Der 28-jährige Freudenberger ist begeisterter Sportkletterer, wagte sich jetzt aber in ganz andere, fremde Gefilde.
Freudenberg/Osch. Moritz Krämer ist Sportkletterer aus Leidenschaft. Im Kletterzentrum am Effertsufer in Siegen bildet der Freudenberger als Stützpunkttrainer den Nachwuchs in einer Sportart aus, die immer mehr Anhänger findet, weil sie Körper und Geist gleichermaßen fördert. Doch in Moritz Krämer steckt in Sachen Klettern auch eine gewisse Abenteuerlust, die wenig mit dem Wettkampfklettern wie Lead und Bouldern zu tun hat. Es ist das Klettern in freier Natur, bei Wind und Wetter, an bislang unbekannten Felswänden in einem fremden Land. Diese Grenzerfahrung hat der 28-Jährige jetzt machen dürfen. Er gehörte zu der sechsköpfigen Expedition, die im Rahmen des DAV-Alpinkaders, eines Projekts des Deutschen Alpenvereins, knapp vier Wochen in Kirgistan unterwegs war. Gipfelstürmer in einer anderen Welt.
Zwei-Tages-Marsch zum Basiscamp
Bis das Klettern im Mittelpunkt stand, musste erstmal die strapaziöse Anreise bewältigt werden. Zwei Tage dauerte es, bis die Gruppe in ihrem Basislager im Kara-Su-Tal, dem „Tal des weißen Wassers“, eingetroffen war, in das sie nach dem Flug von Frankfurt nach Osch, der im Nordosten des Alaigebirges gelegenen, zweitgrößten Stadt Kirgistans aufgebrochen war. Mehr als 40 km an zwei Tagen zu Fuß, nur bergauf und mit insgesamt 450 kg Gepäck als Last für die Esel und Pferde, die sie begleiteten. Auf den eigentlichen Touren trugen sie ihr Gepäck selbstverständlich selbst.
Im Camp, auf rund 2800 m Höhe, richteten sich die Kletterer in den Zelten ein und wurde schon ein Teil der mitgebrachten Verpflegung verputzt. „Wir hatten fast nur energiereiche, lange haltbare Spezialnahrung dabei“, erzählt Moritz Krämer, „aber sie schmeckte gar nicht so schlecht.“ Sein Lieblingsessen in dieser entbehrungsreichen Zeit: Nudeln mit Gemüse und Mousse au chocolat. Viel wichtiger aber war, sich schnell an die dünne Luft zu gewöhnen, die das Atmen in diesen Höhen erschwert. „Das war für uns aber kein Problem“, so Moritz Krämer.
Am ersten Fünftausender geklettert
Trotz der ersten Strapazen wurde am nächsten Tag gut gelaunt die Umgebung erkundet, ehe am darauffolgenden Tag die Einstands-Klettertour in Angriff genommen wurde. Sie war lang, aber der Schwierigkeitsgrad überwiegend gemäßigt. Im Fachjargon: Die Route „Diagonale 7a+, 25 Seillängen an der „Yellow Wall”. Tag drei: Jetzt stellte sich den Sportkletterern der 4230 m hohe Asan-Berg in den Weg. Vor der zu erklimmenden Westwand übernachtete die Gruppe, teilte sich dann vor dem Aufstieg in zwei Dreier-Seilschaften auf. Moritz Krämer versuchte sich an der Timofeev-Route, benannt nach Dmitri Timofeev, einem russischen Weltklasse-Kletterer. Die Wand ist positiv geneigt und steigt dann bis zu 90 Prozent senkrecht auf. „Uns haben die vielen Risssysteme, dafür wenige Passagen, die technisches Klettern erfordern, gereizt“, erzählt Moritz Krämer, für den dieser Tag allerdings mit einer Enttäuschung endete: Mit Magenproblemen musste er die Tour nach vier Seillängen abbrechen, kehrte ins Basislager zurück und legte einen Ruhetag ein. „Es gab nur Tee und Zwieback, aber dafür konnte ich die anderen Jungs dann mal mit dem Fernglas beobachten...“
Mit aufgeräumtem Magen und neu motiviert stand der nächste Klettertag bevor – ein Tag, den Moritz Krämer nie vergessen wird, „weil ich meinen ersten 5000er bezwungen habe.“ Die Tour hinauf zum Gipfel war aus seiner Sicht allerdings „human, technisch wenig anspruchsvoll.“ Dennoch: Der Panoramablick Richtung Süden, Richtung Tadschikistan, hat sich in Moritz Krämers Gedächtnis gebrannt.
Gipfelüberschreitung zu heikel
Trotzdem war dies nur ein Vorgeschmack auf das, was noch folgen sollte, der im wahrsten Sinne des Wortes Höhepunkt dieser Expedition: Pik Piramidalni, 5509 m hoch, ein Monstrum aus Fels und Eis. Bereits um 2 Uhr in der Nacht hieß es „Aufwachen!“. Die Gruppe wappnete sich für ihre spektakulärste Tour, doch schon nach wenigen Stunden war klar: Die geplante Gipfelüberschreitung fällt aus! „Die Bedingungen war zu heikel, zu gefährlich. Das Risiko wollten wir nicht eingehen“, so Moritz Krämer. Es fehlte festes Eis als Untergrund, weil es in den Wochen zuvor zu wenig Niederschläge gegeben hatte und es zu warm gewesen war. Als Alternative wurde die Strecke über die Route über den schnee- und eisreicheren Nordostgrat des Berges gewählt. 18 Stunden dauerte die Klettertour auf den Gipfel und zurück ins Lager – eine konditionelle Höchstanstrengung für die Sportkletterer, die sich darauf aber mit wochenlangem Ausdauer- und Kräftigungstraining vorbereitet hatten.
Leichtes Erdbeben schreckt auf
Den Ruhetag genossen alle, konnten kleinere Blessuren, meist Blasen, werden. In den Folgetagen bis zum Rückmarsch nach Osch standen kürzere, aber sportlich hochwertige Touren auf dem Programm. Eine davon wird Moritz Krämer nie vergessen: Als er mit einem seiner Kollegen einen Gipfel erklommen hatte und den Ausblick genoss, plötzlich der Schreck. „Ich dachte erst, mir wird schwindelig“, erzählte Moritz Krämer. Doch auch seinem Klettergenossen erging es so. Plötzlich hatte der Berg für mehrere Sekunden gezittert. Wie sich nach der Rückkehr herausstellte, hatte es in der Region ein leichtes Erdbeben gegeben…
Erfahrungen weitergeben
Mit diesem Moment der besonderen Art im Gepäck („Das brauche ich nicht nochmal“) räumte die Alpinkader-Expedition nach einer letzten Nacht das Basislager im „Tal des weißen Wassers“ und kehrte nach einem erneut zweitägigen Marsch nach Osch und dann nach Deutschland zurück. Der junge Familienvater aus Freudenberg hat auf seiner ersten Klettertour außerhalb Europas faszinierende Berge, außergewöhnliche Klettertouren, Landschaften und Menschen aus einem fremden Kulturkreis kennengelernt, Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die er in seiner Trainingsarbeit im Kletterzentrum Effertsufer gerne weitergeben möchte: „Mir schwebt vor, zum Beispiel mit Nachwuchssportlern Eisklettern in den Alpen anzubieten. Und ich will Mädchen und Jungen dazu motivierten, den Klettersport auszuprobieren.“