Wittgenstein. Reitvereine müssen in der Krise das Wohl von Mensch und Tier gleichermaßen schützen – eine knifflige Aufgabe. Hinzu kommen finanzielle Sorgen.

Die Turnhallen sind abgeschlossen, die Bälle liegen im Spind und das restliche Material im Geräteraum. Die Vorgaben der Regierung zur Schließung von Sporteinrichtungen als Reaktion auf die Ausbreitung des Coronavirus sind nicht schwierig umzusetzen und stoßen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf Verständnis. Komplizierter stellt sich die Situation für Reitvereine und -betriebe dar, da sich das „Sportgerät“ nicht einfach stilllegen lässt. Es gilt, gleichzeitig die Gesundheit von Menschen und Tieren sicherzustellen – ein Ritt auf einem schmalen Grat.

„Man weiß nicht immer, wie man sich richtig verhält“, räumt Marc-André Faupel von der Pferdesportgemeinschaft Wittgenstein ein. Turniere, Reitlehrerstunden und Lehrgänge mit Pferdewirtschaftsmeistern fallen aus – so viel ist klar. Der Hygiene wird noch größere Aufmerksamkeit als sonst schon beigemessen. „Desinfektionsmittel steht jetzt quasi überall“, sagt Faupel.

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Schwieriger ist die Betreuung und Versorgung der Pferde, das Pflegen und Füttern. „Und sie müssen ja auch weiter trainiert werden. Die werden ja verrückt, wenn sie nicht in Bewegung kommen“, sagt Faupel, der die Anlage am Sengelsberg als Nebenerwerbs-Landwirt betreibt. Der Verein, die PSG Wittgenstein, hat damit also nicht unmittelbar zu tun – was in der Sache aber keinen großen Unterschied macht.

Maximal vier Personen gleichzeitig

Laut Empfehlungen der Deutschen Reiterliche Vereinigung (FN) sollen sich in einer 800 Quadratmeter (20x40 Meter) großen Halle maximal vier Personen gleichzeitig aufhalten. Zwischen diesen soll zudem ein gewisser Abstand gegeben sein.

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„Wir reduzieren den Betrieb auf das Minimum. Fremde dürfen nicht mehr auf die Anlage“, berichtet Faupel. Reiter dürfen derzeit also keine Verwandten oder Freunde mitbringen. „Zum Glück haben wir vergangene Woche die Besuche des Hufschmieds und Tierarztes schon vorgezogen. Da haben wir erstmal einige Wochen Ruhe.“

Die Empfehlungen exakt umzusetzen, sei „fast nicht möglich“, sagt Jürgen Becker, Vorsitzender des RuFV Schwarzenau. Er verweist darauf, dass die Aufenthaltsdauer eines Reiters oft bei zwei bis drei Stunden liegt. Bei 20 Pferden (abzüglich der vier Schulpferde) kann es also vor allem abends zu Überschneidungen mit mehr als vier Personen kommen. „Abends füttert ja jeder für sich. Theoretisch müssten wir jetzt einen Schichtdienst einführen“, sagt Becker.

Jürgen Becker (rechts) vom RuFv Schwarzenau, hier in Begleitung von Annika Marburger beim Ausreiten an der Eder, sah sich am Montag im Zuge der Corona-Krise zu Betretungsverboten gezwungen.
Jürgen Becker (rechts) vom RuFv Schwarzenau, hier in Begleitung von Annika Marburger beim Ausreiten an der Eder, sah sich am Montag im Zuge der Corona-Krise zu Betretungsverboten gezwungen. © Florian Runte

Inzwischen hat der Verein ein Buch ausgelegt, in dem sich jeder Besucher mit seiner Anwesenheitszeit eintragen muss. Zudem sprach der Verein am Montag ein Betretungsverbot für Leute aus, die keine Box gemietet haben. Wegen der „Corona-Ferien“ waren plötzlich viele Kinder auf der Anlage.

Am Dienstag wurden die Vorgaben und Empfehlungen in Schwarzenau dann eingehalten. Die Anlage wird vom Sportverein betrieben, der durch die Krise mittelfristig in Schwierigkeiten kommen könnte.

Finanzielle Sorgen

Allein das Füttern der Schulpferde verschlingt rund 500 Euro im Monat, denen keine Einnahmen gegenüberstehen. „Wenn die Situation über den Juli hinaus so bleibt, wird es eng“, sagt Becker, der froh ist, dass der Reitlehrer des Vereins für die Zeitspanne ohne Reitstunden kein Honorar berechnen will, obwohl es ihm zustehe. „Die Kosten für die Sozialversicherung haben wir trotzdem weiter.“

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Sogar fünf Schulpferde hat der Ländliche Reit- und Fahrverein Aue-Wingeshausen. Dessen Vorsitzender Thomas Lohmann beurteilt die Situation dennoch weniger kritisch: „Wir vermieten ja auch Boxen – und die sind weiter alle voll.“

Das Turnier des RuFV Aue-Wingeshausen in der Wester fällt in diesem Jahr aus.
Das Turnier des RuFV Aue-Wingeshausen in der Wester fällt in diesem Jahr aus. © WP

Einbußen gibt es aber auch in der Wester, denn Turnier-Einnahmen gibt es in diesem Jahr nicht. Der „Sport-Bann“ gilt zwar vorerst nur bis Mitte April, doch die Absage seiner Veranstaltung im Mai entschied der Verein bereits am Montag. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass dann alles anders sein wird. Und je später wir absagen, desto höher sind die Kosten“, weiß Lohmann. Auch in der Wester ist der Schulunterricht bis auf weiteres ausgesetzt – ebenso wie die geplanten Arbeitseinsätze der Mitglieder.

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Haarig wird es, wenn sich der Betreiber oder der wichtigste Mitarbeiter einer Anlage im Falle eines positiven Corona-Tests in Quarantäne verabschieden müsste – oder womöglich gleich mehrere Betreuer.

„Wir haben andere Betriebe und Freunde, mit denen wir gut können. Wir würden uns dann gegenseitig unterstützen“, hat Faupel diese Frage schon einmal erörtert: „Ganz bis zum Ende durchgespielt ist das allerdings nicht. Klar ist nur, dass die Tiere definitiv versorgt werden. Das ist ja auch vom Gesetz so geregelt.“