Hagen. Der Hagener Sportpsychologe Dr. Sebastian Altfeld erklärt, was „Helikoptereltern“ sind und rät, wie man sich am Spielfeldrand verhalten sollte.

Jonas soll schneller laufen. Maja muss jetzt den Ball passen. Udo muss mehr wechseln und auch mal mit dem Schiri sprechen. Szenen, die regelmäßig auf deutschen Amateurplätzen passieren, oder besser gesagt am Rande der Felder: In (fast) jeder Mannschaft gibt es überengagierte Väter oder Mütter, die mit ihrem falschen Ehrgeiz und überzogenen Erwartungen nicht nur dem eigenen Kind schaden – sondern überdies den Trainern das Leben schwer machen. Der Hagener Sportpsychologe Dr. Sebastian Altfeld (33) erklärt das Phänomen „Helikoptereltern“.

Herr Altfeld, was macht aus Ihrer Sicht Helikoptereltern aus?
Sebastian Altfeld: Wenn wir über Helikoptereltern sprechen, sprechen wir ja primär über Eltern, die von außen als zu kümmernd, zu beschützend oder zu vorsichtig wahrgenommen werden. Das heißt, dass hier eine Bewertung einer außenstehenden Person mit reinspielt. Deswegen finde ich den Begriff eher schwierig. Dennoch kann man objektiv festhalten, dass es Verhaltensweisen von Eltern gibt, die für die Entwicklung weniger hilfreich sind. Man kann sagen, dass es überfürsorglich ist, wenn dadurch die Entwicklung des Kindes zum Erwachsenwerden beeinträchtigt wird.

Burnout im Sport ist Altfelds Spezialgebiet

Dr. Sebastian Altfeld hat einen Bachelor-Abschluss in Psychologie und einen Master-Abschluss in Klinischer Psychologie an der Ruhr-Uni Bochum erworben.

Promoviert hat der Hagener im Jahr 2015 zum Thema „Burnout bei Trainern: Einflussfaktoren und Verlauf bei deutschen Trainern“, ebenfalls an der Ruhr-Universität.

Altfeld ist seit 2019 Mentalcoach bei Basketball-Zweitligist Phoenix Hagen. Der 33-Jährige ist selbst Basketballer, hat schon in der Regionalliga gespielt.

Welche Ängste haben Helikoptereltern?
Ich bin der Auffassung, dass zunächst alle Eltern versuchen, mit ihrem Verhalten das Beste für ihr Kind zu erreichen. Unabhängig, ob das Verhalten letztendlich hilfreich oder eher nicht hilfreich ist. Die häufigsten Beweggründe für überfürsorgliches Verhalten, so stelle ich es in meiner Arbeit fest, sind die Befürchtungen, dass das Kind schlechtere Ausgangsbedingungen für die positive Entwicklung erhalten könnte oder das Kind überfordert wird und dadurch, die positive Entwicklung gestört wird. Auf den ersten Blick sind das ja ganz lobenswerte Beweggründe von Eltern.

Aber?
Die zwei Fragen, die sich mir dabei aber stellen sind zum einen, ob ein Kind durchweg perfekte Rahmenbedingungen braucht, um sich gut zu entwickeln? Und zum anderen, was ein Kind dadurch für wichtige Eigenschaften nicht lernt, wenn die Umgebung und Erfahrungen immer perfekt sind. Gerade im Sport ist es eine wichtige Fähigkeit, mit Unsicherheit umzugehen und diese aushalten zu können. Es sollte immer im Auge behalten werden, was eigentlich die Aufgabe von Eltern ist. Und zwar das Kind dabei zu unterstützen, Werte, Eigenschaften und Fähigkeiten zu entwickeln, die dabei helfen, gesund und glücklich erwachsen zu werden.

Sebastian Altfeld ist promovierter Sportpsychologe.
Sebastian Altfeld ist promovierter Sportpsychologe. © WP | Michael Kleinrensing

Werden Helikoptereltern zunehmend ein Problem auf den Sportplätzen in Hagen und Umgebung?
Das ist eine gute Frage. Tatsächlich gibt es meines Wissens dazu keine wissenschaftlichen Zahlen derzeit. Mein persönliches Empfinden wäre eher ja, wenn ich mich zu diesem Thema mit Trainern, Lehrern und Eltern unterhalte, aber ich habe dazu keine Vergleichswerte. Was aber die Gespräche gemeinsam haben, ist, dass überfürsorgliches Verhalten von Eltern Konfliktpotenzial birgt. Es treffen hier unterschiedliche Strategien aufeinander, die jeweils das Beste für das Kind wollen.

Welche Strategien sind das?
Trainer und Lehrer möchten das Kind optimalerweise fordern, damit es wichtige Eigenschaften entwickelt und Eltern möchten vielleicht in diesem Beispiel verhindern, dass das Kind überfordert wird. Es gibt auch das andere Extrem. Beides wird vor allem dann zu einer Zwickmühle, wenn beide Parteien nicht in der Lage sind, zusammen zu besprechen, was der jeweils Andere damit beim Kind erreichen möchte und ein gemeinsamer Weg gefunden wird. Stattdessen werden Schuldzuweisungen oder Forderungen gestellt, die die andere Partei nicht erfüllen kann oder möchte.

