Kamen. Westfalens Leichtathletik-Boss Peter Westermann spricht über die aktuelle Situation, denkbare Wettkampfformate und den Kern der Leichtathletik.

Die Bundesliga ist wieder am Ball, die Tennissaison startet Anfang Juni und beinahe täglich werden Lockerungen der Corona-Schutzregeln verkündet oder diskutiert. Relativ ruhig ist die Nachrichtenlage in der westfälischen Leichtathletik.

Peter Westermann, der im Rahmen einer Talkrunde beim Goldgas-Talentcamp den Aussagen von Elias Connor Dickel (LG Wittgenstein) zuhört, wäre über eine frühere Freigabe für Wettkämpfe nicht überrascht.
Peter Westermann, der im Rahmen einer Talkrunde beim Goldgas-Talentcamp den Aussagen von Elias Connor Dickel (LG Wittgenstein) zuhört, wäre über eine frühere Freigabe für Wettkämpfe nicht überrascht. © Felix Schemmann / FLVW

Seit Mitte April alle Wettkämpfe bis Ende August vorläufig gestrichen und in einer Pressemitteilung die Hoffnung auf eine „Late Season“ im September formuliert wurde, gab es wenig Neuigkeiten. Peter Westermann, Vizepräsident Leichtathletik im Fußball- und Leichtathletikverband Westfalen, spricht im Interview über die aktuelle Situation. Der 64-jährige Spitzenfunktionär wohnt in Bergkamen und trainiert eine Leichtathletikgruppe des VfL Kamen.

Herr Westermann, wie ist aktuell die Situation rund um das Thema Wettkämpfe? Haben die Empfehlungen des Verbands-Leichtathletik-Ausschusses aus dem April noch Bestand?

Peter Westermann: Die Empfehlungen haben noch Bestand. Aktuell sind auch in den einzelnen Kreisen keine Meisterschaften angemeldet. Wir können aktuell nicht alle Fragen, die es zu diesem Thema gibt, beantworten. Stand heute haben wir bis zum 31. August ein Verbot von Wettkämpfen in Nordrhein-Westfalen, deswegen geht es vor September wahrscheinlich nicht los. Dann würde es so abrupt wieder losgehen, wie es im März aufgehört hat.

Sie sagen „Stand heute“ – rechnen Sie mit Änderungen? Immerhin sollen Amateurwettkämpfe im Sport laut „NRW-Plan“ ab dem 30. Mai möglich sein.

Der 31. August könnte plötzlich auch wieder vom Tisch sein, das macht die Planung so schwierig. Er gilt als Stichtag für Großveranstaltungen und in der aktuellen Coronaschutzverordnung auch für Sportfeste. Dummerweise ist jeweils die Personenzahl in Nordrhein-Westfalen nicht definiert. Deshalb ist das Aussetzen der Wettkämpfe die einzige vernünftige Lösung, denn wir können sie nicht verantwortungsvoll genehmigen und durchführen.

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Ein anderes Problem ist, dass es Widersprüche gibt – in den Verordnungen, aber auch mit der Verfahrensweise. So wie es Unterschiede zwischen den Bundesländern gibt, geht es auch bei den Kommunen auseinander. Es gibt welche, die ihre Anlagen derzeit noch nicht zur Verfügung stellen, während andere Vereine schon wieder trainieren.

Angenommen, es gäbe früher grünes Licht – ab wann wäre ein Start der Saison sinnvoll?

Wenn man früher wieder darf, dann werden wir auch früher wieder anfangen. Aber wir machen es nur, wenn wir etwas Verbrieftes haben, wenn es zweifelsfrei genehmigt ist. Was den Zeitpunkt angeht: Ehe man einen Wettkampf macht, muss man viele Dinge im Vorfeld abarbeiten und sich mit den Vereinen abstimmen. Auch die Athleten müssen sich erst auf die Wettkämpfe vorbereiten. Wir brauchen dazu wenigstens noch den Mai und den Juni, bis es auch sportlich Sinn macht. Vorher wäre wegen der ungleichen Trainingsbedingungen auch keine Chancengleichheit gegeben. Wir sind in der Pflicht, diesen Aspekt bei überregionalen Wettkämpfen zu berücksichten.

Wann gibt es die Startfreigabe für Wettkämpfe in der Leichtathletik? Stand jetzt nicht vor dem 1. September. Im Foto ist Volker Birkelbach als Kampfrichter beim Abendsportfest des TV Arfeld zu sehen.
Wann gibt es die Startfreigabe für Wettkämpfe in der Leichtathletik? Stand jetzt nicht vor dem 1. September. Im Foto ist Volker Birkelbach als Kampfrichter beim Abendsportfest des TV Arfeld zu sehen. © Florian Runte

Sprechen wir über die Formate: Ist es denkbar, mit kleinen Veranstaltungen in einigen Disziplinen – beispielsweise nur Wurf – zu starten und andere auszulassen? Oder wäre dies im Sinne des Solidarprinzips schwierig?

