Siegen-Wittgenstein. WSB-Jugendleiter Hartmut Zissel spricht über Probleme und Chancen in der Nachwuchsarbeit der Sportschützen. Auch außersportliche Aspekte wichtig.
Der Kampf um die Kreis- und Bezirksmeistertitel war schon mal deutlich umkämpfter. Bei den Wettkämpfen des Schützenbezirks Westfalen-Süd (Olpe/Siegen-Wittgenstein) hielt sich das Geschehen gerade in den Nachwuchsklassen in überschaubaren Grenzen – einige Titel wurden mangels Startern gar nicht vergeben. „Es fehlen überall Jugendliche. Es ist in den kommenden Jahren viel Aufbauarbeit zu leisten“, stellt Marc Seelbach, Vorsitzender des Bezirks aus Afholderbach, mit Blick auf die vergangenen Wochen fest.
Auffällig ist auch, dass zwar viele verschiedene Vereine einzelne oder eine Handvoll Jugendlicher an den Start gebracht haben, aber kein Verein besonders heraussticht. Selbst aus eigentlichen Hochburgen wie Littfeld (Luftgewehr) oder dem Alchetal (Pistolendisziplinen) gab es nicht viele Meldungen. Seelbach: „Rechnet man alles zusammen, waren es vielleicht knapp 50 Starts.“
Über Probleme, Chancen und Perspektiven in der Nachwuchsarbeit sprach unsere Zeitung mit Hartmut Zissel. Der Wemlighäuser ist Landesjugendleiter im Westfälischen Schützenbund und befasst sich hauptsächlich mit den sportlichen Belangen.
Herr Zissel, am kommenden Wochenende findet im Landesleistungszentrum der Rheinland-Westfalen-Cup statt. Wie viele Meldungen gibt es dafür?
Hartmut Zissel Obwohl zwei große Verbände zusammenkommen, sind es gerade mal 125 Teilnehmer. Die Zahlen sinken komplett. Es ist schwierig, Jugendliche zu aktivieren und vor allem bei den Schülern ist wenig los.
Ist das auch Corona geschuldet?
Ja, denn auf den Schießständen ist ja sehr lange nichts passiert. Beim Winny-Cup für die U12 hatten wir vor 2020 etwa 200 Kinder. Jetzt sind es 44 Kinder, die 106 Starts machen.
Wie kann das Interesse neu geweckt werden?
Wenn wir die eine passende Antwort wüssten, würden wir es sofort tun. Wichtig ist, dass die Verbände und Vereine überhaupt etwas anbieten. Die Jugendlichen wollen beschäftigt werden und man muss sie manchmal vielleicht auch einfach machen lassen. Es muss ja nicht nur das Schießen sein.
Stichwort überhaupt etwas anbieten: Um trainieren zu dürfen, muss man einen Sportleiterschein und eine Jugendbasislizenz machen sowie einen Kurs in Waffensachkunde belegen. Sind die Hürden in Summe nicht zu hoch?
Es stimmt schon, dass man einige Wochenenden bei Lehrgängen verbringen muss und dass dies eine Hürde ist, aber ohne geht es ja allein schon gesetzlich gar nicht. Und wenn man Kinder und Jugendliche trainieren will, sollte es auch fundiert sein. Die Zeiten, in denen jemand, der Ahnung vom Schießen hat, sich einfach hinstellt und loslegt, die gab es früher, aber sie sind einfach vorbei.
Bei den zurückliegenden Meisterschaften gab es zwar viele Vereine mit einzelnen Startern, aber keine Hochburg und in Summe keine großen Felder. Wäre eine Zentralisierung des Trainings sinnvoll, um größere Gruppen zu haben?
Ja, ich glaube schon, dass das ein guter Ansatz ist. Vor der Pandemie hatten wir etwa in Wittgenstein einmal pro Woche ein vereinsübergreifendes Training, in dem rotierend in Berghausen, Feudingen und Erndtebrück trainiert wurde. Daraus entstehen vereinsübergreifend Kontakte und Freundschaften, auch in der Leistung bringt es etwas. Ein Beispiel ist Marie Kern, die jetzt bei Landesmeisterschaften und Deutschen Meisterschaften konstant um die 380 bis 385 Ringe schießt.
Sie sagen es: Vor der Pandemie.
Mit Corona ist das eingeschlafen, wobei zur Wahrheit gehört, dass es vorher schon nicht mehr so viele Teilnehmer wie früher mal waren. Aber ich rechne damit, dass man den Ansatz wieder aufgreifen wird.
In den vergangenen Jahren haben etliche Vereine in elektronische Schießstände und in Red-Dot-Anlagen, also Schießen mit Lasertechnik investiert. Trotzdem hat sich der Trend nicht umgekehrt. Waren das also Fehlinvestitionen?
Im Schützenkreis Wittgenstein haben mittlerweile fast alle Vereine die Red Dots. Diese Technik ist zwar auch nicht der Heilige Gral, aber auch keine Fehlinvestition. Einmal, weil wir für unter Zwölfjährige sonst gar nichts anbieten könnten, aber auch, weil wir uns vermutlich ohnehin alle digitalisieren müssen. Mit Blick auf die Debatte um das Blei könnte es passieren, dass wir irgendwann gar nicht mehr mit Kugeln schießen.
Verlöre der Sport damit nicht einen großen Teil seines Reizes?
Ich schieße auch lieber, wenn es knallt; wenn man hört und spürt, dass etwas passiert. Aber bei den Kleinen ist es so, dass sie einfach froh sind, wenn sie überhaupt schießen und etwas treffen können. Man kann mittlerweile übrigens schon Vogelschießen mit Licht durchführen – bei unsrem Jugendcamp werden wir genau das machen.
Der WSB bietet immer wieder diese Camps an, bei denen es gar nicht oder nur am Rande ums Schießen geht. Aber stärkt dies dann überhaupt die Bindung zum Sport?
Dieser Sport ist langweilig, wenn man nur stupide schießt, also muss man auch etwas anderes anbieten. Dieses Jahr haben wir im Camp beispielsweise das Thema Umwelt, da werden die Jugendlichen in Harsewinkel Insektenhotels bauen. Allgemein geht es fast nur über die Gemeinschaft, deshalb ist es wichtig, dass man sich sieht und es für die Jugend Treffen auch außerhalb der Schule und des Schießstandes gibt, bei denen sie Spaß an der Sache und am Verein haben.