Ushuaia/Herdecke. Zwei Schlaganfälle stoppten Michele Ufer 2022, jetzt kehrte er zum Ultralauf zurück. So schaffte es der Herdecker durch die Antarktis.
Diesem exklusiven Verein gehört er jetzt endlich an, das war das größte der Ziele von Michele Ufer. Und die Erfüllung eines Lebenstraums. Ausgewählte 325 Mitglieder weltweit hat der „4 Deserts Club“, darunter sieben Deutsche - und jetzt auch der 52-jährige Ultraläufer aus Herdecke. Weil er nun auch die letzte von vier Wüsten durchlaufen hat, in einer der abgelegensten Weltgegenden. Bei „The Last Desert“ in der Antarktis kam Ufer nach 148 Kilometern durch Schnee und Eis ins Ziel, komplettierte damit den „4 Deserts Grand Slam“. Und zeigte sich fasziniert von der rauen „Weißen Wüste“, der größten und kältesten der Welt. „Ich war sehr demütig, dass ich da war“, sagt Ufer: „Dort laufen zu dürfen, ist sehr besonders. Das nimmt einem den Atem, die Schönheit ist brutal.“
Mit Verspätung schafft es Michele Ufer in „4 Deserts Club“
Drei weit wärmere Wüsten hatte der Herdecker bereits 2022 geschafft, doch nach Namib-Race und Georgien - als Ersatz für den Gobi-March - nach dem Rennen in der chilenischen Atacama zwei schwere Schlaganfälle erlitten. Was ihn abrupt für zwei Jahre aus dem Alltag riss, ehe Michele Ufer nun mit zwei Jahren Verspätung in die Antarktis reiste. Und ein Lauf-Abenteuer am südlichen Ende der Welt mit Robben, Walen und Pinguinen bewältigte
Ausdauer-Challenge wie Tour de France oder Vendee Globe
Mit zwei Medaillen, die ihm bei der Siegerehrung auf der zweitägigen Rückreise auf dem Expeditionsschiff durch die Drake-Passage nach Ushuaia in Patagonien verliehen wurden. Eine für die Teilnahme beim einzigen Ultralauf auf dem antarktischen Kontinent, die andere für die nun geschaffte Aufnahme in den „4 Deserts Club“. „Schon im Normalzustand ist das extrem schwierig“, sagt er, der Grand Slam durch vier Wüsten werde als Ausdauer-Challenge auf dem Niveau von Tour de France oder Vendee Globe, der aktuell laufenden Einhand-Segelregatta rund um den Globus, eingeschätzt.
Dass ein Sportler sich nur zwei Jahre nach zwei schweren Schlaganfällen wieder an einen Ultralauf heranwagt, dann auch noch in der Antarktis, habe auch bei den 52 Konkurrenten für Erstaunen gesorgt. „Dass ich überhaupt wieder fähig bin, an der Startlinie zu stehen, war schon ein großes Ziel“, sagt Ufer, beim Lauf-Briefing auf der Hinreise hätte die Rennleitung den Teilnehmern von seinem Schicksal erzählt. Ufer: „Die Leute waren entsetzt, was passiert ist, und fasziniert, dass ich mich so schnell ins Leben zurückgekämpft habe.“
Seekrank bei der Überfahrt in die Antarktis
Nach dem Go seiner Ärzte sei er trotz seiner medizinischen Vorgeschichte „eigentlich total selbstbewusst“ die Antarktis-Reise angegangen: „Die Ärzte haben klar gesagt, meine Gefäße sind verheilt.“ Leichte Zweifel seien ihm dann aber bei der mehr als zweitägigen Schiffs-Passage von Ushuaia gekommen. „Alle waren seekrank bei der Überfahrt, da horcht man schon in sich hinein“, berichtet er: „Aber anderen ging es noch schlechter, einige sind wie Zombies durchs Schiff getorkelt.“ Beim Rennen habe er sich dann in einem inneren Zwiespalt befunden. „Ich habe meiner Frau versprochen, dass ich nicht kompetitiv sondern entspannt unterwegs bin, sie hatte Sorgen“, erklärt er.
