Gevelsberg/Milton Keynes. Vor dem EM-Halbfinale spricht Adnan Yalcinkaya, ehemaliger Jugendtrainer der Nationalspielerin, über ihre Anfänge beim TuS Ennepetal.
Lena Oberdorf ist dieser Tage in aller Munde. Fast alle großen deutschen Zeitungen stellen die Fußballerin aus Gevelsberg vor dem Halbfinale der Europameisterschaft gegen Frankreich heute Abend um 21 Uhr in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung. „Mit 20 eine Strategin“ schreibt die Süddeutsche Zeitung, „Warum Lena Oberdorf so wichtig ist“ die FAZ, die Sportbild nennt sie eine „EM-Maschine“. Anlass für die Lobeshymnen war vor allem die Leistung der 20-Jährigen beim 2:0-Sieg im Viertelfinale gegen Österreich, als sie auf der Sechserposition mit gewohnter Körperlichkeit die Angriffe der Gegnerinnen stoppte und Offensivaktionen mit Ruhe und Übersicht einleitete. „Was sie auf dieser Position, in diesen jungen Jahren gespielt hat: Wow, das ist aller Ehren wert – also Kompliment“, kam da selbst Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg im ARD-Interview ins Schwärmen.
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Auf dem heimischen Sofa fühlte sich Adnan Yalcinkaya bestätigt. Gemeinsam mit seinen Söhnen hat der ehemalige Jugendtrainer des TuS Ennepetal das Spiel gegen Österreich verfolgt und wies bei gelungenen Aktionen Richtung Fernseher. „Das ist typisch Lena, habe ich zu meinen Jungs gesagt. Sie weiß, wann sie der Mannschaft helfen muss.“
Talent war früh zu erkennen
Yalcinkaya kann diese Aussage mit Bestimmtheit treffen, weil er Lena Oberdorf bereits trainiert hat, von den Minikickern bis zur D-Jugend beim TuS, bevor sie zur TSG Sprockhövel wechselte. War damals schon erkennbar, was in ihre steckte? „Das hört sich etwas abgedroschen an“, schickt Yalcinkaya vorweg, „aber es war sehr früh zu sehen, dass sie ein besonderes Talent hat und auch besser war als die Jungs in der Mannschaft.“ Er selbst habe schon früh angemerkt, dass aus ihr eine professionelle Fußballerin werden könne. „Als sie zehn Jahre alt war, habe ich gesagt, dass sie Nationalspielerin wird, aber das wollte damals noch keiner hören“, sagt Yalcinkaya.
Ihre Karriere verlief seitdem rasant. Mit zwölf Jahren spielte Lena schon in der deutschen U15-Nationalmannschaft, mit 16 gab sie ihr Debüt in der Bundesliga für die SGS Essen, mit 17 folgte das Debüt in der A-Nationalelf, mit 18 folgte der Wechsel zum Spitzenklub VfL Wolfsburg. Dort hat sie, als frisch gebackene Doublesiegerin (Meisterschaft und DFB-Pokal), kurz vor dem EM-Start ihren Vertrag bis 2025 verlängert.
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In Verein und Nationalelf ist sie inzwischen ein Fixpunkt, aus der Startelf kaum mehr wegzudenken. Teamkollegen Svenja Huth sagte jüngst: „Was sie vor der Abwehrkette abräumt, ist für uns unglaublich wertvoll. Obi ist eine Maschine.“ Lena Oberdorf selbst liebt diesen Teil des Fußballspiels besonders: Das Abräumen, das Verhindern von Torchancen des Gegners. „Ich liebe es, wenn es physisch zur Sache geht, wenn es im Zweikampf auch mal knallt“, beschrieb sie selbst ihre Leidenschaft. Und verriet in der Mixed Zone nach dem Österreich-Spiel, dass sie gemeinsam mit ihrem Bruder Tim, der ebenfalls als Profi bei Fortuna Düsseldorf spielt, „früher auf Youtube die Grätschen von Sergio Ramos angeschaut“ habe. Wie der beinharte Spanier abräumte und sich selbst dafür feierte, das hat bei Oberdorf offensichtlich Wirkung gehabt.
Auf fast allen Positionen wertvoll
War auch diese Entwicklung früh absehbar? In Teilen, meint Yalcinkaya. „Sie war bei uns ein zentraler Faktor, wenn es darum ging, die Abwehr zu stabilisieren“, erinnert sich der 47-Jährige, schränkt allerdings ein: „Wenn wir vorne jemanden brauchten, haben wir sie auch dahin gestellt.“ Denn in der Jugend sei sie dank ihrer Qualität auf fast allen Positionen wertvoll gewesen. Dabei habe sie schon früh ihre Trainer gefragt, was sie noch besser machen könne und sie habe mitreden wollen, wenn es darum ging, was das Team als Ganzes besser machen könne. Wie es aussieht, steckte auch das Potenzial zur Führungskraft schon früh in der Mittelfeldspielerin.
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Bei all den Lobeshymnen könnte man fast vergessen, dass Lena Oberdorf erst 20 Jahre jung ist. Sie hat praktisch ihre ganze Karriere noch vor sich. Wo soll das hinführen? Olympiasiegerin Lena Goeßling ging so weit, zu behaupten: „Lena hat alles, um eines Tages Weltfußballerin zu werden.“ Glaubt auch ihr ehemaliger Jugendtrainer Yalcinkaya, dass sein einstiger Schützling eines Tages die Nummer eins der Welt wird? „Das Zeug hat sie mit Sicherheit. Aber bei den Wahlen gewinnen oft die, die vorne stehen und Tore schießen“, meint er. In jedem Fall ist er sich sicher: „Sie ist in ihrer Entwicklung noch lang nicht am Ende.“