Vorweg: Spezialformen wie Hochsprung-Meetings oder Werfertage gibt es schon lange, weil es für manche Veranstalter die einzige Möglichkeit ist, eine Veranstaltung zu stemmen. Jetzt sind sie aus meiner Sicht ein guter Einstieg, weil man so die Hygienevorschriften leichter einhalten kann als bei einer Veranstaltung für viele Disziplinen. Wenn, dann wird ohnehin begrenzt ausgeschrieben. Es darf nicht passieren, dass das der erste Verein, der etwas ausschreibt, von den Athleten überrannt wird. Selbst bei den Deutschen Meisterschaften der Männer und Frauen, wo wir von Berufssportler sprechen, sind die Überlegungen so, dass maximal 300 Leute gleichzeitig auf der Anlage sind. Dabei sind Trainer, Kampfrichter und Journalisten schon mit eingerechnet.

Laut Positionspapier des DLV sind Strecken ab 800 Metern, also Läufe mit größeren Feldern, vorerst nicht sinnvoll. Wären nicht Wettkämpfe mit versetzten, individuellen Startzeiten denkbar? Oder würde dies den Charakter der Läufe zu stark verändern?

So ist es, bei Einzelstarts hat man den falschen Wettkampfcharakter. Das ist auch nicht das, was die Athleten wollen. Sport lebt zwar von Veränderungen, aber immer auch von einem Kern. Bei der Leichtathletik ist dies der Kampf Mann gegen Mann, Frau gegen Frau – und der würde dann fehlen.

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Dazu kommt die Zeitfrage: Da, wo für das Sportabitur aktuell 5000-Meter-Läufe abgenommen werden, sind die Lehrer etliche Stunden auf der Anlage, weil immer nur zwei gleichzeitig unterwegs sind. Denkbar wäre, 800 Meter in Bahnen zu laufen, aber auch da sind dann maximal vier Läufer gleichzeitig unterwegs. Bei den Profis ist bei leeren Bahnen, etwa beim 100-Meter-Männerfinale, auch die Frage: Wie will man so einen Lauf mit vier Teilnehmern vernünftig und attraktiv rüberbringen?

Könnten diese zeitversetzten Starts, wie man sie von einem Einzelzeitfahren im Radsport oder von Einzelstarts im Wintersport kennt, denn bei Volksläufen ein Modell sein, wie es bei einem Einzelzeitfahren im Radsport oder bei Einzelstarts im Skilanglauf üblich ist?

Aus der Zeit vor Corona ist mir kein Lauf bekannt, der so organisiert ist, aber man kann sicher darüber nachdenken. Wir sind in einer verrückten Situation, in der es wichtig ist, gelassen zu bleiben, aber auch eine gewisse Flexibilität an den Tag zu legen. Es gibt jetzt diese Sololauf-Challenges, über die der Paderborner Osterlauf mehrere tausend Teilnehmer hatte. Auch das ist eine Möglichkeit. So etwas taugt nicht für eine Bestenliste, aber es ist es eine gute Geschichte, keine Frage. Wir beschäftigen uns auch mit dem Thema Trainingsapps, wenngleich der Schritt, über so etwas einen offiziellen Wettkampf zu machen, ein sehr großer ist.

Es gibt Stimmen, die sagen, dass sich die Mühe für Wettkämpfe ohne Zuschauer und ohne Einnahmen aus Speisen und Getränken nicht wirklich lohnt.

Dass Wettkämpfe Nullsummengeschäfte sind, kommt auch sonst bei normalen Wettkämpfen vor. Damit könnten wir leben. Es geht in erster Linie um den Sport.

Falls die für den Herbst ausgeschriebenen Westfälischen und Westdeutschen Meisterschaften stattfinden sollten, die Pause zuvor aber bis August andauert: Wie verfährt man dann mit den Qualifikationen? Zählen dann die Leistungen aus 2019?

Es hat ja keiner Gelegenheit, die Normen zu erfüllen, deshalb wird es wohl so kommen. Wir werden die Meisterschaften sicher nicht ganz öffnen, um die Teilnehmerzahl zu begrenzen. Es macht keinen Sinn, wenn wir Weitsprung-Wettbewerbe mit über 20 Startern haben.

Was halten Sie in der aktuellen Situation für die Leichtathletik für wichtig?

Ich appelliere immer an die Leute, gelassen zu bleiben. Es ist für alle eine neue Situation, es kann nicht alles sofort perfekt laufen. Wichtig wäre auch, dass wir alle Athleten weiter mitnehmen. Die Ehrgeizigen sind in letzter Zeit viel gelaufen und haben allgemeine Kraftübungen gemacht.

Aber wir wollen auch die wieder einfangen, die es schön fanden, jetzt einige Wochen weniger zu machen und keinen Terminstress zu haben. Die Vereine sollten auch etwas in diese Richtung tun – und sei es nur, dass sie die Sportler einfach hin und wieder mal anrufen oder anschreiben, um nachzufragen, wie es bei ihnen läuft.