Hagen. Der 13. Februar 2018 ist für die Hagenerin Sandy Siewert ein Neuanfang. Nach einem Herzinfarkt findet sie im Boxen ihre neue Leidenschaft.
Rundturnhalle Haspe: Boxtraining. Trotz ihrer Größe von gerade einmal 1,60 Meter fällt sie auf. Eine junge Frau, inmitten von 30 Männern. Das Sportoberteil perfekt abgestimmt auf die Schuhe und die Bandagen. Wenn sie etwas sagt, hören die Sportler ihr zu. Sandy Siewert hat sich den Respekt der Boxer erarbeitet. Nicht nur indem sie die harten Einheiten beim Männertraining mitmacht. Nicht nur indem sie den Trainerschein mit Bestnoten bestanden hat und die Frauengruppe quasi im Alleingang managt. Sie ist die gute Seele des Klubs, plant alles, ist immer da und schon nach kurzer Zeit nicht mehr aus dem Vereinsleben wegzudenken.
Es ist eine Geschichte, mit der zu Beginn des letzten Jahres niemand gerechnet hätte. Denn die junge Frau, damals gerade einmal 29 Jahre alt, erlitt am 13. Februar 2018 einen schweren Herzinfarkt – und schöpfte daraus neuen Mut. „Ich habe immer damit gerechnet, dass es mich trifft. Aber eher mit 50 oder 60 Jahren.“ Die inzwischen 31-Jährige ist pragmatisch. Schon ihr Vater und ihr Großvater hatten Herzinfarkte. Und ihr Lebensstil war und ist nicht förderlich. Als Fachpflegekraft in der außerklinischen Intensivpflege arbeitete sie im Zwei-Schicht-System zehn bis zwölf Stunden täglich.
Parallel beginnt sie ab 2015 mit dem Bachelor-Studium (ebenfalls in Vollzeit) und übernimmt eine der Teamleitungen in der Firma. „Gesunde Ernährung gab es nicht. Ich habe nur wenig auf mich selbst geachtet, es gab nur die Arbeit.“ Im September 2017 suchte sie noch einen Kardiologen auf. „Ich habe mich immer durchchecken lassen. Durch die familiäre Vorgeschichte wusste ich, dass ich ein höheres Risiko habe.“ Außer einem erhöhten Blutdruck stellte der Arzt nichts fest. Mit einem Blutdrucksenker machte sie sich wieder auf den Heimweg. „Ich habe mir auch keine weiteren Gedanken mehr gemacht.“
Mit Luftnot ins Krankenhaus
Bis zum 13. Februar 2018. Die Hasperin ist abends alleine zuhause, als die ersten Beschwerden auftreten. Mit Brustschmerzen und Luftnot ruft sie ihre Schwester an, die nur wenige Häuser weiter wohnt. Der Schwager macht sich auf den Weg, um sie ins Krankenhaus zu fahren, während Sandy Siewert am Telefon noch ihre ältere Schwester beruhigt. „Ich habe ihr gesagt, dass es nichts Schlimmes ist. Und das habe ich auch selbst noch geglaubt.“ Doch als sie die Tasche zusammenräumt, sackt der Kreislauf der jungen Frau zusammen. Im Auto kommen Schmerzen im Arm hinzu. „Angekommen im Krankenhaus schaffte ich es noch, meine Versicherungskarte zu überreichen und bin dann zusammengebrochen.“ Was folgt war vor allem für die herbeigeeilte Familie der Hagenerin eine Qual. Stunden im OP-Saal vergingen, ein sogenannter Stand wurde gelegt, um die Blutbahnen zum Herz wieder frei zu bekommen. Sie schafft es.
Nach einer kurzen Zeit im Krankenhaus folgt die Reha in Ennepetal-Königsfeld, bei der die junge Frau den Altersdurchschnitt deutlich nach unten treibt und noch einmal die Möglichkeit hat, die letzten Wochen Revue passieren zu lassen: keine schöne Zeit. Dennoch sagt die Hagenerin mit fester Stimme: „Durch den Herzinfarkt hat sich einiges in meinem Leben zum Positiven verändert.“ Neben Ernährungsplänen steht auch Sport auf dem Programm. Ein Glücksfall wie sich zeigt. Denn auch Dirk van der Pluym ist zu diesem Zeitpunkt in der Reha und erholt sich von einem Herzinfarkt.
Ein Verein entwickelt sich zur neuen Heimat
Der 49-Jährige ist seit Jahren beim Hasper Boxsport-Club (BSC) aktiv. „Ich wollte schon immer mal boxen, habe mich aber nie getraut. Nach dem Infarkt habe ich mir gedacht: Jetzt muss ich!“, fasste sich Sandy Siewert ein Herz. Aus den anfänglichen Gesprächen wurde schnell ein Termin zum Probetraining bei der damals neu gegründeten Frauengruppe. „Ich wurde super aufgenommen, man ist direkt im Verein drin“, schwärmt die ansonsten zurückhaltende Frau. „Wir versuchen auf jeden individuell einzugehen, so dass auch Vorerkrankungen wie bei Sandy kein Hindernis sind, um in den Boxsport einzusteigen“, freut sich auch Fatih Kurukafa, Geschäftsführer des BSC.
Denn schon nach wenigen Monaten zeigt sich, dass Sandy Siewert eine große Portion Ehrgeiz mit gebracht hat. Sei es bei ihrem eigenen Training, welches sie streng mit einer Pulsuhr überwacht, oder aber auch bei allem was sonst noch im Verein ansteht: „Sie ist eine sehr große Hilfe, organisiert alles, ist immer ansprechbar und gibt dem ganzen Verein nochmal ein bisschen mehr Leben“, schwärmt der BSC-Geschäftsführer. Auch im Vorstand ist die 31-Jährige inzwischen als Sportwartin aktiv, hat ihre Trainer-und Kampfrichter-Ausbildung abgeschlossen und blickt einem großen Ziel entgegen: „Im kommenden Jahr möchte ich kämpfen.“ Im Amateurbereich muss allerdings vor dem 30. Lebensjahr der erste Kampf absolviert werden, weshalb für die 31-Jährige nur noch der Breitensportbereich bleibt. Aber Hauptsache sie kommt in den Ring. „Es war schon immer mein Traum.“
Einstieg in den Sport hat sich gelohnt
Und auch Fatih Kurukafa sieht gute Chancen: „Wenn sie weiter so fleißig trainiert wie bisher, denke ich, dass sie in den Ring gehen kann“, ist er von der Boxerin überzeugt. Schon jetzt hat sich der Einstieg in den Sport für die junge Hagenerin gelohnt, wie sie mit einem Lächeln berichtet: „Ich liebe diesen Verein und die Menschen, die ich dadurch kennen lernen durfte. Wenn es danach geht, hätte mir der Herzinfarkt schon vor zehn Jahren passieren sollen.“