Gevelsberg. Der Gevelsberger Tobias Hedstück ist der Chef der Fußball-Champions-League. So geht er mit der ständigen Kritik an seinem Verband um.

Es ist viel los in der Gevelsberger Innenstadt an diesem Tag kurz vor Weihnachten. Die Menschen der Kleinstadt in Westfalen tätigen ihre letzten Besorgungen und Geschenke vor den Feiertagen. So auch Patrick Kirschhofer. Im Feinkostladen Hedtstück will er eigentlich nur fix etwas besorgen, bis er ein bekanntes Gesicht entdeckt, dass er hier nicht allzu oft antrifft. Schnell wird sich begrüßt, kurz ausgetauscht, lauthals gelacht und für später verabredet. Den Mann, den Kirschhofer hier getroffen hat, vermutet man nicht unbedingt dort. Oder aber gerade hier. Tobias Hedtstück sitzt in dem Geschäft seiner Familie, für viele, die ihn nicht persönlich kennen, fast schon inkognito. Dabei ist er eine der wichtigsten Personen im europäischen Vereinsfußball. „Chief of Club Competitions and Calendar“, nennt sich die offizielle Bezeichnung für seinen Job bei der UEFA. Damit ist er sowas wie der Leiter und Verantwortliche der Champions League, die mit seiner Hilfe in den vergangenen Jahren von der UEFA mächtig umgekrempelt wurde.

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Die Lebensgeschichte von Tobias Hedtstück hätte auch ganz anders aussehen können. Das Feinkostgeschäft, in dem das Gespräch mit einer der prägenden Personen im europäischen Fußballverband stattfindet, gehört zu diesem Zeitpunkt nämlich noch seinem Bruder Sebastian. In vierter Generation führt er den Laden, doch mit Jahreswechsel haben sich die Besitzverhältnisse geändert. Sebastian möchte nicht mehr selbstständig sein und hat das gut laufende Geschäft verkauft. Für seinen Bruder Tobias war es dagegen zu keinem Zeitpunkt seines Lebens eine Option, hier zu arbeiten oder den Familienbetrieb fortzuführen. Er wählte für sich einen anderen Weg, wobei dieser eigentlich nie vorgezeichnet war, sondern eher eine Aneinanderreihung von wahrgenommenen Gelegenheiten und Chancen ist.

Hedtstück schaut den Superstars auf die Finger

Wer die Auslosungen der Champions League in den vergangenen Jahren aufmerksam verfolgt hat, dem ist der Name Tobias Hedtstück vielleicht schon einmal aufgefallen. „Bei dem neuen Modus der UEFA Champions League, in der die Auslosung digital umgesetzt wird, ist meine bisherige Rolle nicht mehr nötig, und darüber bin ich auch ganz froh, weil ich nicht so gerne im Vordergrund stehe. In den Qualifikationsrunden bin ich ja noch dabei, das reicht dann auch auf der Bühne“, sagt er mit Blick auf die von ihm mitgestaltete Reform des Wettbewerbs. Statt Kugeln, die gezogen werden müssen, gibt es nun nur noch einen Knopf, den ein prominenter Fußballer drückt, um die Partien der sogenannten Liga-Phase zu bestimmen. „Den Knopf braucht es nicht unbedingt, aber sowas brauchen die Menschen“, sagt Tobias Hedtstück. Eine Computer-Software lost die Begegnungen zufällig mithilfe eines ausgeklügelten Algorithmus aus.

UEFA Champions League 2023/24 Preliminary Round Draw
Tobias Hedtstück bei der Arbeit, hier bei der letzten Auslosung der UEFA Champions League im klassischen Format mit Kugeln. © UEFA via Getty Images | Nemanja Basevic - UEFA

In der Vergangenheit war er es, der mit auf die Bühne kam, um zu überprüfen, ob alles bei der Auslosung korrekt ablief. Der den großen Fußballern dieser Zeit auf die Finger schaute, wenn sie die Kugeln zogen, öffneten und die Topadressen des europäischen Fußballs in verschiedene Gruppen oder Paarungen zuordneten. Oder selbst loste. Seit dieser Saison ist das Geschichte – und daran hat Tobias Hedtstück aus dem kleinen Feinkostladen in Gevelsberg gehörigen Anteil.

