Dalmatien/Menden. Eine unvorstellbare Leistung gelingt Trailrunnerin Juliane Ilgert beim Ultralauf in Kroatien.

118 Kilometer laufen, mehr als 5000 Höhenmeter zurücklegen und nach 19 Stunden als erste Frau ins Ziel kommen: Wer diese Zahlen liest, kann sich vorstellen, welch unvorstellbare Leistung die Mendener Ultraläuferin Juliane Ilgert vollbracht hat.

Der Himmel ist klar. Um kurz vor 22 Uhr abends funkeln die Sterne über dem Amphitheater in Solin in der kroatischen Region Dalmatien direkt an der Adriaküste. Fackeln brennen und weisen Weg, während die antiken Bögen, die einst die Mauern des Theaters bildeten, illuminiert werden. Eine Szenerie von unfassbarer Schönheit. „Das war schon episch“, befindet Juliane Ilgert.

Genießen konnte sie den Moment jedoch nicht. Gemeinsam mit knapp 250 weiteren Teilnehmern, stand die Athletin des MC Menden unter dem Startbogen. Der Rucksack war aufgesetzt, die Stirnlampe leuchtete hell und die Kopfhörer saßen perfekt in den Ohrmuscheln. Fokussiert wartete die 28-Jährige auf den Startschuss. Mit einem klaren Ziel vor Augen: „Ich wollte diesen Lauf gewinnen“; sagt Ilgert vor ihrem letzten Wettkampf in diesem Jahr.

Mit Ultra-Läufen kennt sie sich aus, hat bereits einige Wettkämpfe über 100 Kilometer absolviert. Jetzt also noch 18 Kilometer mehr. „Das habe ich zum ersten und letzten Mal gemacht. Es war schon äußerst krass“, gesteht die Läuferin. Die Belastungen für Körper und vor allem Geist bei diesem Rennen sind enorm. „Mental sind diese Rennen äußerst fordernd. Es ist auch das wichtigste, dass man sich mental gut darauf vorbereitet“, verrät Ilgert.

Kein Blick für die Schönheit der Strecke

Im „Tunnel“ ging dabei der Blick für die Schönheit der Strecke verloren. „Ich habe erst im Nachhinein auf Fotos gesehen, was das für eine schöne Strecke war. Während des Rennens ist man so sehr darauf fokussiert voran zu kommen, dass der Blick ins Umland ein wenig verloren geht.“

Juliane Ilgert beim Ultra Trail in Dalmatien.
Juliane Ilgert beim Ultra Trail in Dalmatien. © Unbekannt | Juliane Ilgert


Diese Rennen zeigen auch auf beeindruckende Art und Weise, welch hohe Belastungen der menschliche Körper bewältigen kann. In den Bergen ging es buchstäblich über Stock und Stein. Dornen bohrten sich in die Beine hinein und hinterließen kleine blutige Wunden. Für eine Behandlung blieb keine Zeit. Schließlich musste es immer weitergehen. „Ich wollte das Rennen ja schließlich gewinnen“, betont Ilgert.

Von diesem Willen angetrieben, kämpfte sie sich Kilometer für Kilometer voran. „Körperlich hatte ich eigentlich keinerlei Beschwerden. Auch nach dem Rennen nicht. Ich hatte keinen Muskelkater, es ging mir gut. Aber mental war das die mit Abstand krasseste Erfahrung, die ich jemals gemacht habe“, gesteht die in München lebende Läuferin.

Druck wächst an

Und je länger die Strecke ging, umso größer wurde der mentale Druck. Der Kopf signalisierte, dass er kurz davor stand, die weiße Fahne zu hissen. „Die letzten 18 Kilometer haben mich gekillt. Da war es vom Kopf her vorbei“, gesteht Ilgert.

Wie sehr die Nerven irgendwann blank lagen, zeigte sich in zwei kleinen Episoden während des Rennens.

„Ich habe während der Rennen immer Kopfhörer im Ohr und höre Musik. Irgendwann hatte sich einer der Kopfhörer im Gurt meines Laufrucksacks verheddert. Eigentlich keine große Sache. Normalerweise fummel ich das Kabel raus und alles ist wieder gut. In dieser Situation war ich jedoch so frustriert und am Ende, dass ich das Kabel einfach wütend abgerissen habe. Das ist eigentlich gar nicht meine Art“, erzählt Ilgert.

Der zweite Vorfall ereignete sich an einem der Verpflegungsstände. Die kleine Plastikblase mit Wasser, die den Läufern zugeworfen wird, ließ sich nicht öffnen.

„Es kam einer der Posten von dem Verpflegungsstand und wollte mir helfen. Als er die Blase auch nicht aufbekommen hat, habe ich sie auf den Boden geworfen, einfach weggetreten und den Helfer angeschrien. Das war schon krass und es hat mir im nächsten Moment schon leidgetan.“

Selbst unter Druck gesetzt

Auch der Druck war nicht zu vernachlässigen. Schließlich wollte Ilgert als erste Frau das Zielband durchtrennen. „Du weißt ja während des Rennens nicht, wie groß ist dein Vorsprung, hältst du durch. Das belastet einen während des Rennens zusätzlich“, verrät die 28-Jährige.

Doch die Tortur wurde mit einem Happy End belohnt. Nach knapp 19 Stunden fiel Juliane Ilgert vor dem Zielbogen auf die Knie, riss die Arme in die Höhe und genoss den Moment. „Den letzten Berg hinunter zum Ziel habe ich nur noch geweint, weil ich so glücklich darüber war, wirklich als erste Frau ins Ziel gekommen zu sein“, schildert sie die letzten Momente des Rennens.

Die Freude über diesen beeindruckenden Triumph setzte erst Tage später ein. „Als mich meine Freunde und Arbeitskollegen beglückwünscht haben und mir auf die Schulter geklopft haben, da kam der Stolz auf das Erreichte langsam durch. Aber das hat Tage gedauert“, gesteht Ilgert.

Jetzt beginnt die Winterpause


Der Wettkampf in Kroatien war für die MCM-Ultraläuferin der letzte Prüfstein in diesem Jahr und der Höhepunkt einer langen und erfolgreichen Saison. „Ich habe von Mitte April bis Mitte Oktober an jedem Wochenende an einem Wettkampf teilgenommen. Jetzt genieße ich die Ruhe und freue mich darauf, ganz alltägliche Dinge unternehmen zu können. Ins Kino gehen oder mit Freunden treffen“, erklärt Juliane Ilgert.

Das Training für die kommende Saison wird sie im März wieder aufnehmen. Auch erste Ziele hat die Wettkämpferin schon vor Augen. „Es gibt einen Wettkampf in Marokko, einen in Gobi, die sind wahnsinnig toll, da würde ich gerne hin.“ Aber eine Frage muss am Ende erlaubt sein: Warum tut man sich diese Torturen immer wieder an? Ilgert lacht und antwortet ehrlich: „Ich weiß es doch auch nicht.“