Hagen. Vor einem halben Jahr sucht eine Flutkatastrophe den Hagener Süden heim. Die Folgen sind bis heute noch spürbar, doch sie schweißen auch zusammen.
Es war zwar unfassbar viel Regen, der am 14. Juli vom Himmel prasselte. Aber niemand im Volmetal ahnte, dass diese Regenmassen eine Katastrophe verursachten. Eine, die weit über ein paar vollgelaufene Keller und ein paar hundert Euro Schaden hinaus ging. Niemand ahnte, dass sich am Ende ein kleiner Sportverein aus dem Hagener Süden mit seiner Spendenaktion weit über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen machte – und zeigte, dass der Zusammenhalt unter Sportlern doch mehr ist, als eine leere Worthülse.
Als die ersten Bilder, Videos und Sprachnachrichten Frederik Kowalski erreichen, befindet sich der Kapitän des Handball-Drittligisten TuS Volmetal mit seiner Partnerin im Urlaub. Seinem Vereinskollegen Nico Schnepper ergeht es anders, komplett anders.
Nachts hat uns unser Sohn geweckt, weil das Wasser aus der Toilette lief. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht und den Haupthahn abgedreht – doch das Wasser lief immer weiter. Da haben wir dann angefangen aus Handtüchern Barrieren zu bauen und das Wasser wieder aus dem Fenster zu schütten. Das war so bis 7 Uhr, dann wurde es erstmal weniger. Seit 18 Jahren wohnen wir in diesem Haus, vor zwei Jahren haben wir die Wohnung hier in Priorei gekauft. Uns war bewusst, dass wir mit der Eppscheid und der Volme zwei Flüsse direkt nebenan haben. Aber darüber haben wir uns nie Gedanken gemacht.
Nach einer regnerischen Nacht denken die Bewohner im Volmetal, dass sie das Schlimmste überstanden haben. Doch dann geht es erst richtig los. Gegen Mittag steigt das Wasser wieder höher. „Ich habe mich dann aufgrund der Bilder und Berichte von Freunden und Bekannten dazu entschlossen, dass wir früher nach Hause fahren, um zu helfen“, erzählt Kowalski. Langsam, aber sicher realisieren die Volmetaler, dass es nicht nur kleinere Überschwemmungen sind, die ihre Heimat treffen, sondern das, was wenige Zeit später als „Jahrhundertkatastrophe“ betitel wird.
Richtig realisiert hat man es erst am Nachmittag, so gegen 15 Uhr. Das Wasser kam durch die Gullis. Der Fluss, die kleine Eppscheid, war schon ganz gut gefüllt, die Volme stieg auch immer weiter. Und dann kam es von allen Seiten. Durch die Türen, durch die Fenster. Wir haben gegriffen, was wir greifen konnten.
Das haben wir dann hoch gebracht, in die Wohnung meiner Schwester. Eigentlich wollten wir auch noch wichtige Unterlagen mitnehmen, aber: keine Chance. Das Wasser hatte schon zu viel umgeschmissen, ich kam gar nicht mehr in den Raum rein. Wir haben nur das Nötigste gegriffen und sind dann raus. Nicht, dass wir in dem Scheiß noch ertrinken.
Für Volmetals-Kapitän Kowalski ist direkt klar: Es muss etwas getan werden. So entsteht die Idee, ein Spendenkonto einzurichten – mit erst einmal bescheidenen Wünschen. „Die Hoffnung war, dass wir 5000 bis 10.000 Euro zusammen bekommen“, erzählt Kowalski. Was sich daraus entwickelt, ist zum einen den sozialen Medien, aber auch der Verbundenheit unter Sportlern zu verdanken: Der Spendenaufruf geht viral, Privatpersonen, Unternehmen, aber auch prominente Gesichter, wie die Profi-Handballer Stefan Kretzschmar und Mimi Krause, rufen zur Unterstützung auf. TV-Moderator Matthias Killing, der gebürtig aus Dahl stammt, macht sich für den Spendenaufruf stark.
Bei den Sachen, die wir in der Wohnung verloren haben, sind natürlich auch welche dabei, die wir nicht mehr ersetzen können. Das Hochzeitskleid meiner Frau beispielsweise. Aber das ist jetzt so, das haben wir angenommen. Wir sind erst bei Freunden untergekommen und nun seit einem halben Jahr in einer möblierten Übergangswohnung. Dafür sind wir sehr dankbar.
Am Ende sind es über 600.000 Euro, die zusammenkommen. Doch nicht nur über das Spendenkonto versuchen die Volmetaler zu helfen: Sie packen auch vor Ort mit an – und nicht nur sie. Aus den verschiedensten Städten reisen Menschen zur Unterstützung an. Und genauso wie starke Hände, die mit anpacken, werden einfache Dinge benötigt.
Das geht ja schon damit los: Wie putzt du dir morgens die Zähne? Es fehlte zum Teil am nötigsten. Der TuS Volmetal ist dann mit einem LKW rumgefahren und hat Hygieneartikel verteilt. Auf die Idee muss man erst einmal kommen. Oder Leute kamen vorbei und haben uns Getränke und Essen gebracht.
„Dass die Spendensumme 600.000 Euro übersteigt, hat keiner der Mitstreiter gedacht. Aber es ist schön zu sehen, dass wenn es drauf ankommt, die Leute zusammenhalten“, sagt Frederik Kowalski und ist noch immer berührt von dem hohen Spendenaufkommen. Sein Mannschaftskollege Nico Schnepper ist ebenfalls dankbar.
Mit Blick auf die Hilfsbereitschaft war das schon Wahnsinn. Volmetal war vorher schon wie eine Familie, aber das hat den Zusammenhalt noch einmal gestärkt.Die Verteilung des Geldes verlief total unkompliziert, was da auf die Beine gestellt wurde, ist der Hammer. Wir wohnen gerne hier, weil wir wissen, wenn etwas ist, sind die Leute da. Natürlich ist da die Angst, dass so etwas noch einmal passiert. Wir werden schauen müssen, ob sich das wieder legt. Ich hoffe, dass es wirklich eine Jahrhundertkatastrophe bleibt.