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Also ging Ufer, der bei seinen bisherigen Wüsten-Ultraläufen stets vorne mitgelaufen war, das Rennen bedächtiger an. „Ein Teamkollege hat mir gesagt, dass du nur ankommst, ist schon ein Sieg“, sagt er, „und er hatte Recht.“ Weil er relativ langsam war, habe ihm etwas der Rhythmus gefehlt. „Mein persönliches Ziel war: Ich wollte mindestens 100 Kilometer laufen“, sagt Ufer, über die Hälfte des Ziel hat er bereits nach der ersten von fünf Etappen geschafft: „Ich bin gleich einen Ultramarathon gelaufen, also 50 Kilometer. Da war klar, dass ich das schaffe.“
Vom „Extrem-Schnarcher“ um den Schlaf gebracht
Am Ende hatte der Herdecker bei den fünf Etappen 148,4 Kilometer zurückgelegt, belegte so Rang 26 unter 53 Teilnehmern um Sieger Reinhold Hugo (Schweiz). „Das Rennen ging solange, bis der Führende 250 Kilometer erreicht hat“, erklärt er den Modus: „Alle waren auf den relativ kleinen Runden genauso lange wie er unterwegs.“ Schlafplatz für alle Teilnehmer war das Expeditionsschiff, wo sich Ufer von einem „Extrem-Schnarcher“ in der Kabine um den Schlaf gebracht sah. Von dort wurden sie mit Zodiacs - unsinkbaren Schlauchbooten - an Land und nach den Läufen wieder zurückgebracht.
Pinguine watscheln neben den Ultraläufern her
Schon dort wurden sie von Pinguinen, die wie Delfine neben dem Boot aus dem Wasser hüpften, begleitet. An Land watschelten sie neugierig - auf Distanz - häufig neben den Läufern über die schnee- und eisbedeckten Trails. Nicht die einzigen tierischen Erlebnisse. „Da hört man einen Wal, der eine Luftblase ausstößt, dann läuft man an einem riesigen Seelöwen vorbei“, berichtet Michele Ufer, den die Antarktis fasziniert hat. „Eispanzer, tiefblaues Meer und schwarze Wolken, das war wie in einem surrealen Endzeit-Drama“, schwärmt er, „ich habe noch nie solche Farben gesehen wie das Blau der immer wieder vorbeiziehenden Eisberge.“
Wobei die Ultraläufer häufig mit Sonnenschein verwöhnt wurden. „Dort war ja Sommer und am heißesten Tag mit bis zu vier Grad Plus“, sagt Ufer: „Aber die Temperaturen verändern sich da schnell. Wenn die Sonne weg ist und starker Wind pfeift, sind schnell 20 Grad minus.“ Leichter bekleidete Konkurrenten wie der Führende seien so nah daran gewesen, auf den Rucksack mit Daunenkleidung für den Notfall zurückzugreifen. Sie wären dann aber aus dem Rennen genommen worden.
Letztes Kapitel im Buch von Michele Ufer
Für Michele Ufer war das kein Thema, er hielt sich warm und hatte stets genug warme Kleidung im Laufrucksack dabei. „Ich freue mich sehr, dass ich wieder dabei bin“, sagt der Sportpsychologe, im nächsten Jahr wolle er bei Laufprojekten wieder angreifen. Und mit dem letzten Kapitel über die Antarktis sein neues Buch beenden. Eines mit den Schwerpunkten Motivationspsychologie, Mentaltraining und Resilienzstrategien auch für junge Schlaganfall-Patienten, die aus dem Leben gerissen wurden. „Es ist möglich zurückzukommen“, sagt er: „Das schaffe ich jetzt, das können auch andere. Das ist die Botschaft.“