Wittgenstein/Winterberg/Willingen. Jochen Behle nimmt kritisch Stellung zu den Bundeskader-Nominierungen der Skisportler und zieht Saisonbilanz für den Westdeutschen Skiverband.

Die Einteilung der Bundeskader des Deutschen Skiverbandes hat für einige Sportler des heimischen Stützpunktes die erhoffte Belohnung gute Leistungen in der abgelaufenen Saison mit sich gebracht, für andere aber auch herbe Enttäuschungen. Unsere Zeitung sprach im Interview mit Jochen Behle, dem Sportdirektor des Westdeutschen und Hessischen Skiverbandes, über die Entscheidungen des DSV sowie die Situation des heimischen Stützpunktes.

Hallo Herr Behle, wie fällt ihre Bilanz nach dem vergangenen Winter aus?

Jochen Behle: Es ist eine durchwachsene Bilanz. Positiv ist, dass die Zahl der Kadernominierungen insgesamt auf einem recht ordentlichen Niveau stabil geblieben ist. Vor allem im Skisprung und in der Nordischen Kombination stehen wir wirklich gut da. Aber es gab auch einige Wermutstropfen.

WSV-Sportdirektor Jochen Behle an der Skisprungschanze in Willingen. Er betont, dass es wichtig sei, die geplante zweite, kleinere Schanze auch zu realisieren.
WSV-Sportdirektor Jochen Behle an der Skisprungschanze in Willingen. Er betont, dass es wichtig sei, die geplante zweite, kleinere Schanze auch zu realisieren. © Hartwig Sellmann/WNM

Zum Beispiel?

Bei Lenard Kersting hatten wir damit gerechnet, dass er in der Nordischen Kombination im Kader bleibt. Aufgrund von perspektivischen Gedanken des Deutschen Skiverband, bei denen es auch um das Körpergewicht geht, hat man ihn aber nicht berücksichtigt. Dabei hat er einen Kaderwettkampf zur Junioren-WM-Qualifikation gewonnen und einen zweiten Platz im Alpencup geholt, obwohl er durch seine Schulterverletzung mehrere Monate gehandicapt war. Jetzt gilt es für uns, ihn zu motivieren und so vorzubereiten, dass er in einem Jahr wieder dabei ist. Die Laufleistung von Lenard war sehr gut, aber ihm haben vor allem Trainingssprünge gefehlt, deshalb war die Leistung in dieser Disziplin nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben.

Stark in der Loipe, aber beim Springen mit Luft nach oben – es fällt auf, dass dies für fast alle Nordischen Kombinierer aus der Region gilt.

Wir müssen den Sprungbereich mehr in den Fokus nehmen und ihn insgesamt verbessern, auch wenn es vielleicht etwas auf Kosten der Laufleistung geht. Wir benötigen mehr Trainingssprünge und müssen häufiger auf andere Schanzen, auf die mit den neueren Profilen, wo der Radius nicht so stark ist wie in Winterberg. Die gibt es in Rastbüchl, in der Ramsau oder Hinterzarten.

Sean Steenbakkers vom SC Rückershausen ist neu im Nachwuchs-Bundeskader der Nordischen Kombinierer.
Sean Steenbakkers vom SC Rückershausen ist neu im Nachwuchs-Bundeskader der Nordischen Kombinierer. © Jan Simon Schäfer

Was wird konkret verändert?

Wir werden mehr, aber jeweils kürzere Lehrgänge machen, die sich dann aber rein auf den Sprung beziehen. Außerdem wird unser Kombinations-Landestrainer Jens Gneckow unseren Sprungtrainer Heinz Koch noch mehr mit einbeziehen, er soll bei Lehrgängen der Kombinierer mit dabei sein. Vier Augen sehen einfach mehr als zwei.

Sie sprachen davon, wie wichtig Schanzen mit modernem Profil sind. Wie sieht es mit dem Bau der geplanten zweiten Schanze in Willingen aus?

Durch Corona ist dort alles etwas in Stocken gekommen. Da bleiben wir aber dran. Wir brauchen diese Verbesserung und diese heranführende Schanzengröße. Eigentlich ist es sogar erstaunlich, dass wir im Sprung so stark sind, obwohl wir nicht gerade optimale Bedingungen haben.

Kombiniererin Emily Schneider und Biathletin Lilli Bultmann sind aus den Kaderlisten gestrichen worden. Ist das nachvollziehbar?

Schneider war bei den Diskussionen Thema, aber wir müssen bei dem Gesamtergebnis damit leben, wie entschieden wurde. Aber das ist bei den Frauen eine junge Sportart, für sie ist weiter alles möglich. Bei Bultmann muss ich sagen, dass sie von den Resultaten her ganz klar in den Nachwuchskader gehört hätte.

Aber?

Es gab diesmal weniger Wettkämpfe als sonst und damit auch mehr Trainerentscheide aufgrund von Trainingseindrücken. Die Nachwuchs-Bundestrainer werden sich an ihrer Entscheidung messen lassen müssen. Ich halte diese Festlegung für mutig, weil Bultmann in ihrer Altersklasse eigentlich die Nummer zwei war und Sportlerinnen nominiert worden sind, die in fast jedem Rennen hinter ihr lagen. So etwas kann man einer Sportlerin dann auch nicht mehr erklären.

Wie war Bultmanns Reaktion auf die Entscheidung?

Sie war nicht erbaut, aber sie ist eine Kämpferin und wird sich sagen: ,Jetzt erst recht.’ Jetzt weiter wegen der Entscheidung zu kacheln, wird sowieso nichts bringen. Ich bin aber optimistisch, weil Bultmann unter Druck immer starke Leistungen gebracht hat und eher eine Winterleisterin als im Sommer stark ist. Durch die wenigen Wettkämpfe hatten die Sommerleistungen mehr Gewicht, aber das wird jetzt wieder anders.

Bei den Biathleten ist dafür Linus Kesper neu dabei.

Er hat sich über die Laufleistung reingelaufen, wo er in der Regel der beste seiner Altersklasse ist. Er profitiert davon, dass der DSV jetzt stärker als bisher auf die Laufleistung schauen will. Das macht für mich auch Sinn, weil die Deutschen in diesem Bereich den Anschluss an die Weltspitze verloren haben.

Beim Skilanglauf werden Birger Hartmann vom VfL Bad Berleburg und Jan Stölben vom SK Wunderthausen den Stützpunkt in Winterberg verlassen. Wo sollten die beiden Ihrer Meinung nach hingehen?

Beide haben sich zuletzt sehr gut verkauft und jetzt mehrere Stützpunkte zur Auswahl, auch Willingen. Ich habe mit Bundestrainer Peter Schlickenrieder telefoniert, er sähe es lieber, wenn sie in die Trainingsgruppen in Oberhof, Ruhpolding oder Oberstdorf gehen, in denen auch ihre Konkurrenz ist. Ich sehe das auch so, denn in Willingen wären sie wie bisher auf ihrem Level nur zu zweit unterwegs. Das ist aber über Jahre nicht gut, deshalb ist eine Veränderung für beide sinnvoll.