Hagen/Tokio. Der Hagener Sportpsychologe Dr. Sebastian Altfeld bereitet das Karate-Nationalteam für Tokio vor. Für alle Sportler hat er einen wichtigen Rat.

Wer einen kühlen Kopf bewahrt, setzt sich durch. Eine Faustregel, die im Sport seit jeher ihre Berechtigung hat. Sie bedeutet etwa, dass ein Handballer bei einem entscheidenden Siebenmeter mit einer gewissen Ruhe ins Netz wirft, oder dass eine 100-Meter-Sprinterin beim Startschuss ohne zu zögern losflitzt. Augenblicke, in denen Sportler voll bei der Sache sein und Ängste oder Zweifel bei Seite schaffen müssen.

Und dennoch: Spitzenathleten investieren zwar Tausende Stunden in körperlich forderndes Training, feilen an Technik und Kondition, aber bereiten sich kaum mental auf Wettkämpfe vor. Dabei „entscheidet der Kopf über Sieg oder Niederlage“, sagt Dr. Sebastian Altfeld (35). „Selbst Profisportler beschäftigen sich viel zu wenig mit der mentalen Seite des Sports“. Der Hagener Sportpsychologe weiß, wovon er spricht: Unter anderem betreut er die deutsche Karate-Nationalmannschaft, die in der kommenden Woche in Tokio um olympisches Edelmetall kämpft.

Sportpsychologen dürfen nicht ins olympische Dorf

Weil die Corona-Auflagen in Tokio nur das nötigste Personal zum Gipfeltreffen der Sportelite zulassen, verfolgt Dr. Sebastian Altfeld die Olympischen Spiele und „seine Athleten“ von zu Hause aus. Am Freitag landen die fünf deutschen Karatekas – es sind Jasmin Jüttner, Ilja Smorguner, Wael Shueb, Noah Bitsch und Jonathan Horne – in Tokio und begeben sich in ihrer Vorbereitung auf den Endspurt.

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Am nächsten Donnerstag startet Jüttner in die Wettkämpfe, als Letzter der Deutschen ist Welt- und Europameister Jonathan Horne an der Reihe. „Das ist nicht viel Zeit, um sich an die Zeitumstellung, die heißen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit zu gewöhnen“, meint Sebastian Altfeld. „Aber es sollte ausreichen.“

Seit 2016 Verbandspsychologe beim Deutschen Karate Verband

Dr. Sebastian Altfeld betreut seit über acht Jahren Leistungssportler, seit 2016 ist er der Verbandspsychologe des Deutschen Karate Verbands (DKV). Zu seinen Klienten zählen Athleten verschiedenster Sportarten, seit zwei Jahren auch die Basketballer von Phoenix Hagen. Altfeld spricht mit ihnen über Ängste und Nervosität, über Zweifel und hohe Erwartungen, über mentale Blockaden aufgrund von Verletzungen.

Vor allem aber bereitet er Sportler darauf vor, dass sie ihre Leistung im Wettkampf fokussiert abrufen können. Dass sie trotz aller Widrigkeiten bei der Sache sind. „Die Rahmenbedingungen können sich für Sportler jederzeit ändern, und dann kommt es darauf an, ob man seine Leistung abrufen kann, wenn es eben nicht perfekt läuft“, gibt Altfeld Einblicke in seine Arbeit. „Gerade in besonderen Wettkämpfen wie den Olympischen Spielen kann ein Athlet Stress, Angst und Nervosität verspüren. Dann ist entscheidend: Kann ich damit umgehen?“

Was Sportler im Training falsch machen

Dabei machen nicht nur Amateursportler, sondern auch die besten ihres Fachs einen gemeinen Fehler: Sie werten ihre negativen Emotionen als „nicht normal“ und verkrampfen. „Viele Sportler denken, dass sie sich im Wettkampf immer gut fühlen müssen, aber das müssen sie nicht. Es ist okay, dass man Angst oder Nervosität verspürt, man kann sich trotzdem sicher verhalten und performen“, sagt Atfeld.

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Sein Rat: Zunächst akzeptieren, dass man sich nicht gut fühlt, und aus dieser Haltung heraus „Werkzeuge für mich entwickeln, die mir dabei helfen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren“. Ein laut Altfeld bewährtes Werkzeug: sich auf die Atmung konzentrieren, in Stresssituationen drei bis vier tiefe Atemzüge nehmen, doppelt so lange aus- wie einatmen. „Das hilft dabei, den Fokus zurück auf den Wettkampf bzw. auf den Moment zu richten“, sagt er.

Ob Karateka, Leichtathlet oder Basketballer: Grundsätzlich sind die Themen, die Dr. Sebastian Altfeld mit seinen Athleten bespricht, die gleichen. Viele seiner Klienten sind „Trainingsweltmeister“, die ohne Ende in der Halle oder auf dem Feld ackern, aber im Wettkampf ihre Leistung nicht abrufen können. Für dieses Problem hat Altfeld einen Tipp parat: Sportler sollten im Training wettkampfnahe Situationen trainieren, in welchen sie mit Stress konfrontiert werden. Denn sonst könnten sie vielleicht nicht damit umgehen, wenn es drauf ankommt.

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„Was bringt es mir, wenn ich den Freiwurf oder den Siebenmeter ganz entspannt übe? Sportler sollten im Training Realbedingungen schaffen und auch ihren Kopf trainieren, um im Wettkampf besser mit Druck umgehen zu können“, rät der Hagener Sportpsychologe.

Individuelle Situation des Athleten verstehen

Aber auch, wenn die sich mentalen Herausforderungen sportartübergreifend ähneln, so sei es doch immer wichtig, die individuelle Situation des Athleten zu verstehen. „Im Karate beispielsweise“, erklärt Dr. Sebastian Altfeld, „bereitest du dich monatelang auf einen Wettkampf in Chile vor, der dann schon nach drei Minuten beendet sein kann.“

Wer aber einen kühlen Kopf bewahren kann, hält länger durch.