im Verlauf der Spielzeit 2019/2020. Der spektakuläre Aufschwung des TuS Ferndorf in der Rückrunde – 9:1 Punkte – hatte maßgeblich mit seinen Leistungen zu tun, mauserte sich Julius Lindskog Andersson zur unumstrittenen Führungspersönlichkeit im TuS-Team und damit auch zum neuen Sympathieträger.
Bärenstarkes Jahr 2020
Der 25-Jährige kam zur Saison 2018/2019 vom damaligen Zweitliga-Absteiger HG Saarlouis ins Siegerland und deutete schon in der ersten Saison mit seiner dynamischen, aber auch durchdachten Spielweise seine Stärken an, um sich in seinem zweiten Jahr weiter zu steigern. Er zog im Angriff mit großer Übersicht und einer bisweilen erschreckend stark ausgeprägter Ruhe die Fäden, brachte seine Nebenleute immer wieder in gute Wurfpositionen, agierte mit taktischem Geschick und suchte auch konsequent den direkten Weg zum gegnerischen Tor, war war sich für nichts zu schade. Nicht zu vergessen auch seine Leistungssteigerung in der Deckung.
Mit 141 Saisontoren, darunter 72 verwandelten Siebenmeter in den 24 ausgetragenen Partien bis zum Abbruch, schob sich Andersson noch auf Platz drei in der Scorer-Wertung der 2. Handball-Bundesliga vor (Quelle: www.handball-world.de). 5,9 Treffer erzielte er im Schnitt pro Spiel und verwandelte 88 Prozent der Strafwürfe.
Seinem Vater geht er aus dem Weg
Ohne die Unterstützung seiner Familie und deren Handball-Gene wäre eine solche Laufbahn wohl kaum möglich gewesen. Julius’ Vater Robert, ab der kommenden Saison der neue Trainer beim TuS Ferndorf, bestritt 139 Länderspiele für Schweden, erzielte 259 Tore, war 1994 und 1998 Europameister und gewann bei den olympischen Spielen 1992 und 1996 jeweils die Silbermedaille. „Mein Vater hat mich zu jeder Zeit unterstützt und mir wichtige Tipps gegeben“, blickt Julius Lindskog Andersson zurück, „aber die Entscheidungen habe ich immer selbstständig getroffen.“ Und eben auch die, seinem Dad aus dem Weg zu gehen, ihn in Ferndorf nicht als Trainer zu haben.
„Wir hätten gerne weiter mit Julius zusammengearbeitet und haben alles versucht, ihn in Ferndorf zu halten. Leider hat er sich aus privaten Gründen für einen Wechsel entschieden“, bedauert Mirza Sijaric. Für den TuS ist es ein schwerwiegender Verlust, durch den sich eine kaum zu schließende Lücke auftut. Einen Nachfolger mit ähnlich herausragenden Qualitäten gibt es (noch) nicht. Er dürfte auch kaum zu finden sein.