Dotzlar/Bielefeld. . Jonathan Schröder soll Hürden absichtlich umgestoßen haben und verliert so den Westfalenmeister-Titel. Das Kampfrichter-Urteil gibt Rätsel auf
Im einen Moment fühlte sich Jonathan Schröder noch als Sieger und U20-Westfalenmeister, im nächsten Moment stand er mit leeren Händen da. Eine Jury-Entscheidung sorgte nach dem 60 m-Hürdensprint-Rennen für Wut und Konfusion in der Bielefelder Seidensticker-Halle, in der es am Sonntag um die Titel der U20-Jugendlichen ging.
Was war passiert? Im Hürdenrennen war der Dotzlarer, der nun im zweiten Jahr für die LG Kindelsberg Kreuztal startet, in Führung liegend an der vierten Hürde ins Straucheln geraten und touchierte auch die fünfte Hürde, ehe er nach 8,80 Sekunden mit fünf Hundertstelsekunden Vorsprung auf seinen Kumpel und Teamkollegen Jannis Kozian durchs Ziel kam. „Technisch war der Lauf nicht so stark und körperlich war ich etwas angeschlagen. Umso mehr war ich froh, Platz 1 ins Ziel gerettet zu haben“, schildert Schröder seine Gedanken nach dem Zieleinlauf.
Dann folgte die Disqualifikation nach Regel 168.7b, von der Schröder erst von einem anderen Läufer erfuhr. Die genannte Regel besagt: „Ein Hürdenläufer kann disqualifiziert werden, wenn er nach Meinung des Schiedsrichters irgendeine Hürde absichtlich umstößt.“
Schröder wusste nicht, wie ihm geschah: „Ich konnte das in den ersten Minuten gar nicht glauben und war einfach nur gefrustet“. Nicht einmal zu einem Protest gegen die Entscheidung der drei zuständigen Kampfrichter konnte er sich aufraffen. Dies übernahmen die Trainer der LG Kindelsberg.
„Mit dieser Regelauslegung sind wir überhaupt nicht einverstanden. Das ist sehr unglücklich und diese Begründung für eine Disqualifikation habe ich noch nie erlebt“, sagt der neue hauptamtliche LGK-Trainer André Kahrweg, dessen Widerspruch keinen Erfolg hatte. Denn: Videomaterial zur Überprüfung konnte die LG Kindelsberg nicht anbieten – und so stand das Wort des Athleten bzw. Trainers gegen das der Kampfrichter. Stichwort: Tatsachenentscheidung.
LGK-Legende Adalbert Roßbach, ebenfalls als Betreuer dabei, formuliert es weniger diplomatisch. „Ich habe mich ganz fürchterlich aufgeregt. Das ist eine lächerliche Entscheidung.“
Die Regel an sich stellt er nicht in Frage. Einerseits, weil es schon Läufer gegeben haben soll, die aus Wut über einen schlechten Lauf ihren Frust an den Hürden ausließen – was in diesem Fall aber auszuschließen ist. Und: „Es gibt Läufer, die Hürden mit der Zehenspitze umwerfen, um nicht ganz so hoch gehen zu müssen. Aber das war hier nicht Fall und beim Jonathan schon mal gar nicht. Der ist so ein lieber Kerl, der käme gar nicht erst auf die Idee.“
Absicht oder keine Absicht?
Von einem kontrollierten Umwerfen der Hürden habe man definitiv nicht sprechen können. „Das einzige was sein kann ist, dass er das Hürdenniveau nicht erreicht hat. Aber das wurde nicht angemerkt“, stellt Roßbach fest. Statt Regel 168.7b hätte dann auf Regel 168.7a verwiesen werden müssen.
Absicht oder keine Absicht – genauso wie beim Handspiel im Fußball ist dies eine schwammige Frage. Anders als bei den Fußballern stellt sie sich in der Leichtathletik äußerst selten. Auch, weil das Umwerfen einer Hürde den Läufer eher bremst, als ihm einen Vorteil zu verschaffen.
„Die Berührung mit Händen ist verboten, da ist eine Disqualifikation normal. Bei einer Hürdenberührung mit dem Fuß ist eine Disqualifikation nicht möglich. Außer, es wird jemand anderes behindert“, erklärte Hannes Hücklekemkes, NRW-Landestrainer für den Hürdensprint und langjähriger Jugend-Bundestrainer.
„Ich habe die Hürden mit dem Schwungbein umgetreten und Jannis hat mir gesagt, in keinster Weise behindert worden zu sein“, sagt Schröder, der seinem Trainingspartner den Erfolg gönnt: „Jannis hat ein geiles Rennen und eine tolle Hallensaison hingelegt. Aber wir hätten auch einen Doppelsieg haben können und als Leichtathlet schaut man zunächst auf sich. So überwiegt doch eher der Frust.“
Mit seiner Hallensaison allgemein kann der 17-Jährige gut leben, zumal er in zwei Wochen noch mit der 4x200-Meter-Staffel der LGK bei den Deutschen Jugendmeisterschaften in Sindelfingen dabei ist.
Wie es danach weitergeht, ist derweil noch offen. Sowohl ein Verbleib im Zehnkampf als auch eine Spezialisierung auf 400 Meter Hürden sind eine Option – eine Entscheidung soll während der Sommer-Vorbereitung fallen.
Tendenz in Richtung Spezialisierung
„400 Meter Hürden bin ich noch nie gelaufen, aber ich kann 400 Meter gut und kann Hürden gut. Zudem ist André eher ein Sprinttrainer, insofern bietet sich eine Spezialisierung schon an“, sagt Jonathan Schröder, der im Zehnkampf mit den Wurf- und Sprungdisziplinen seine Schwierigkeiten hat.
Auch von Seiten des Trainers klingt eine ähnliche Tendenz durch. Kahrweg: „Was die Grundschnelligkeit angeht, haben sich Jannis [Kozian] und Jonathan sehr gut entwickelt, beide sind schneller geworden. Bei Jonathan wären die 400 Meter Hürden sinnvoll, Jonathan wird vermutlich beim Zehnkampf bleiben.“
Irritation schon vor dem Startschuss
Schon vor dem Start war im Bielefelder Hürdenrennen der Wurm drin. Der Name von Jonathan Schröder stand nicht auf der Startliste, so dass seine Starterlaubnis bis kurz vor dem Start ungewiss war. Schröder: „Das hat mich schon etwas verunsichert.“
Hintergrund war ein Fehler im Wettkampfbüro, das die Startkarte des Dotzlarers im falschen Wettkampf einsortiert hatte.