Siegen-Wittgenstein. Handballvereine tun sich schwer, Migranten für sich zu gewinnen. Das Demografie-Problem trifft sie mit voller Wucht. Der DHB will gegensteuern.

Koch, Henrich, Pöppel, Koppelmann, Spies, Kroh und Co. – die Nachnamen der Spieler der HSG Wittgenstein gehen dem deutschen Muttersprachler leicht über die Zunge. Auch bei den Vereinen im Siegerland sieht es nicht viel anders – der Anteil der Handballer mit Wurzeln im Ausland ist erheblich kleiner als der von Personen mit Migrationshintergrund an der Gesamtbevölkerung.

Wenn, dann kommen sie meist aus Osteuropa und vor allem aus den Balkanstaaten, wo alle Ballsportarten äußerst populär sind und Handball im Stellenwert nicht so weit hinter dem Fußball steht. Am bekanntesten im heimischen Handballkreis Lenne-Sieg: Mirza und Alen Sijaric, gebürtig aus Bosnien stammend, spielten beim TuS Ferndorf groß auf und sind heute noch im heimischen Handball tätig.

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Beinahe Fehlanzeige ist in der Region die Suche nach Spielern mit Wurzeln in der Türkei, Syrien, Afghanistan oder den nordafrikanischen Staaten, die einen sehr großen Anteil unter den Migranten in Deutschland einnehmen. Beim TV Olpe gibt es den Tunesier Ossuma Lajnef, der dort sogar das Aushängeschild ist – aber sonst?

Versuche fruchten oftmals nicht

„100 Prozent kartoffeldeutsche Leistungsbereitschaft“ hat der Philosoph Wolfram Eilenberger der deutschen Handball-Nationalmannschaft beim EM-Turnier im Jahr 2016 in einem Beitrag in der „Zeit“ attestiert, was natürlich überspitzt, aber mit Blick auf die Kaderzusammenstellung auch kein totaler Unsinn ist – und in der Spitze hat sich bis jetzt nicht viel geändert.

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Der Dachverband will umsteuern, hat Programme auf die Beine gestellt, Slogans und die Bildsprache angepasst. „Es gibt Konzepte, aber davon bleibt an der Basis nicht viel hängen“, stellt Klaus Kraß, Vorsitzender des Handballkreises Lenne-Sieg, fest. Dabei sei es nicht so, dass die Vereine nicht wollen oder die Tür zuschlagen. Mit der HSG Lennestadt/Würdinghausen hat Kraß zur Hauptzeit der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 eine Sport-AG angeboten, bei der sich anfangs 30 Interessenten einfanden. Geblieben ist am Ende keiner.

„Viele wollten lieber Fußball spielen und einigen war es schlicht zu schwierig“, berichtet Kraß und verweist auf das vergleichsweise komplexe Geschehen im Handball – so hätten auch Sprachbarrieren eine Rolle gespielt.

Das größte Hindernis, dies ist kein großes Geheimnis, stellt die Tatsache dar, dass Handball in den arabisch geprägten Ländern überhaupt keine Rolle spielt, oftmals sogar unbekannt ist – weshalb in der Herkunftscommunity das fremde Hobby mindestens erklärt, wenn nicht sogar gerechtfertigt werden muss. Und: Sportarten werden häufig über Familien weitergegeben.

Im Grundsatz ist die geringe Präsenz von Migranten im Handball kein Problem: Diversität folgt keinem Selbstzweck und der Sport läuft auch so weiter.

40 Prozent der Kinder mit Migrationshintergrund

Dennoch macht es Sinn, das Thema zu beleuchten, denn der Deutsche Handballbund verzeichnete in den vergangenen zehn Jahren den Verlust eines Viertels seiner Wettkampfmannschaften. Dass sich die Entwicklung fortsetzen oder gar beschleunigen wird, ist keine steile These mit Blick auf die heimischen Nachwuchsligen, wo selbst die unterklassigsten Teams gefühlte „Weltreisen“ zu Spielen hinter sich bringen müssen, teilweise bis an den Rand des Ruhrgebiets. Neben der Härte und Komplexität kommen für Einsteiger die Rahmenbedingungen inzwischen als abschreckender Faktor hinzu.

Soll der Trend gestoppt werden, ist wichtig zu wissen, dass 2018 laut der Bundeszentrale für politische Bildung 40,6 Prozent der Kinder unter fünf Jahren einen Migrationshintergrund hatten – wobei Deutsche aber mit eingerechnet sind.

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Apropos fünf Jahre: Je jünger der Einstieg, desto größer die Chance auf den Verbleib beim Handball, stellt Kraß fest: „Wenn du dann noch Lehrer hast, die in der Schule Handball anbieten und das gut machen, dann hast du an diesem Ort auch Handballer. Der Michael Feldmann in Kreuztal ist ein gutes Beispiel.“

Eine Spielerin, die er als Beleg für seine These hätte heranziehen können, ist die Erndtebrückerin Sophie Dohle (geb. Naser) – Mutter Libanesin, Vater Syrer. Sie kam als Fünfjährige zum Erndtebrücker HC.

„Eine Freundin meiner älteren Schwester hatte die Idee. Ich bin direkt in die E-Jugend gekommen und dabei geblieben“, berichtet Dohle. Es ist nicht so, dass die Kultur der Eltern bei ihr keine Rolle spielt: „Es war ihnen immer wichtig, dass wir wissen, worum es da geht. Das war aber für den Sport kein Problem, mein Papa wollte sogar, dass wir solche Hobbys haben. Meine Schwester war beim Turnen, mein Bruder beim Fußball. Es gibt aber Fälle, wo die Eltern verschlossener sind.“

Mädchen in langen Hosen

Auf dem Feld ist sie bislang keiner Spielerin mit einem vergleichbaren Hintergrund begegnet, auch war die Sache dort nie Thema: „Vielen wird nicht mal aufgefallen sein, dass ich nicht deutschstämmig bin.“

Dohle ist zwar Muslimin, das Tragen eines Kopftuchs im Spiel war für sie aber nie Thema, wenngleich es im Spiel seitens des Weltverbandes zulassen wäre. Seit kurzem sind für Mädchen im Spielbetrieb unterklassiger Ligen auch lange Hosen zugelassen. DHB-Vorstandschef Mark Schober: „Handball ist offen für Menschen jeder Herkunft.“