Lendringsen. Werfen und nahe der Daube sein: Seit 50 Jahren wird in Lendringsen gebosselt. Dabei überrascht vor allem das Damenteam mit seiner Leistung.
Konzentriert steht Kurt Käseberg in der Turnhalle der Lendringser Josefschule. Den Blick nach vorn gerichtet. In der Hand hält der 76-Jährige ein hölzernes Wurfgerät – eine sogenannte Bossel. Mit Schwung wirft er sie die rot eingezeichnete, zwölf Meter lange Bahn entlang. Sekunden später ist sie im Zielfeld, nahe eines kleinen, ebenfalls roten Holzwürfels – auch Daube genannt.
Der Spielablauf
Seit gut sieben Jahren bosselt Käseberg schon bei der Mendener Bewegungs-Sport-Gemeinschaft (BSG). 21 Mitglieder zählt die Abteilung bereits. Bosseln – eine Sportart ähnlich dem Eisstockschießen oder Curling mit dem Unterschied, dass die zwei zuletzt genanten Sportarten auf dem Eis stattfinden und das Bosseln auf Hallen- oder Parkettboden gespielt wird. In insgesamt sechs Runden treten die Teams, bestehend aus drei Spielern und einem Spielführer, gegeneinander an. Dabei gilt: Jeder Spieler hat einen Wurf pro Runde. Die Bossel, die am nächsten an der Daube ist, gewinnt. Dafür bekommt das Team zwei Punkte, jede andere Bossel im Zielfeld erhält einen Punkt. Wird eine Bossel hinaus gestoßen oder landet außerhalb des Feldes, gibt es keine Punkte. Zudem ist es erlaubt, die Daube innerhalb des Zielfeldes in eine für den Gegner ungünstige und für die eigene Mannschaft günstige Stellung zu bringen.
Vom Wurfgerät bis zu den Regeln
Bosseln, Daube, Spielfeld – bei der Hallensportart gibt es einiges zu beachten. Darum verrät die WESTFALENPOST fünf Dinge, die man über die Sportart Bosseln wissen sollte.
1. Das Wurfgerät Die Bossel besteht aus einem hölzernen Griff und einer runden Borstenscheibe, die je nach Bedarf ausgewechselt werden kann. Bis zu fünf Kilogramm schwer können die Wurfgeräte sein. Zudem sind sie nicht besonders günstig. Je nachdem, für welchen Anbieter man sich entscheidet, kann ein Bossel mehrere hundert Euro kosten.
2. Die Mannschaft
Eine Mannschaft besteht aus drei Spielern und einem Spielführer. Dabei gibt es zum einen getrennte Damen- und Herrenmannschaften, aber auch gemischte Teams sind möglich, weil auch Frauen bei den Männern mitspielen dürfen. Bei den Frauenteams dürfen aber keine Männer mitspielen.
3. Das Spielfeld
Es ist 16 Meter lang und zwei Meter breit. Es umfasst die Wurfbahn und das Zielfeld. Die Mitte des Zielfeldes ist mit einem Kreuz zu markieren. Darauf befindet sich die Daube. Frauen und Rollstuhlfahrer bosseln auf einer um zwei Meter verkürzten Bahn, so auch Männer ab dem 75. Lebensjahr.
4. Die Regeln
Vor Spielbeginn werden die Bosselfarben zwischen dem Schiedsrichter und den beiden Mannschaftsführern ausgelost. Das Spiel wird von der Mannschaft eröffnet, die Farbe „Weiß“ bekommt. Jedes Spiel besteht aus sechs Durchgängen und jeder Durchgang aus drei Würfen pro Team. Dabei darf die Bossel die Wurfbahn oder das Zielfeld nicht verlassen – sonst ist der Punkt verloren. Eine Bossel befindet sich außerhalb des Spielfeldes, wenn sie die Begrenzungslinien mit vollem Umfang überschreitet.
5. Bosseln vs. Boßeln
Im Gegensatz zum Bosseln wird beim Boßeln eine Kugel mit möglichst wenigen Würfen über eine festgelegte Strecke geworfen. Die Sportart kann nicht nur auf Straßen, sondern auch auf freien Flächen wie Feldern oder auf befestigten Wegen gespielt werden. Ursprünglich ist Boßeln eine Mannschaftssportart aus dem Norden Deutschlands und dort heute noch weit verbreitet.
„Die Daube wird zuvor auf das rote Kreuz hier gelegt“, sagt Käseberg und zeigt auf den roten Würfel. Er selbst bosselt seit sieben Jahren in Lendringsen. „Das Besondere daran ist für mich der Spaß an der Bewegung. Wenn wir zu den Freundschaftsspielen fahren, gehen wir gemeinsam Essen, unterhalten uns und haben einfach eine tolle Zeit.“ Aber auch sportlich läuft es für die Mitglieder gut. Erst kürzlich belegten die Frauen bei der Deutschen Meisterschaft den zehnten Platz. „Das macht uns natürlich stolz“, so der 76-Jährige. Er weiß, wie wichtig das Training ist. „Manchmal versuchen wir, die Bosseln entlang der roten Linie zu spielen.“ Die Linie habe die Stadt Menden extra für den Verein vor gut vier Jahren ziehen lassen. „Sie hat auch die Hälfte der Kosten übernommen“, so Käseberg, der kurz darauf eine kleine Mappe aus seiner Tasche zieht. Darin sind fein säuberlich die Bosselausweise seiner Kollegen abgeheftet.
Verschiedene Anwurfzellen
Währenddessen bereitet sich Annemarie Schieferdecker für die nächste Runde vor. Im leuchtend roten Pullover steht sie in der Anwurfzelle und greift nach einem der Bosseln mit grünen Rand. Team Grün beginnt. Die Lendringserin bosselt schon seit gut 20 Jahren. „Die damalige Vorsitzende hat mich angesprochen, ob ich nicht einmal mitkommen möchte. Seitdem habe ich Blut geleckt. Die Gemeinschaft hier ist einfach toll. Dafür lasse ich freitags alles andere sausen.“
Mit beiden Händen umfasst sie den Stock der Bossel. Bis zu fünf Kilogram ist das Wurfgerät schwer. Dann schwingt die Lendringserin sie nach vorn und nach hinten – mehrmals, bis sie schließlich loslässt und die Bossel über den glatten Parkettboden gleitet. Sie landet im Zielfeld – geschafft. Nun ist Team weiß wieder an der Reihe. Am anderen Ende steht der Spielführer und notiert die Punkte mit einem Stück Kreide auf einer hohen und schmalen Tafel. „Frauen und Menschen im Rollstuhl bosseln auf einer verkürzten Bahn“, erklärt Käseberg und zeigt auf die verschiedenen Anwurfzellen. „So auch Spieler, die über 70 Jahre alt sind.“
Am kommenden Wochenende wird es für die Damen der BSG wieder ernst. Dann geht es für sie nach Herne zum Landesligaspiel.
Die Mitglieder der Bossel-Abteilung der BSG Menden trainieren immer freitags in der Zeit von 16 bis 18 Uhr in der Josefschule in Lendringsen.