Hof Siele. Beim Stage Run in den Pyrenäen überwand Anne Gerlach insgesamt 240 Kilometer und 15.000 Höhenmeter - bergauf.
Der Blick aus dem Fenster der Wohnung von Anne Gerlach aus Olpe lässt kaum eine Assoziation an die Pyrenäen aufkommen, als sie Anfang September ihren Aktivurlaub dort verbrachte.
Es ist frostig an diesem Tag, nicht nur am Hof Siele im Osterseifen vor den Toren von Olpe. Die sanften Hänge um das große landwirtschaftliche Gut lassen nicht unbedingt Gedanken an die Massive der Grenzregion zwischen Spanien und Frankreich zu.
Vielleicht sind es die beiden Schafe, die sie auf dem Hof beobachten kann. „Die Schafe habe ich mal aus Süddeutschland mitgebracht, sie haben Glocken am Hals hängen, wie die Kühe auf der Alm“, sinniert die 43-Jährige, die hier aufgewachsen ist, ihre Bodenständigkeit nicht leugnen kann und will, trotz aller Reiselust. „Glocken werden auch den Pferden umgehängt, denen wir auf den Trails begegnet sind, fast wie in freier Wildbahn.“
Jetzt ist Anne Gerlach in ihrem Element, wenn sie in den Rückspiegel schaut auf ihr Jahresevent fernab des heimischen Hofs. „Ja, dieser Stage Run in den Pyrenäen ist schon ein ganz besonderes Lauferlebnis.“ Wobei die Eindrücke der Natur absolute Priorität haben.
„High and low up and down“: Das ist die offizielle Bezeichnung, die sich das Mixed-Team Anne Gerlach und ihr belgischer Partner Christophe Bellings gegeben haben. Nomen est Omen. Und es charakterisiert besser als alle andere Team-Namen, was ihnen bevorsteht: auf den sieben Etappen über insgesamt 240 Kilometer müssen über 15.000 Höhenmeter (bergauf) überwunden werden. Der Weg ist das Ziel, aber eben auch die Natur.
Rettungsdecke ist immer dabei
Etwa 160 Teilnehmer aus etwa 20 Nationen, unter anderem Alaska, stellten sich dieser Herausforderung, darunter 14 Mixed-Teams. Für sie alle hat das Landschaftserlebnis Vorrang. Und doch ist da auch jede Menge sportliche Ambition dabei. „Wenn der Startschuss fällt, ist der Wettkampfgedanke nicht zu leugnen“, will Anne Gerlach nichts kleinreden, sagt aber auch: „Es ist für mich die beste Art Urlaub zu machen.“
Auf Distanzen zwischen 20 und 47,5 Kilometer frönte sie ihrer Leidenschaft, die zwischen fünf bis neun Stunden auch Leiden schafft. Zweimal wurde morgens in der Dunkelheit gestartet. Stirnlampe ist empfehlenswert. Verpflegung ist notwendig, auch wenn unterwegs jeweils zwei Verpflegungsstationen eingerichtet sind.
Die Rettungsdecke ist immer dabei. Man weiß ja nie. Gut, die Rettungsdecke konnte bei Anne Gerlach im Rucksack bleiben, aber ganz ohne Blessuren kam sie beim Lauf durch fünf Nationalparks nicht davon. „Zwei Stürze in einen Bergbach in über 2000 Meter Höhe, und ich war die Einzige, die reingefallen ist“, lacht sie, „naja, ein paar Kratzer.“
Schmerzhafter Schlusstag
Der „beste Etappenlauf Spaniens“ führte auch nach Andorra – die Anstiege hinauf auch von den Teilnehmern der Tour de France gefürchtet. Jan Ullrich lässt grüßen. Es war 1997, sein größtes Jahr. Anne Gerlach kam auch rauf auf die Berge, jedoch ohne Doping – bei allem sportlichen Ehrgeiz gelingt der Diplom-Ökotrophologin der richtige Nahrungsmix.
Gelitten hat sie dennoch, am Schlusstag. Auf der 32,8 Kilometer langen Etappe lag das Duo Gerlach/Bellings weit vorne, fiel dann aber in der Tageswertung zwischenzeitlich auf den vorletzten Platz zurück. „Das war die Geschichte, als ich eine schmerzende Reizung am Schienbein hatte“, erzählt sie, „bergauf alles gut, aber bergab ging zum Schluss gar nicht mehr, wir mussten lange wandern. Aber schlussendlich war es egal.“
Wie egal es war, zeigte die Tagesbilanz. Von Platz 13 ging es wieder nach vorn auf Rang 5 – und der 2. Platz in der Gesamtwertung war nicht mehr gefährdet. Was bleibt von dieser (Tor)Tour? Der Erlebniswert hat für Anne Gerlach eine noch höhere Bedeutung als die sportliche Seite. „Für mich ist es ein unheimliches Glücksgefühl, mit Laufschuhen den Gipfel zu erreichen und die Aussicht zu genießen, einfach mitten in der Natur zu sein. Klar geht das auch mit Wanderschuhen, aber das ist nicht so mein Ding.“
Schönste Form von Urlaub
Um dann ihre eigene Taktik zu beschreiben: „Lieber laufen so lange es geht, auch wenn es irgendwann nur die kleinen langsamen Schritte sind. Wird es dann zu steil oder verblockt, gibt es noch die Stöcke, die gefaltet im Rucksack stecken. Damit ist eine Art Speedhiking bis zur Bergspitze möglich. Irgendwann geht es dann wieder ins Tal, am liebsten über enge Serpentinen. Das ist dann in etwa wie Skifahren, bloß ohne Ski. Wahrscheinlich ist es die Anstrengung gepaart mit dem Naturerlebnis, die für mich den Kick bedeuten.“
Den Kreislauf richtig in Wallungen zu bringen und am Ende das Gefühl, sich richtig ausgepowert zu haben, das gebe ihr eine unheimliche Zufriedenheit, sagt sie. Dabei sauge man so viele Eindrücke auf, von denen man noch lange zehrt. „So in den Bergen unterwegs zu sein, ist für mich die schönste Form von Urlaub.“
Nun ist die Ökotrophologin voll in ihrem Element. Aber gesunde Ernährung? „Ich habe keine Prinzipien, esse was mir schmeckt und koche gerne.“ So einfach ist das. „Und während des Laufs salzige Mandeln und getrocknete Aprikosen, an den Verpflegungsstellen Cola, Wassermelonen, Tomaten mit Salz. Keine Riegel oder Gele.“
Ihr (vorerst) letzter Aktivurlaub reichte von Mittelmeer bis zum Atlantik, und doch hat sie die Meere nicht gesehen. „Was für andere das Meer ist, sind für mich die Berge. Keine Ahnung, woher die Faszination kommt. Als Kind kannte ich nur das Sauerland, das ja auch als Land der tausend Berge bezeichnet wird. Aber die Alpen sind wie eine zweite Heimat. Und werden die Alpen dann mal doch zu klein, können es auch die Pyrenäen sein.“ Und doch ist sie die Bodenständigkeit in persona geblieben.