Im ersten Spiel 2020 kassierte der TuS Ferndorf gegen das Topteam TuSEM Essen eine unglückliche Niederlage. Die hätte vermieden werden können.

Kreuztal. Die Hallenuhr zeigt eine Restspielzeit von 35 Sekunden. Im Zweitliga-Westderby zwischen dem TuS Ferndorf und TuSEM Essen steht es 26:26, also Spitz auf Knopf. Obwohl die Nordsiegerländer in diesem sich zum Drama entwickelnden Spiel von der 1. Minute an einem Rückstand nachlaufen, haben sie nach dem ersten (!) Gleichstand, für den Marijan Basic mit einer tollen Einzelaktion und anschließend Torwart Lucas Puhl mit einer Parade beim Wurf von Lucas Firnhaber gesorgt haben, sogar die Siegchance. Und das gegen eines der Topteams der 2. Liga.

Anderssons Wurf geblockt

Trainer Michael Lerschts klare Ansage an seine euphorisierte Mannschaft in der Auszeit: Weil passives Spiel droht, soll Julius Lindskog Andersson, mit neun Toren der herausragende Schütze des Spiels, die Verantwortung für die finale Aktion tragen. Gesagt, getan – doch der Wurf des Schweden wird fünf Sekunden vor Schluss von der Essener Deckung geblockt, landet in den Armen von Torwart Frederik Genz, der geistesgegenwärtig den weiten Pass nach vorne spielt, wo sich Dennis Szczesny gegen zwei (!) zurückgelaufene Ferndorfer behauptet und auch Lucas Puhl erwischt – 27:26 für TuSEM praktisch mit dem Schlusspfiff, unfassbar aus Sicht des TuS Ferndorf, der so nah dran war an einem Überraschungscoup gegen den Traditionsverein, der die Kreuztaler in der Hinrunde noch mit 35:22 verprügelt hatte.

Riesenjubel bei den Essenern nach dem Siegtor in der letzten Sekunde des Spiels in der Stählerwiese.
Riesenjubel bei den Essenern nach dem Siegtor in der letzten Sekunde des Spiels in der Stählerwiese. © Reinhold Becher

Gleichwohl: Bei neutraler Betrachtung der 60 Minuten in der lange nicht mehr so lauten „Stählerwiese“ war es ein im Zustandekommen glücklicher, aber verdienter Sieg für den Favoriten, der vor allem von seiner Qualität im Rückraum profitierte.

TuS Ferndorf - TuSEM Essen 26:27 (13:15)

Ferndorf: Durica, Puhl - Basic (1), L. Schneider (2), Michel (2), Neitsch, Wicklein, J. Schneider (1), Barwitzki (3), Bornemann (1), Rüdiger (5), Lindskog Andersson (9/4), Koloper, Müller, Rink (2).

Essen: Genz, Bliss - Beyer, Ellwanger (5), Urios Gonzales, Akakpo, Szczesny (6), Müller (2), Firnhaber (3), Klingler (4), Kluth, Skroblien (6/3), Ingenpass, Zechel (1).

Schiedsrichter: Philipp Dinges/Tobias Schmack.

Zuschauer: 1056.

Zeitstrafen: TuS 2, TuSEM 4.

Spielfilm: 0:4 (6.), 1:6 (8.), 5:7 (13.), 6:11 (17.), 8:11 (21.), 9:13 (25.), 12:13 (27.), 13:15 (Halbzeit), 16:17 (35.), 17:20 (40.), 21:22 (45.), 21:25 (48.), 23:26 (54.), 26:26 (57.), 26:27 (Ende).

Auf der Gegenseite war es müßig darüber zu spekulieren, ob es in einer besseren Besetzung der zweiten Reihe erfolgreicher gelaufen wäre. Ohne die ganz Langen, den am Rücken verletzten Patrick Weber, den erkrankten Jonas Faulenbach und den immer noch nicht fitten Jonas Müller mangelte es insbesondere dem linken Ferndorfer Rückraum an Gefahr, gab es für Michael Lerscht zu wenig Wechseloptionen. Und um das personelle Dilemma im negativen Sinn perfekt zu machen, musste im Verlauf der Partie auch noch Lucas Schneider passen, der sich erneut an der linken Wurfhand verletzte. „Irgendwas ist am Knochen rausgesprungen“, berichtete der Linkshänder später. Eine genaude Diagnose steht aus.

Abwehrumstellung bringt Umschwung

Lucas Schneider war übrigens auch ein Faktor dafür, dass Ferndorf nach dem kapitalen Fehlstart (0:4, 1:6, 6:11), als Essen seine gefürchtete Konterstärke gnadenlos ausnutzte und die TuS-Abwehr mit Ballstafetten im ICE-Tempo aushebelte, zurück in die Partie fand. Schneider spielte nach der Umstellung auf eine 5:1-Abwehrformation als „Abfangjäger“ und löste in der Essener Rückraum-Phalanx Verwirrung – besser gesagt erste Fehler – aus. Die Ballgewinne münzten der Gastgeber, angeführt von einem überragenden Julius Lindskog Andersson, in Treffer um. Nach einem Tore-Triple stand es plötzlich 12:13, und auch der knappe Halbzeitrückstand von 13:15 ließ für die zweite Hälfte noch alle Optionen offen. Und das nach dieser desaströsen Ferndorfer Anfangsphase...

Torwart Lucas Puhl wehrte beim Stand von 25:26 diesen Siebenmeter von Tom Skroblien ab.
Torwart Lucas Puhl wehrte beim Stand von 25:26 diesen Siebenmeter von Tom Skroblien ab. © Reinhold Becher

Den Start in die zweiten 30 Minuten verpatzte Ferndorf nicht, lief der Musik aber trotzdem stets hinterher. Gelang der Anschluss – Lindskog Andersson traf zum 17:18 sogar in doppelter Unterzahl –, legten coole Gäste immer wieder doppelt nach. So pendelte der TuSEM-Vorsprung zwischen einem und vier Toren. Aber selbst das 21:25 durch Jonas Ellwangers Konter gut zehn Minuten vor dem Ende konnte den Ferndorfer Kampfgeist nicht bremsen.

Überragende Stimmung

Mit purer Leidenschaft, den letzten Tropfen im Tank und dem Publikum im Rücken, das sogar Gästetrainer Jaron Siewert lobte („Die Fans haben für eine überragende Stimmung gesorgt“), robbte sich der TuS erneut heran, egalisierte nach dem 23:26 durch Tore von Mattis Michel, Julius Lindskog Andersson und Marijan Basic’ erstem Treffer bei seinem Comeback nach gut zweimonatiger Verletzungspause zum 26:26 (57.).

Die Belohnung in Form von einem Punkt oder gar dem Sieg holte sich der TuS Ferndorf aber nicht ab, gab es vielmehr das – siehe oben – ganz bittere Ende zu beklagen.