Köln. Training ist wieder möglich. Doch wie soll es ohne zeitnahe Wettkämpfe aussehen? Ein Interview mit Sportwissenschaftler Prof. Dr. Daniel Memmert.

Die Corona-Pandemie hat den Wettkampfbetrieb im Sport weitgehend zum Erliegen gebracht, Training ist aber weitgehend wieder möglich. Doch wie kann der Neustart aussehen und welcher Trainingsaufbau ist sinnvoll, wenn die Wettkampfpause erheblich länger ist als üblichweise? Fragen dazu beantwortet Prof. Dr. Daniel Memmert von der Deutschen Sporthochschule Köln.

Herr Memmert, die überwiegende Zahl der Amateursportler in Ballsportarten haben gut zweieinhalb Monate nicht mehr trainiert. Auf was müssen sie sich einstellen, wenn sie jetzt wieder einsteigen?

Daniel Memmert: Das hängt von der Vorerfahrung der Athleten ab. Je höher das Level ist und je länger man etwas trainiert, desto länger ist es da und desto weniger schnell verlernt man etwas. Die jetzige Situation ist deshalb besonders bei Jugendlichen und Kindern problematisch, denn bei ihnen ist es extrem wichtig, die gelernten Dinge zu stabilisieren.

In Nordrhein-Westfalen soll ab Samstag Kontaktsport in Gruppen bis zehn Personen wieder möglich sein. Kann man nach so langer Pause bedenkenlos gleich wieder überwiegend mit den Ball-Wettkampfübungen beginnen, ohne Verletzungen zu provozieren?

Ich würde mit Komplex- und Wettkampfübungen tatsächlich dosiert beginnen. Je weniger Spieler man hat, desto intensiver ist es normalerweise. Wenn man beispielsweise beim Fußball „Vier gegen Vier“ spielt, würde ich nach zwei Minuten schon eine Pause machen. Am Anfang muss man schon zurückschrauben, da ist weniger mehr.

Beim Solo-Fitnesstraining während der Kontaktbeschränkungen wird der individuelle Fleiß in Amateurteams sehr unterschiedlich gewesen sein. Wie können sinnvolle Tests aussehen, um den Zustand einer Mannschaft nach der Pause einordnen zu können?

Was sinnvoll ist, hängt davon ab, welche Mittel zur Verfügung stehen und welche Tests man in der Vergangenheit gemacht hat. Die kann man nun wieder machen.

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Denkbar wäre, verschiedene Läufe zu machen und dabei mit Pulswerten zu arbeiten oder über Sprints und Kraftübungen den Ist-Zustand festzustellen – und die jeweiligen Tests dann nach einigen Wochen zu wiederholen. Wem das nicht reicht, der kann sich auch einen Personal-Trainer aus seiner Gegend dazu holen.

Im Fußball gibt es die sehr ungewohnte Situation, dass es mindestens fünf Monate keinen ernsthaften Wettkampf gibt – womöglich auch deutlich länger. Was bedeutet dies für das Training?

Hier verweise ich auf die USA, wo dies eine normale Situation ist. Dort gibt es an den Colleges im Vergleich zu Europa nur ganz geringe Wettkampfzeiten und entsprechend längere Trainingsphasen. Das ist ein Problem in der Talententwicklung in Amerika und ist einer der Gründe dafür, dass sich die amerikanischen Spieler in Europa oftmals nicht durchsetzen. Bei ihnen sind die Dinge, die im Wettkampf entscheidend sind, weniger präsent. Der Begriff Trainingsweltmeister kommt nicht von ungefähr.

Welche Schlüsse können Trainer daraus für die aktuelle Situation ziehen?

Von der Theorie her ist es wichtig, dass man im Rahmen der Möglichkeiten so viel wie möglich matched – nicht nur innerhalb einer Mannschaft, sondern am besten auch unter verschiedenen Mannschaften. Man muss Wettkampf generieren, um das Handeln unter Stress zu automatisieren und stabilisieren. Es gibt ja tausend Wege, den Spielern im Training Stress zu machen: Wechselnde Tore, Zeit- oder Raumdruck, Strafen wie Liegestützen. Aber selbst das ersetzt alles nicht ein richtiges Spiel. Deshalb ist es gut, so viele Freundschaftsspiele oder kleinere Turniere wie möglich zu machen.

Spielformen, die den Sportler im Training unter Druck setzen, sind effektiv. Hier sind die Fußballer des TuS Erndtebrück zu sehen.
Spielformen, die den Sportler im Training unter Druck setzen, sind effektiv. Hier sind die Fußballer des TuS Erndtebrück zu sehen. © Florian Runte

Von wenigen Sportarten abgesehen sind Wettkämpfe in NRW vorerst nur im Training möglich. Wie könnte ihr Vorschlag dort in der Praxis aussehen?

