Bad Berleburg. Der Pacific Crest Trail wird für Katja Herling zur Grenzerfahrung. Die Fußballerin durchquert Wüste und Hochgebirge – und gewinnt neue Einsichten
Bei der Wanderung ihres Lebens galt es für Katja Herling zu Beginn, nur nicht die Nerven zu verlieren. Binnen fünf Monaten will sie über den Pacific Crest Trail wandern, einen rund 4265 Kilometer langen Fernwanderweg im Westen der Vereinigten Staaten. Doch zu Beginn läuft es schleppend. Im Schnitt „nur“ 28 Kilometer täglich schafft die Fußballerin des TuS Dotzlar in den ersten Wochen – ein Tempo, mit dem es am Ende eng werden könnte.
Der Körper muss sich vom Büroalltag bei den Bad Berleburger Stadtwerken erst einmal an die kolossale Herausforderung mit viel Gepäck auf der Schulter gewöhnen. Muskelkater und Blasen an den Füßen sind die Folge. Und die erste Phase ist besonders anspruchsvoll.
„Ich bin froh und stolz, dass ich es geschafft habe. Es ist schon anstrengend und man muss es erst einmal durchhalten“, sagt die 42-Jährige, die ihren Bruder Lügen strafte: „Er hat mir im Vorfeld nur 400 oder 500 Meilen gegeben.“ Von der mexikanischen Grenze in Kalifornien bis zur kanadischen Grenze im Norden führt der Weg zunächst durch die Wüste, dann entlang und über mehrere Gebirgskämme – in der Spitze auf über 4400 Meter.
Klapperschlangen und Bären
Gekennzeichnet ist er durch Extreme: Herling erlebt eisige Kälte und brütende Hitze, Mückenplagen und Waldbrände, sieht Klapperschlangen und Bären – die aber immerhin Abstand halten. Dem innigen Naturempfinden und absoluten Freiheitsgefühl stehen fernab von menschlichen Siedlungen immer wieder elementare Sorgen gegenüber. Wer nicht vorbereitet ist, gerät schnell in Lebensgefahr. 15 Todesfälle auf dem PCT sind in den vergangenen 40 Jahren dokumentiert, davon allerdings keiner von Wildtieren verursacht.
Dies wirft die Frage auf, wie man überhaupt auf die Idee kommt, eine solche Wanderung in Angriff zu nehmen. „Ich habe dazu zufällig eine Reportage im Fernsehen gesehen, habe den Trail danach gegoogelt und mir Filme bei Youtube angesehen“, verrät Herling, die der „PCT“ nicht mehr so recht los ließ. „Die Natur, diese Weiten und Freiheiten, das wollte ich selbst sehen und erleben“, sagt Herling, die lange mit sich rang, aber Zuspruch bekam. „Eine Freundin hat mir geraten: ,Mach doch einfach’.“
Herling macht, lässt den Alltag weit hinter sich. Aufgelaufener Urlaub, ein üppiges Überstundenkonto und ein Entgegenkommen des Arbeitgebers machen es möglich. Aus Katja wird „Lady Crockett“ – diesen Trail-Namen erhält sie wegen ihres Jagdscheins und der Waschbären am Edersee sowie in Anlehnung an den US-Volkshelden Davy Crockett. In Landschaften, die aussehen wie Filmkulissen und es zum Teil auch sind, bestimmen einfache Fragen den Alltag: Wo und wie kann ich mein Zelt aufbauen? Wo ist das Loch in der Luftmatratze? Wo gibt es frisches Wasser, wo wasche ich Wäsche und lade die Smartphone-Akkus? An welche Poststation geht das nächste Versorgungspaket?
Vier Paar Trailrunning-Schuhe verschleißt Herling zwischen Ende April und Mitte September, pro Tag sind 3000 Kalorien nötig, um nicht jede Substanz zu verlieren – am Ziel sind trotzdem zehn Kilo weniger auf der Waage. Das Essen kommt meist aus Tüten: Müsli- und Energieriegel, Tütensuppe mit Beef, Tacos mit Nutella. Für Abwechslung sorgt das, was die Landschaft hergibt – im Norden, in Washington, vor allem Blaubeeren Die wenigen Burgerläden in Wegnähe sind Zusatzmeilen wert.
Siedlungen sind in der unberührten Naturlandschaft am Trail wie Inseln im Ozean – und abgesehen von den Wüsten- und Hochgebirgspassagen, in denen sich Herling in größeren Gruppen bewegt, ist „Lady Crockett“ trotz vieler neuer Bekanntschaften meist alleine und so im eigenen Rhythmus unterwegs. Der ist von der Natur bestimmt: mit der Sonne aufstehen, zwölf Stunden laufen, dann Essen und mit der Dunkelheit ins Zelt fallen.
Angst, sagt Herling, habe sie trotz gefährlicher Bergüber- und Flussdurchquerungen, trotz des einsamen Wanderns, nicht gehabt. „Ich bin auch als Kind in den Urlauben viel gewandert und bin grundsätzlich kein Mensch, der sich zu viele Gedanken in die Richtung macht“, sagt Herling. Für alle Fälle ist ein GPS-Gerät mit Satellit-Notruffunktion in der Tasche – und die Familie daheim kann darüber mitverfolgen, ob und wo Katja gerade läuft.
Drücken musste die Herling die Not-Taste nicht. Und weil sich Körper und Geist nach einer Weile auf die tägliche Schinderei eingegroovt hatten, hätte Herling das Ziel locker im „Zeitlimit“ erreicht – ab Mitte September muss nahe der kanadischen Grenze auf den Höhen mit Schnee gerechnet werden. Doch ganz fertig ist die Wittgensteinerin mit dem PCT noch nicht, denn die letzten 60 Meilen musste die Bad Berleburgerin auslassen. Inmitten von Waldbränden im Bundesstaat Washington ging nichts mehr.
Die letzten Etappen in Richtung kanadische Grenze will die Sportlerin aber nachholen – am liebsten gemeinsam mit ihrem Bruder Jan, der unweit dieses Trail-Abschnitts in der Großstadt Seattle lebt und sein Schwester im Norden schon diesmal zeitweise begleitete.
Was bleibt unterm Strich? Erstens ein fitter Körper, wenngleich die Schnelligkeit gelitten hat. „Nach drei Sprints war ich beim Fußball platt“, lacht Herling. Zweitens eine Flut von Fotos aus atemberaubenden Landschaften und drittens ein Schub für das Selbstbewusstsein: „Ich denke, man sollte mehr Dinge einfach probieren. Man merkt, dass man viel mehr schafft, als man denkt.“