Den neuen Modus findet er gerechter. Spannender sowieso. Hedtstück verteidigt die Reform, die im Vorfeld viele Fußballfans verurteilten. „Gerade bei der UEFA steht man oft genug in der Schusslinie“, sagt er. Viel mache ihm das aber nicht aus. „Wenn irgendjemand die UEFA als schwarzes Schaf sehen will, dann ist das okay. Ich weiß, wie viele gute Leute sich hier über die kleinsten Kleinigkeiten Gedanken machen für ein Fußballspiel – auch im Sinne der Fans“, berichtet er aus dem Innenleben des größten Kontinentalverbands.

Die kritische Einstellung gegenüber der UEFA gebe es aber nicht überall. „Nur weil in Deutschland irgendjemand der Meinung ist, dass etwas immer noch en vogue ist, heißt es nicht, dass es die ganze andere Welt denkt“, sagt der 40-Jährige. Gevelsberg, so fest es in seinem Herzen verankert ist, scheint weit weg zu sein, wenn er über den großen Fußball spricht.

Hedtstück lernt Französisch, um Schweizer zu werden

Denn Tobias Hedtstück sieht viel von der Welt; lernt viel von der Welt. Im schweizerischen Nyon, wo sich der Sitz der UEFA befindet, ist er inzwischen heimisch geworden. Eines seiner aktuellen Projekte ist es, die Schweizer Staatsbürgerschaft anzunehmen. Seine Frau sei da schon deutlich weiter, die Kinder gehen ohnehin schon immer dort zur Schule. „Mein Französisch ist aber noch zu schlecht“, sagt der Abiturient des Gevelsberger Gymnasiums und lacht. Mit Sprachen scheint es schon immer nicht so zu passen, wie Mitschüler im Abibuch 2003 über Tobias Hedtstück schreiben. „Auf Kriegsfuß mit der deutschen Sprache“, heißt es dort.

„Wenn irgendjemand die UEFA als schwarzes Schaf sehen will, dann ist das okay. Ich weiß, wie viele gute Leute sich hier über die kleinsten Kleinigkeiten Gedanken machen.“

Tobias Hedtstück, Fußballfunktionär bei der UEFA aus Gevelsberg

Allerdings steht dort auch etwas über die Begeisterung für Sport. Nach seinem Abi beginnt er ein kurzes Praktikum bei Sportfive, dem damaligen Vermarkter von Borussia Dortmund, ehe er ein Studium im Bereich Sportmanagement in Heidelberg beginnt. Sein Werdegang umfasst Praktika während seines Studiums bei Eintracht Braunschweig, eine Projektarbeit bei der Deutschen Fußball-Liga, bei der er dann auch sein Arbeitsleben die ersten fünf Jahre gestartet hat, bis ihn sein Weg eben zur UEFA führte. Der praktische Bezug auf der Fachhochschule und die ausgezeichneten Kontakte in die Fußballszene bringen ihn dort hin, wo er anfangs noch gar nicht wusste, dass er dort hin möchte. Was ihm sicherlich half, denn sein Abitur war laut eigener Aussage nicht besonders.

„Das Einzige, was ich kann, ist Fußball.“

Tobias Hedstück, Fußballfunktionär bei der UEFA

„Anfangs war ich froh, dass ich erst einmal für drei Jahre etwas zu tun hatte“, schaut er auf seine Anfänge an einer Hochschule in Heidelberg zurück. Dort sind seine Noten, obwohl er am Gymnasium in Gevelsberg nie wirklich in Mathe glänzte, genau in diesem Bereich „am oberen Ende“. Spielpläne erstellen, Spieltage planen – all das wird auf einmal für ihn zu einer Leidenschaft. „Das Einzige, was ich kann, ist Fußball. Administration ist das, was ich gelernt habe und ein Leben lang gemacht habe“, sagt er bescheiden. Immerhin haben ihn seine Fähigkeiten an die Funktionärsspitze im Weltfußball gebracht.

Mit seiner Arbeit, seiner Akribie, seiner Leidenschaft für diesen Sport hat er sich unverzichtbar gemacht. „Bei uns gilt immer ‚football first‘, alles andere muss hinten anstehen“, sagt er. Und meint es auch so.

