Erndtebrück. Jurij Propp hat zwei Brüder in Russland, einen weiteren sowie seine Partnerin in der Ukraine. Der Krieg setzt ihm zu – und zwingt ihn zum Handeln

Geplant war es als eine Urlaubsfahrt, verknüpft mit einem Skimarathon im Erzgebirge als Zwischenstation. Nun wird daraus ein Hilfstransport bzw. eine Evakuierung. Am Freitag will sich Jurij Propp in Richtung Lwiw in der Westukraine aufmachen. Zunächst war seine Fahrt am Mittwoch mit dem Privat-PkW geplant, doch um mehr Material transportieren zu können, hat er seine Abreise verschoben. Ein Erndtebrücker Autohaus stellt Propp einen Kleinbus zur Verfügung, der bis unters Dach gefüllt sein mit Bockwurst-Konserven, Arzneien, Batterien und vielen anderen Gütern, die im Kriegsgebiet benötigt werden.

Wladimir Putins Krieg in der Ukraine erschüttert den Ausdauersportler vom Erndtebrücker Gickelsberg, das Gespräch mit dem sonst positiv eingestellten Propp ist durchzogen mit Seufzern. „Ich schäme mich für Russland, genauer gesagt für die russische Politik“, sagt der Deutsch-Russe, der in Westsibirien aufgewachsen und vor knapp 30 Jahren nach Deutschland gekommen ist.

Seine Familie ist auf beiden Seiten vom Krieg betroffen. Zwei seiner Brüder leben in Russland, einer in der Ukraine, ebenso Propps Partnerin. Entsprechend groß sind die Sorgen, entsprechend groß ist der Handlungsdruck. Nach dem Entschluss, in die Ukraine zu fahren, rief Propp via Instagram zu Spenden auf.

Die Hilfsaktion

„Ich kann mich nur sehr, sehr bedanken“, sagt Propp angesichts der Hilfsgüter, die er schon bekommen hat. Vor allem aus dem Sauerland-Skiteam sei viel zusammengekommen. „Viele haben Geld überwiesen“, sagt Propp, den vor allem der in der Skilanglaufszene bestens bekannte Uli Selter aus Attendorn beeindruckt hat. Der war bei mehreren Unternehmen und Läden vorstellig geworden, hatte in Finnentrop „Dicke Sauerländer“ im Wert mehrerer hundert Euro erbettelt, brachte unter anderem auch Taschenlampen, Batterien, Arzneien und Erste-Hilfe-Material mit.

Eine Frau, die er über das Mitfahrer-Portal Blablacar kennen gelernt hat, bot Propp an, sich ihrer ähnlich gelagerten Aktion anzuschließen. Deshalb wird das Material morgen in Erfurt in einen großen Bus umgeladen, mit dem es als Teil eines größeren Konvois die tausend Kilometer nach Lwiw (Lemberg) geht – und zurück. Propp wechselt sich mit anderen Fahrern ab. Auf dem Rückweg nimmt er seine Freundin und seine Nichte mit nach Deutschland, um sie aus der Gefahrenzone zu schaffen. „Und ich nehme so viele weitere Leute mit, wie ich kann.“

Die Situation in der Ukraine

„Hätte die Ukraine nicht diese Waffen, hätten die Russen schon gewonnen“, sagt Propp. Die diffuse Gefahr einer atomaren Eskalation sowie die zunehmend rücksichtslosen Angriffen der russischen Streitkräfte, die auch zivile Einrichtungen und Wohnhäuser treffen, machen auch ihm Angst, selbst wenn in Lwiw der Bodenkrieg (noch) fern scheint. „Es kann jederzeit überall etwas passieren. Es werden ja einfach Bomben und Raketen geschmissen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es auch dort soweit ist“, sagt der Skisportler. Wie groß die Angst ist, zeigt der Stand Dienstag 30 Kilometer lange Stau vor der polnischen Grenze, in den auch Propp sich am Wochenende einreihen will.

Neben Angst gebe es in der Westukraine aber auch Mut und große Entschlossenheit, was sich daran äußere, dass Bürgerwehren schon deutlich mehr Kämpfer haben als sie ausstatten können. Lwiw gilt als die am stärksten europäisch geprägte Großstadt der Ukraine, mit einer russischen Herrschaft will sich hier niemand anfreunden. „Man kann aber nicht sagen, dass sie nationalistisch sind. Ich habe dort nie Probleme gehabt, wenn ich russisch gesprochen habe.“

Die Situation in Russland

Auch mit seinen Brüdern und Bekannten in Russland hat Jurij Propp seit Beginn des Kriegs noch mehr Kontakt. Je nach Gesprächspartner gehen die Ansichten und Aussagen zur Sache weit auseinander.

Aus seiner Kommunikation weiß Propp, dass der Krieg und die damit einhergebenden Wirtschaftssanktionen gegen Russland das Leben der Bürger schon stark beeinflussen. Güter aus dem Ausland seien durch das starke Nachlassen des Rubels quasi unbezahlbar geworden. „Ein I-Phone, so habe ich es gelesen, kostet jetzt 0,5 Million Rubel, das sind umgerechnet etwa 6000 Euro. Vor einem Monat konnte man davon noch ein Auto kaufen“, rechnet Propp vor, der im Sinne aller Beteiligten auf eine schnelle Waffenruhe hofft.

Bei der Grundversorgung der Bürger, etwa bei der Energieversorgung, schlage dies nach seiner Kenntnis aber nicht durch. „Lebensmittel und andere Dinge, die in Russland selbst produziert werden, gibt es weiter zum normalen Preis.“

In einer früheren Version dieses Artikels haben wir berichtet, dass Propp am Mittwoch in die Westukraine aufbricht. Der Erndtebrücker hat seine Abfahrt jedoch zugunsten eines größeren Umfangs an Hilfsgütern verschoben.