Gießen/Hagen. .
Der Abstiegskampf ist Dominik Spohr vertraut, als Basketball-Azubi kannte er kaum anderes. Bei Heimatklub Phoenix Hagen ging es nach dem Aufstieg 2009 in drei Bundesliga-Jahren stets ums sportliche Überleben, der 23-Jährige sah sich auch dadurch gestählt für den Schritt in die Fremde. Dass er an seiner ersten externen Profi-Station plötzlich mit weit grundsätzlicheren Existenzsorgen konfrontiert wird, das hat Spohr nicht erwartet. Wenn der Flügelspieler mit den LTi Gießen 46ers heute seinen Stammverein zum Rückrunden-Auftakt erwartet (20 Uhr, Sporthalle Ost), fällt der Fokus auf Basketball angesichts der drohenden Insolvenz bei den Hessen schwer. „Vielleicht ist es ja unser letztes Spiel“, schwebt nicht nur der gebürtige Hagener in Ungewissheit.
Gießen ist Bundesliga-Gründungsmitglied, nach der Insolvenz von Brandt Hagen Ende 2003 als einziger Klub seit 1966 ununterbrochen im Oberhaus. Auf der Internet-Seite der Mittelhessen läuft immer noch der Ticker, der jede Sekunde der Erstliga-Zugehörigkeit - aktuell sind es 46 Jahre, drei Monate und elf Tage - addiert. Auch wenn die 46ers sportlich eigentlich dreimal abgestiegen sind, doch jeweils per Wildcard - zuletzt im Sommer 2012 - konnten sie in der Eliteklasse bleiben. Diese Möglichkeit gäbe es für das Schlusslicht, das bereits acht Punkte Rückstand zu den Nichtabstiegs-Plätzen aufweist, am Ende der laufenden Saison ohnehin nicht. Ob die Gießener aber überhaupt bis dahin kommen, erscheint sehr fraglich. 150.000 Euro werden laut des vorläufigen Insolvenzverwalters Tim Schneider schon bis Monatsende benötigt, um den Spielbetrieb aufrechterhalten zu können, bis Saisonende betrage die Lücke 360.000 Euro.
Eine Situation, die die Spieler kurz vor Weihnachten völlig unvorbereitet traf, als man gerade mit zwei Siegen - unter anderem gegen Vizemeister Ulm - den letzten Tabellenplatz verlassen zu haben schien. „Das erwischte uns aus heiterem Himmel“, sagt Spohr, „dadurch kam bei uns ein Bruch.“ Statt des tabellarischen Anschlusses hatte der vorläufige Insolvenzantrag automatisch den Abzug von vier Punkten zur Folge, die Ungewissheit über die Zukunft wurde zum steten Begleiter der Gießener. Seit der Ulm-Partie l verlor man alle drei Spiele. Bis Ende Januar wurden die Spieler vertröstet, dann soll es Neuigkeiten geben.
Die vergleichbare Situation in seiner Heimatstadt vor neun Jahren hat Dominik Spohr nur aus der Distanz miterlebt, bei der Hagener Insolvenz spielte der damals 14-Jährige in der Klubjugend. Sein aktueller Chefcoach Mathias Fischer dagegen war direkt betroffen, bei Brandt fungierte er in seinem Erstliga-Debütjahr als Co-Trainer. Von ihm und Phoenix-Center Bernd Kruel, schon damals in Hagen dabei, hat sich Spohr Erfahrungen geholt. „Damals wurde es quasi von Stunde zu Stunde schlimmer“, kann sich Kruel in den Schwebezustand des jungen Ex-Teamkollegen hineinversetzen. Und Fischer ist ungewollt fast schon „Insolvenz-Experte“, auch später in Köln sei er in einer ähnlichen Situation gewesen. „Ein Super-Typ, der hier den schwersten Job hat, uns zusammenzuhalten“, sagt Spohr, „ich habe höchste Achtung, dass er noch nicht das Handtuch geworfen hat.“
Teamorientierten Basketball zu spielen, sei in der aktuellen Situation ganz schwierig, bekannte Fischer nach der 59:79-Heimpleite gegen Frankfurt. Die deutschen Spieler hätten im schlimmsten Fall wenigstens drei Monate Insolvenzgeld sicher, sagt Spohr, für die ausländischen Akteure sei die Lage noch ungleich schwieriger: „Ich kann jeden Amerikaner verstehen, der sich nach einem neuem Klub umsieht.“ Bei den nachverpflichteten Jasmin Perkovic und Jeffrey Bonds etwa muss man davon ausgehen, dass sie gegen Hagen letztmals auflaufen, dann laufen ihre befristeten Verträge aus. Auch deshalb ist ein Erfolg sportlich überlebenswichtig. „Wir müssen ein Zeichen setzen“, fordert Fischer, während der in Hagen stets als unermüdlicher Kämpfer bekannte Spohr bekennt: „Die Rechnung kann jeder selbst aufmachen, dass das sportlich unsere allerletzte Chance ist. Aber selbst bei einem Sieg gegen Phoenix würde es sauschwer.“