Nur bei zwei Spielern macht Hedtstück eine Ausnahme

Als Fan, der früher selbst in der Kurve stand, so sagt er rückblickend, habe auch er früher gegen die Verbände gewettert. Jetzt ist er selbst eine der führenden Figuren bei der UEFA. BVB-Fan ist er immer geblieben, das Champions-League-Finale 2024 im Wembley-Stadion schaute er sich beispielsweise näher am Block der Dortmunder Fans als am VIP-Bereich an. „Das ist nicht so ganz meine Welt, gehört aber natürlich dazu“, sagt er.

Ein Foto mit einem seiner früheren Idole habe er noch nie gemacht, doch bei Zweien würde er wohl doch schwach werden. „Bastian Schweinsteiger oder Thomas Müller“, sagt er. Wegen der WM 2014. „Bei allen anderen würde ich noch nicht einmal auf die Idee kommen.“ Und das, obwohl er bei den Auslosungen regelmäßig neben Superstars wie „CR7“ oder Zlatan Ibrahimovic steht.

M. Kleinrensing WP Hagen UEFA Fußball
Tobias und Sebastian Hedtstück. Die beiden Brüder haben unterschiedliche Wege im Leben eingeschlagen - und sind beide erfolgreich damit. © WP | Michael Kleinrensing

Tobias Hedtstück ist trotz seiner Funktion Fan des Fußballs geblieben. Anders geht es auch nicht. Am Ende des Gesprächs holt er sein Smartphone heraus. Er öffnet ein Spiel, Fußball-Tik-Tak-Toe, eine Art Quiz über mehr oder weniger bekannte Fußballer. Hedtstück kennt sich aus. „Das spielen wir bei der UEFA recht oft und gerne zwischendurch in kleinen Pausen“, sagt er.

Das Duell mit dem Reporter endet allerdings unentschieden. Die Liebe zum Fußball würde beim europäischen Verband gelebt, findet Hedtstück. In den Mittagspausen wird Fußball gespielt, bei der Betriebsmannschaft FC UEFA wurde er jüngst in die Hall of fame aufgenommen. „So einen Quatsch haben wir da auch“, sagt er und schmunzelt. In Gevelsberg hat er nie im Verein gespielt, zumindest kein Fußball. Tobias Hedtstück spielte Tennis beim TC Rot-Weiß.

Für jemanden, der sich jedes Fußballspiel in Europa anschauen könnte, überrascht die Wahl seines liebsten Wettbewerbs. Die Conference League, also der kleinste der drei europäischen Vereinswettbewerbe, hat es ihm angetan. Die Stimmung gefalle ihm, neben den deutschen Stadien, in Malmö, Wien oder Griechenland besonders. Abseits der ganz großen Bühne. Wobei die Conference League für eben diese Vereine somit das Größte überhaupt ist – und das spüre er, wenn er bei den Spielen vor Ort sei.

Eine verpasste Chance ärgert Hedtstück bis heute

Insgesamt reist Tobias Hedtstück viel. Inzwischen sei das weniger geworden, weil er nicht mehr immer und überall für den neuen Modus werben muss. „So ein Fußballspiel schaue ich mir inzwischen auch gerne mal auf der Couch an“, sagt er. Nur ein Spiel, und darüber ärgert er sich bis heute, hätte er gerne vor Ort erlebt: das WM-Finale 2014 in Rio de Janeiro. Die Gelegenheit dazu habe es gegeben, doch Hedtstück verzichtete. „Aus finanziellen Gründen. Und wegen meines Aberglaubens“, sagt er.

Eine Chance, die Tobias Hedtstück verpasst hat in seiner Karriere. Eine der wenigen. Was sich der Gevelsberger aber nie entgehen lässt, ist die Gevelsberger Kirmes. Kein Wunder, denn die Wohnung oberhalb des kleinen Feinkostgeschäfts, in dem die Familie verwurzelt ist, liegt mitten im Epizentrum des Kirmeszugs, unmittelbar vor dem Kirmestor. „Das“, so sagt dieser wichtige Mann von der UEFA, „kann ich mir einfach nicht entgehen lassen.“ Was genug über jemanden aussagt, der ansonsten neben Cristiano Ronaldo, Luis Figo oder anderen Granden des Weltfußballs steht.

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