Wittgenstein. Eine Schambeinentzündung bedeutet häufig eine mehrmonatige Pause. Christopher Geisler spricht über seinen Weg zurück aufs Feld.
„Osteitis pubis“ ist der lateinische Fachbegriff für eines der größten Schreckgespenster im Profi- und Amateursportbereich – die Schambeinentzündung.
Tausendfach in Deutschland erkranken Athleten an der nicht-infektbedingten Entzündung in der Leistengegend, eine mehrmonatige Pause ist häufig die Folge dieser Verletzung, die überwiegend durch Über- und Fehlbelastung ausgelöst wird. Gerade jetzt, in der heißen Phase der Amateursaison, wo englische Wochen auch in Wittgenstein auf der Tagesordnung stehen, ist das Risiko für den „Alptraum der Profisportler“ so hoch, wie nie. Die Erkrankungsgefahr in der Spielzeit 2021/22 ist dabei nochmals ungleich höher, da durch die Corona-Pandemie erstmals wieder eine volle Saison auf die Amateurspieler wartet und in der Zeit des Lockdowns kaum trainiert werden konnte – der Körper der heimischen Athleten hat in dieser Zeitspanne Schwachstellen gebildet, die unter Umständen ihren Tribut einfordern. Während bei Profis eine Ausfallzeit von sechs Monaten proklamiert ist, können Amateure bis zu einem Jahr auf dem Feld fehlen.
Im Bezug auf die Schambeinentzündung hat es in den letzten zwei Jahren besonders den Landesligisten VfL Bad Berleburg hart erwischt. Mit Alexander Krowarz, Kai-Phillip Dengler und Christopher Geisler fielen gleich drei Stammspieler wegen der langwierigen Leistenverletzung aus, alle drei mussten oder müssen noch immer mehrere Monate pausieren.
Vom Dauerbrenner zum Invaliden
Besonders mit Blick auf Geisler, der seit Jahren eigentlich als „Kilometerfresser“ und „unverletzbar“ beim VfL galt, wiegt die Verletzung schwer. Der 30-jährige Erndtebrücker verpasste in der Zeit zwischen 2014 und 2020 kaum ein Pflichtspiel, doch fehlt in dieser Saison nahezu dauerhaft. Seit Dezember kommt der Mittelfeldspieler nicht mehr auf die Beine, auch an Training ist derzeit nicht zu denken – die Entzündung in der Leiste hat den Sport, aber auch seinen Alltag voll im Griff. „Es ist absolut demotivierend. Selbst zuhause ist jeder falsche Schritt gefährlich und kann eine erneute Reizung auslösen. Man läuft quasi wie auf rohen Eiern. An Training ist derzeit nicht zu denken“, erklärt Geisler seine aktuelle Situation.
Dabei hatte es für den 30-Jährigen ganz harmlos angefangen – wie so oft bei dieser Verletzung. Die Ursache, so die Ärzte, liegt beim Erndtebrücker nämlich wohl zwei Jahre zurück. 2020 riss sich Geisler das Innenband im Knie an, kam aber wieder schnell auf die Beine. Jedoch schmerzte seitdem immer wieder mal die Achillessehne, was im Umkehrschluss wohl zu einer Fehlhaltung führte, die sich irgendwann auf die Leistenregion auswirkte. „Am Anfang rechnet man mit einer kleinen Zerrung, nichts Wildem. Ich habe dann eine Woche Pause gemacht und war der Meinung, dass es damit getan wäre.“
Doch er sollte sich irren: Die Leistenschmerzen wurden immer schlimmer, nun auch im Alltag. Mit Schmerzmitteln quälte sich der 30-Jährige durch die Trainingseinheiten und Spiele des VfL, da der Kader ohnehin dünn besetzt war. Was fürs Team löblich klingt, bescherte Geisler im Umkehrschluss eine langwierige Leidenszeit. Selbst die Winterpause 2021/22 brachte keine Besserung, weshalb er mehrere Ärzte konsultierte – nach einer MRT-Untersuchung stand die Diagnose Schambeinentzündung schließlich fest.
Es droht ein Teufelskreis
Als Therapie wurde Geisler Physiotherapie, Osteopathie, Einlagen und Entzündungshemmer verschrieben. Ganz langsam stellt sich Besserung ein, doch an eine Rückkehr in der laufenden Saison verschwendet der Erndtebrücker keine Gedanken. „Es ist wie ein Brand, den man ausschlägt. Doch beim kleinsten Wind wird die Glut neu entfacht“, erklärt Geisler, der zugibt, ein wenig blauäugig mit der Situation umgegangen zu sein. „Rückblickend war der Ehrgeiz kontraproduktiv. Derzeit durchlebe ich eine Lehrstunde für den Körper.“
Mittlerweile versucht er es mit Injektionstherapie, also Spritzen gegen die Entzündung. Doch der 30-Jährige sieht für die Zukunft noch weitere Probleme: Nach der langen Pause ohne Training bildet sich die schützende Muskulatur logischerweise zurück, was die Chance auf eine neue Erkrankung oder andere Verletzungen fördern könnte. „Es ist ein Teufelskreis. Geduld und das passende Maß an Intensität ist nun das größte Gut.“
Grundsätzlich aber befindet sich Geisler auf einem normalen Heilungsweg, er selbst plant mit einer Rückkehr zur Sommervorbereitung im Juli. Immer mit der Hoffnung verbunden, dass es keine weiteren Rückschläge gibt. Denn, das scheint sich zu bewahrheiten: Die Schambeinentzündung ist wirklich ein Alptraum für jeden Sportler.
Pandemie als Verletzungstriebfeder
„Bei allen Stop-and-Go-Sportarten ist das Risiko für eine Schambeinentzündung sehr groß“, weiß auch Dr. med Alexander Belz, Facharzt der Orthopädie des Kreisklinikums Siegen. Bei Überbelastung komme es – besonders bei ambitionierten Sportlern – schnell zu einer Reizentzündung im Leistenbereich. Aber auch durch Schussbewegungen sowie abrupte Richtungswechsel werde eine Schambeinentzündung zusätzlich befeuert.
„Ich sehe das in meiner Praxis leider regelmäßig bei jungen Athleten. Seit die Sportpause aufgrund der Corona-Pandemie zu Ende gegangen ist, häuft sich diese Art der Verletzungen merklich“, erklärt Dr. Belz, der in den letzten Monaten des Öfteren Patienten mit Schambeinentzündungen oder Achillessehnenrissen behandelt hat. „Durch die lange Sportpause werden beim Wiedereinstieg in die Belastung vor allem die Sehnen stark strapaziert. Deshalb kommt es schnell zu schweren Verletzungen.“
Prophylaxe ist möglich
Doch damit es erst gar nicht zu diesen Szenarien kommt, können Sportler etwas tun. Die prophylaktische Stabilisierung der Rumpfmuskulatur ist wichtig, um sich gegen eine Schambeinentzündung zu schützen. Auch ein ausgeprägtes Dehn- und Aufwärmprogramm legt der Mediziner den Athleten ans Herz. Eine Garantie sei dies zwar nicht, doch würde das Risiko dadurch signifikant verringert.