Im Training kann alles, was nach einer Tabelle aussieht, helfen, wobei dies natürlich nicht aus dem Ruder laufen und Aggressionen hervorrufen sollte. Man kann beispielsweise in wechselnder Besetzung Spiele „Drei gegen Drei“ durchführen und den Spielern aus dem Siegerteam Punkte geben – und am Ende gibt es dann eine Tabelle mit Punkten für jeden Spieler.

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Man kann aber nicht nur bei Spielformen monitoren, sondern auch bei bei Liegestützen oder konditionellen Übungen. Ich würde das so viel wie möglich machen und der Mannschaft dann transparent zur Verfügung stellen. Am besten ist natürlich, wenn jeder Spieler intrinsisch, also von innen heraus motiviert ist.

Gesetzt den Fall, dass ab September Mannschaftsspiele wieder möglich wären, hätte man ein halbes Jahr Wettkampfpause – so wie in einigen Ausdauer- oder Wintersportarten. Dort ist es üblich, die Vorbereitung mit großen Blöcken langer Einheiten für die Grundlagenausdauer zu beginnen, ehe es später an die Schnelligkeit und Technik geht. Ist es sinnvoll, dieses Konzept nun auf Fußball oder Handball zu übertragen?

Man kann es durchaus so machen, für den Breitensport würde ich es aber nicht empfehlen, sondern variantenreich arbeiten. Das ist in vielen Bereichen sinnvoller. Welcher Kreisliga-Spieler hat jetzt schon Lust, ein dreiwöchiges Krafttraining zu machen, um eventuell im September davon zu profitieren? Da wäre es schwierig, die Leute bei der Stange zu halten.

Was ist sonst möglich, um die Motivation zu erhalten?

Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Wie schon beschrieben gehört der interne Wettkampf dazu, der ja auch eine psychologische Komponente hat, weil man einfach schauen will, wer besser ist. Aber auch der soziale Aspekt ist wichtig. Ein gemeinsamer Ausflug oder das Bier nach dem Training, mit Abstand, sollte sobald wie möglich wieder dazu gehören.

Welche Chancen sehen Sie noch, die sich aus der ungewohnt lange Wettkampfpause ergeben?

Es gibt jetzt genügend Zeit, die verschiedenen Facetten einer Sportart gründlichst zu lernen – mehr hat ein Verein noch nie gehabt. Potenziale, die ein Trainer erkannt hat, kann er jetzt fokussiert in den Blick nehmen. Man kann jetzt gezielt an der Kraft, Schnelligkeit oder an der Taktik arbeiten.

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Zum Thema Taktik ist dazu in dieser Woche ein guter Artikel mit Ralf Rangnick im Kicker erschienen. Vor allem kann man jetzt gezielt den Kopf trainieren, denn Spiele werden auch dort entschieden. Das Training für den Kopf ist jederzeit online möglich, aber auch auf dem Platz mit kognitiven Spielformen. Da geht es darum, das Aufmerksamkeitsfenster zu erweitern, also zwei wichtige Ereignisse oder Objekte gleichzeitig bewusst erkennen zu können. Für Fußballspieler bedeutet ein größeres Aufmerksamkeit größere Kreativität.

Um welche Tests geht es? Und wo kann man mehr dazu erfahren?

Ich habe gerade ein Buch dazu geschrieben („Fußballspiele werden im Kopf entschieden: Kognitives Training, Kreativität und Spielintelligenz im Amateur- und Leistungsbereich. Aachen: Meyer & Meyer“; die Red.). Kognitive Fähigkeiten lassen sich nach unseren Studien sowohl auf dem Feld also auch am Computer schulen und testen.

Wir haben jetzt viele Spielformen entwickelt und erprobt, mit denen Trainer Antizipation, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kreativität, Spielintelligenz und das Arbeitsgedächtnis bei ihren Spielern systematisch mit Trainingsformen auf dem Platz trainieren aber auch überprüfen können. Wobei wir auch einige Computer- und Online-Programme entwickelt haben, die beispielsweise das Aufmerksamkeitsfester von Athleten testen und vergrößern können.

Zur Person

Prof. Dr. Daniel Memmert ist 48 Jahre alt und lebt in Neckargemünd. Er ist geschäftsführender Leiter des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule Köln. Seine wissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkte liegen in der Bewegungswissenschaft, Sportpsychologie, Sportinformatik, in der Kinder- und Jugendforschung, im Bereich der Sportspiel- und Evaluationsforschung sowie in den Forschungsmethoden.

Memmert ist Herausgeber und Autor von Lehrbüchern zum modernen Fußballtraining. Sein Institut kooperiert mit verschiedenen Fußball-Bundesligisten, der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft sowie DAX-Unternehmen.

Der Familienvater besitzt Trainerlizenzen in den Sportarten Fußball, Tennis, Snowboard sowie Ski-Alpin, leitet aus Zeitgründen aktuell jedoch keine Sportgruppen. Fußball- und Tennis spielt er regelmäßig auf Breitensportebene.