Hagen. Als das Unwetter über Hagen hereinbricht, zögern David Borringo und Dietmar Stein nicht. Die Kanusportler sind da, als sie gebraucht werden.

Als das Wasser immer höher stieg, wussten sie sich irgendwann nicht mehr anders zu helfen. Schnell kletterten Lukas Borringo und seine Freundin auf dem Rewe-Parkplatz in Eckesey aus ihrem Auto und auf die Einkaufswagen. Von da aus kamen sie nicht mehr weiter. Doch Rettung nahte – vom Wasser aus. Bruder David Borringo (26) und Dietmar Stein (63) vom Kanu-Club Hagen hatten einen Vierercanadier auf ihr Auto geladen und waren zur Rettung geeilt, nachdem sie der Hilferufe via Telefon erreicht. Nicht nur Lukas und seine Freundin brachten sie trocken in Sicherheit.

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Doch damit war der Einsatz der Hagener noch nicht beendet. Polizei und Feuerwehr standen den Wassermassen hilflos gegenüber, Strömungsretter waren zwar vor Ort, konnten sich aber kaum durch die gewaltigen Massen kämpfen.

Spontane, aber richtige Idee

„Es war eine spontane, aber richtige und gute Idee“, ist Dietmar Stein immer noch begeistert, wie gut es funktioniert hat. Dutzende Male fuhren sie mit dem Boot hin und her, brachten Polizisten zu Notrufen und nahmen aufgelöste Anwohner mit, die sich auf ihre Balkone oder Autos gerettet hatten. „Ich weiß nicht, wie oft wir den Weg gefahren sind“, kam Stein nicht mehr mit dem Zählen hinterher.

Ausgestattet mit genügend Schwimmwesten suchten sie bis tief in die Nacht nach Menschen, denen sie noch helfen konnten. Und das zum Teil bei gespenstischer Stille und Dunkelheit. „In den Autos brannte zum Teil noch Licht. Wir haben immer gerufen, aber scheinbar waren die Autos nur zurückgelassen worden“, erzählt Stein und David Borringo ergänzt: „Es ist schon komisch, wenn man nicht weiß, was da so unter einem herumtreibt.“ Ein Polizist sagte während einer Pendeltour zu den beiden, dass sich da gerade eine halbe Million Euro unter sich befindet. „Das war dann ein Maserati, der im Wasser lag“, erzählt Stein nicht ohne Staunen.

Hindernisse wurden umschifft

All die Hindernisse galt es für die Mitglieder des Kanu-Clubs Hagen zu umschiffen. Und das bei einer Strömung, die auf der Eckeseyer Straße „mit dem vergleichbar war, was sonst die Lenne runterfließt“, betont David Borringo. Keine leichte Aufgabe, auch nicht für die erfahrenen Kanu-Fahrer.

Wenn die Brückenunterführung zum Gewässer wird: David Borringo (links) und Dietmar Stein machen sich zur Rettung bereit.
Wenn die Brückenunterführung zum Gewässer wird: David Borringo (links) und Dietmar Stein machen sich zur Rettung bereit. © WP | Verein

Seit seiner Jugend ist Stein im Wassersport aktiv. Doch auch er tat sich schwer, die Hindernisse zu umschiffen. Einmal musste er vom Boot ins Wasser springen, damit der Canadier nicht mit einer Wand kollidierte. Dass sein Handy dabei noch in seiner Hosentasche steckte, vergaß er in diesem Moment. „Aber das ist auch nicht so wichtig, da gibt es Schlimmeres“, betont Stein, der als Hausmeister für den Kanu-Club aktiv ist.

Mit der Strömung kamen immer wieder Reifen, Unrat und Stämme angeschwommen, während der Geruch von Diesel und Benzin über dem Wasser lag. „Im Nachhinein darf man gar nicht drüber nachdenken, wie vielen Menschen man die Hand gereicht hat und wie eng man allen gekommen ist“, war laut Stein an das Halten der Abstandsregelungen kaum noch zu denken. Dieses Thema rückte während der Rettungsaktion in den Hintergrund.

Die Angst fuhr mit

Mit den beiden Sportlern fuhr auch immer die Angst mit. „Die Schaufenster könnten brechen, wenn wir daran vorbei fahren. Die Situation kannte ja niemand von uns, das war schon dubios“, fasst es Borringo zusammen, der sich auch sicher ist: „Vermutlich hätten wir noch deutlich mehr Fahrten machen können.“ Doch als es immer später wurde, zogen sich auch die beiden Hagener irgendwann langsam zurück, nachdem sie stundenlang gependelt waren.

Während David Borringo zumindest seinen Bruder und dessen Freundin sicher aus dem Wasser befreien konnte, sieht es für das Auto schlechter aus: „Das ist komplett vollgelaufen mit Wasser“, weiß der 26-Jährige zu berichten.

Ein Geben und Nehmen

Nicht nur Anwohner brachten die beiden von ihren Häusern zum Ufer, auch Polizei und Feuerwehrleute nahmen sie immer wieder mit. Es war ein Geben und Nehmen. „Am Ende wurde ich von einem Polizisten nach Hause gefahren, weil er meinte er sei so dankbar für unsere Hilfe. Dabei ist das doch selbstverständlich“, möchte Stein gar kein Lob für sein Handeln hören. Gegen 3 Uhr in der Nacht sank er in sein Bett. „Ich konnte auf jeden Fall gut schlafen“, kann er die Anstrengungen nicht leugnen.

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Das Vereinsheim der emsigen Helfer wurde von den Wassermassen verschont. Auch, weil Dietmar Stein gleich vor Ort war und mit einer Pumpe und dafür sorgte, dass der Raum mit den Booten nicht volllief: „Ich hatte das im Blick, aber wir sind verschont geblieben.“ Ein Vorteil für den Kanu-Club war sicherlich, dass der Hengsteysee zu dem Zeitpunkt nur wenig Wasser führte.

Folgen machen sprachlos

Welche Folgen die Unwetterkatastrophe angerichtet hat, macht die beiden sprachlos: Dietmar Stein radelte, nachdem sich das Wasser zurückzog, durch die Stadt, schaute sich an, was für Schäden an Gebäuden und Straßen entstanden sind. Kein schönes Bild in seiner Heimatstadt. „Das ist nicht schön zu sehen“, muss er zugeben. Doch anders als manche Vorurteile es besagen, lebt er gern in Hagen: „Man muss mal die Augen aufmachen. Hagen ist so schön, so grün. Natürlich gibt es auch unschöne Ecken, aber im Grunde ist es hier toll. Ich lasse auf Hagen nichts kommen.“

Wie schnell die Volmestadt in der vergangenen Woche vom Wasser begraben wurde, überraschte ihn genauso wie David Borringo, der meint: „Es ging so schnell, darauf war niemand vorbereitet.“ Auch wenn beide hoffen, dass es die letzte Rettungsaktion bleibt, ist Dietmar Stein mit Blick auf den Klimawandel bange: „Vermutlich wird es nicht das letzte Mal sein, dass wir mit solchen Katastrophen zu tun haben.“ Doch er hat eine Idee, wie Kanu-Clubs künftig gerade in solchen Situationen mithelfen können. „Fast jede Stadt hat einen Verein mit Booten. Bei solchen Unwettern könnten sie eine große Hilfe sein. Aber es muss auch jemand da sein, der ein Boot bei diesen Strömungen steuern kann.“