Lendringsen. Angst und schlechte Erfahrungen: Die Judoabteilung des TuS Lendringsen bietet Selbstverteidigungskurse für Frauen und Kinder an.
Es ist dunkel, als ein Auto auf den Parkplatz der Realschule in Lendringsen fährt. Eine Frau mit langen braunen Haaren steigt aus. Sie schaut sich einmal um, bevor sie mit schnellen Schritten durch die Dunkelheit in Richtung Turnhalle geht. Sie wirkt unsicher. Doch das soll sich schon bald ändern. Wie? Indem sie sich Techniken zur Eigensicherung antrainiert. Der neue Selbstverteidigungskurs für Frauen der Judoabteilung des TuS Lendringsen ist jetzt gestartet.
Rund zehn Frauen und Jugendliche haben sich daher in der Turnhalle der Realschule versammelt. Sie alle kommen aus unterschiedlichen Gründen. „In den Medien wird mittlerweile so oft von Übergriffen an Frauen berichtet. Dabei hoffe ich immer, dass ich nicht selbst einmal in die Situation komme. Ich glaube, dass es gut ist, wenn man dann zumindest weiß, wie man sich selbst helfen kann“, sagt Bettina Reckers. Sie ist bereits zum vierten Mal mit dabei.
Unangenehme Situation an der Kasse
Seit 2017 bietet die Judoabteilung den Kurs bereits an. So kommt es vor, dass sich Trainer Roland Schelp Bettina gleich zu Beginn zu Demonstrationszwecken zu sich holt. Dafür stellt er sich hinter sie und sucht immer wieder den Körperkontakt. „Wir hatten einmal eine Teilnehmerin, die an der Lidl-Kasse immer wieder einen aufdringlichen Mann hinter sich hatte. Nach der vierten Trainingsstunde fasste sie ihren Mut zusammen und sagte ihm laut und deutlich, dass er ihr nicht so nahe kommen solle“, so Schelp, der als ehemaliger Mitarbeiter in einer Strafvollzugsanstalt diverse Übergriffsszenarien kennt. „Ich mache die Frauen hier zu 80 Prozent durch ihre Körpersprache fit. Denn der Angreifer sucht sich in der Regel ein Opfer aus, dass auf dem ersten Blick schwach wirkt.“
Während die meisten Teilnehmerinnen auf den Matten zugange sind, steht am Rand eine etwas ältere Frau. „Ich habe mich leider am Oberschenkel verletzt und kann daher nicht am Kurs teilnehmen“, sagt sie. Doch sie ist zuversichtlich, dass sie bis zum nächsten Mal wieder fit ist. Sie selber fühle sich in Iserlohn und Hemer, wenn es dunkel wird, nicht immer wohl. „Es sind ja längst nicht nur Frauen, die heutzutage überfallen werden.“
Ihr Sohn sei damals mit einem Freund unterwegs gewesen, als ihn sechs Unbekannte grundlos krankenhausreif prügelten. „Seine linke Gesichtshälfte ist seitdem fast taub“, sagt sie fassungslos. „Ich habe das Gefühl, es wird immer schlimmer und die Menschen immer gewaltbereiter.“ Auch das sei einer der Gründe gewesen, warum sie sich für den Kurs in Lendringsen entschieden habe.
„Halt! Stop!“ rufen die Frauen sich gegenseitig zu. In Zweiergruppen stehen sie auf den dunkelgrünen Matten, die extra für das Training auf den Boden gelegt wurden. Dann zeigt ihnen Schelp eine der ersten Techniken, um sich aus einem festen Griff zu befreien. Dabei dreht er sein Handgelenk aus dem Griff heraus. Und noch etwas bringt er den Frauen zu Beginn des Kurses bei: „Bleibt, wenn möglich, in der Trittdistanz“, sagt er und demonstriert mit seinem Bein, wie weit der Abstand zum Gegner sein sollte.
Doch auch er weiß, dass das nicht immer möglich ist. Daher geht es für die Teilnehmer im späteren Verlauf des Kurses auch nach draußen, wo sie reale Situationen nachspielen werden. „Dort werde ich dann einen Schutzanzug tragen, sodass sich die Teilnehmerinnen auslassen können“, sagt Schelp.
Von Unbekannten überfallen
Auch die 14 -jährige Jule ist an dem Abend in die Turnhalle gekommen. Gemeinsam mit ihrer Freundin übt sie gerade auf den Matten. Ihre Mutter habe sie darin bestärkt, den Kurs zu besuchen. „Sie meinte, dass ich mich danach vielleicht sicherer fühle, wenn ich im Dunkeln zu meinen Freunden gehe“, sagt sie, bevor sie sich der nächsten Übung widmet. Nach 90 Minuten heißt es für die Frauen: Matten wegräumen und bis zum nächsten Mal. Dann geht auch das letzte Licht in der Turnhalle der Realschule aus.