Was sind No-Go‘s für Eltern am Spielfeldrand?
Eltern sollten sich klar machen, dass wir uns immer mitteilen. Auch wenn wir nichts sagen, transportieren wir mit unserem Verhalten eine Message. Und demnach sollte ich mir klar machen, ob ich diese Botschaft an mein Kind weitergeben möchte. Wenn ich also beispielsweise meinem Kind zeigen möchte, wie engagiert ich bin und Schiedsrichter, Trainer oder andere Spieler angreife, gebe ich meinem Kind möglicherweise die Botschaft mit „Du darfst andere Menschen anbrüllen oder beleidigen, wenn diese nicht deiner Meinung sind“. Möchte ich, dass mein Kind diese Sichtweise übernimmt? Verhaltensweisen, die dem Motto und Ziel des Sports widersprechen, sind No-Go’s. Darüber hinaus sind meiner Meinung nach Verhaltensweisen zu vermeiden, die Kinder darin blockieren, wertvolle und wichtige Eigenschaften zu entwickeln.

Können Sie ein Beispiel geben?
Eltern können zum Trainer gehen und sich über die Spielzeit des Kindes aufregen. Aber ich könnte diese Chance auch nutzen und mit meinem Kind zusammen überlegen, wie mit diesem Problem altersgerecht umgegangen werden kann. So könnte eine Lösung sein, dass ich das Kind darin unterstütze, den Trainer selbst anzusprechen und seine Enttäuschung über die wenige Spielzeit zu formulieren. Dabei können die Eltern unterstützend im Hintergrund dabei sein, aber das Kind lernt Konflikte zu lösen.

Was macht das überehrgeizige Verhalten der Eltern mit ihren Kindern?
Zum einen kann überfürsorgliches oder zu beschützendes Verhalten von Seiten der Eltern beim Kind die Entwicklung wichtiger Fähigkeiten verhindern. Ein gesunder Zwölfjähriger sollte in die Lage versetzt werden, seine Tasche alleine ein- und auspacken zu können. Denn mit dieser Aufgabe gehen ja Fähigkeiten einher wie planerisches, vorausschauendes Denken. Und dieses Denken ist als Erwachsener elementar. Zudem müssen wir bedenken, wie Selbstvertrauen entsteht.

Und zwar?
Selbstvertrauen entsteht zum einen dadurch, dass ich Situationen bewältige und merke, dass ich mit meinen Fähigkeiten Lösungen finden kann. Überfürsorgliches Verhalten kann demnach natürlich das Gefühl von Kontrolle und Sicherheit vermitteln. Es kann aber auch dazu führen, dass das Kind nicht lernt, selbst mit Schwierigkeiten zurecht zu kommen.

Vier Verhaltenstipps für Eltern

1. Bevor Eltern Spiele oder Wettkämpfe ihrer Kinder aktiv mitverfolgen, sollten sie sich erst einmal fragen, welche Werte und Eigenschaften das eigene Kind lernen soll. „Dann kann ich überlegen, welche Verhaltensweisen von mir dafür hilfreicher und weniger hilfreich sind, um es bei der Entwicklung zu unterstützen“, rät der Hagener Sportpsychologe Dr. Sebastian Altfeld.

2. Daraus ergibt sich manchmal die Notwendigkeit, sich als Mutter oder Vater einfach mal komplett zurückzunehmen. Denn Menschen lernen in erster Linie durch das Machen von Erfahrungen, sagt Altfeld. „Und da sehe ich gerade auch vermeintlich negative Erfahrungen wie ein schlechtes Spiel oder das Vergessen des linken Turnschuhs zum Training als wertvoll an, weil sie Gelegenheit bieten, mit dem Kind zu reflektieren. Zum einen, was das Ereignis über mich selbst aussagt. Bin ich durch EIN schlechtes Spiel plötzlich ein schlechter Sportler oder habe ich meine Fähigkeiten verloren? Natürlich nicht. Und zum Anderen, wie man damit am besten umgehen könnte.“

3. Es ist ungemein wichtig, dem Kind klar zu machen, dass man es lieb hat, unabhängig davon, was das Kind leistet oder mal nicht leistet. Damit ist nicht gemeint, dass man Verhaltensweisen vom Kind nicht kritisieren darf. Ganz im Gegenteil. „Das Kind soll lernen, dass die Kritik an Verhalten nicht gleichbedeutend ist mit ‘Ich mag dich nicht mehr’. Zudem glaube ich, dass Eltern Werkzeuge besitzen sollten, mit eigenen Emotionen gut umzugehen. Denn im wütenden Zustand nach einer Fehlentscheidung zu entscheiden, wie ich mich jetzt Verhalten möchte, ist nur schwer möglich“, meint Altfeld. Daher sollten Eltern mit eigenen Emotionen wie Ärger oder Angst auch umgehen lernen, um im nächsten Schritt entscheiden zu können, wie sie sich ihren Werten entsprechend verhalten möchten.

4. Schier unverbesserliche Mütter und Väter sollten überlegen, lieber gar nicht erst mit zu den Spielen ihrer Kinder zu kommen. „Tatsächlich ist das manchmal eine Lösung, die ich mit Eltern finde. Dies betrifft vor allem Eltern, die selbst nicht in der Lage sind, die eigenen Emotionen im Zaun zu halten. So kann dies eine passende Lösung sein“, sagt Dr. Sebastian Alfteld. Dies setze aber voraus, dass die Eltern sich im Klaren sind, welche Nachteile das eigene Verhalten beim Kind auslösen könnte.